Der Kohleausstieg im Osten Deutschlands
Mühlrose in Sachsen ist vermutlich das letzte Dorf in Deutschland, das der Kohle weichen muss. Anders als in Lützerath gibt es bislang keinen massiven Widerstand – auch wenn Umweltverbände protestieren.
(dpa) Efeu schlängelt sich an den Hauswänden hoch. Lautes Vogelgezwitscher und zwischendurch immer wieder ein dumpfer Knall. Mit voller Kraft hieven Arbeiter Bauschutt aus dem ersten Stock eines verlassenen Familienhauses in einen Container im Vorgarten. Das sächsische Mühlrose in der Lausitz ist vermutlich das letzte Dorf in Deutschland, das dem Kohleabbau weichen muss. Bis Ende 2024 sollen alle Bewohner umgesiedelt werden. Der Großteil wohnt bereits in Neu-Mühlrose – einer Neubausiedlung knapp sieben Kilometer vom alten Dorf entfernt.
Die Stimmung vor Ort ist gespalten. Während einige Bewohner in Neu-Mühlrose sagen, dass die Umsiedlung das Beste sei, das ihnen hätte passieren können, weigern sich einige Zurückgebliebene, in die Neubausiedlung zu ziehen. „In Neu-Mühlrose ist alles eng aneinandergeklatscht, und Bäume gibt es auch nicht“, sagt die Mühlroserin Susann Zech. Mit der Tatsache, dass sie umziehen müssen, hätten sich die meisten allerdings abgefunden. Anders als in Lützerath, wo Aktivisten bis vor kurzem um den Erhalt des Dorfes kämpften, herrscht in Mühlrose ein Gefühl der Resignation – obwohl derzeit noch heiß über einen eventuell früheren Kohleausstieg – vor 2038 – diskutiert wird.
Erst jüngst wurde in Mühlrose gegen ein von Klimaaktivisten geplantes Klimacamp mit einer Menschenkette protestiert. Die Menschen fürchteten Zustände wie in Lützerath und machten deutlich, dass die Mehrheit sich für eine Umsiedlung entschieden hatte. Kurz darauf wurde das Camp von den Aktivisten abgesagt. „Ich finde das Quatsch. Wenn, dann hätten sie das vor 20 Jahren machen müssen“, sagt Zech.
Umweltverbände und Klimaschutzinitiativen lassen sich davon nicht abhalten und hatten kürzlich zu einer Demonstration am Tagebau Nochten aufgerufen. Die Polizei sprach am von etwa 550 Teilnehmern, Fridays for Future bezifferte die Teilnehmerzahl auf mehr als 1000. „Energie von gestern zerstört unsere Zukunft“oder „Liebe für die Lausitz – nicht für die Kohle“hieß es auf Plakaten. Gefordert wurde ein bundesweiter Kohleausstieg bis spätestens 2030, ein schnellerer Ausbau erneuerbarer Energien, der Erhalt des Dorfes Mühlrose und ein sozial gerechter Strukturwandel samt Mitspracherechten der Sorben.
„Die Lausitz muss eine Vorbildregion für erneuerbare Energien werden“, mahnte etwa der Vorsitzende des BUND Sachsen, Felix Ekardt. Mittel- und langfristig seien Versorgungssicherheit und stabile Strompreise nur ohne fossile Energieträger möglich, da bei ihnen „Preisexplosionen“erwartet würden. Ein schnellerer Ausstieg aus der Braunkohle sei nötig, um das rechtsverbindliche 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, betonte er. Das Ganze müsse ökonomisch
und sozial durchdacht organisiert werden.
Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte vereinbart, den Kohleausstieg „idealerweise“von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wirbt um eine Vereinbarung auch für die ostdeutschen Tagebaugebiete. Die Gespräche laufen nach Auskunft seines Ministeriums. Man sei „im kontinuierlichen Austausch mit der gesamten Energiewirtschaft, auch mit Leag und den betroffenen Bundesländern“. Der Energiekonzern Leag baut Braunkohle in der Lausitz ab und betreibt Kraftwerke.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hält weiterhin am geplanten Ausstiegsdatum fest. „Das im breiten gesellschaftlichen Konsens ausgehandelte Ausstiegsdatum 2038 steht“, sagt der CDU-Politiker. Es könne jedoch vorgezogen werden,
wenn die Versorgungssicherheit anderweitig sichergestellt und diese bezahlbar sei. Kretschmer argumentiert, die allermeisten sähen, dass die Braunkohle für die Versorgungssicherheit im ganzen Land auch weiter eine entscheidende Rolle spiele.
Die Beschäftigten in der Kohle und die Bevölkerung wüssten jedoch auch, dass die Zeit der Kohle endet. Sie würden von der Politik vernünftige Entscheidungen und vor allem das Einhalten von Zusagen erwarten. Es sei kurzsichtig und fahrlässig, vorzeitig die Kohlekraftwerke abschalten zu wollen, ohne eine Lösung.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hingegen hält einen früheren Ausstieg im Osten Deutschlands nach langer Ablehnung inzwischen für denkbar – aber nur unter bestimmten Bedingungen. Details solle eine „Kommission zur Zukunft der Energieversorgung“ausarbeiten. Die Stimmung zum Thema
ist in Brandenburg nach einer Umfrage gespalten, in der Lausitz gibt es deutliche Vorbehalte. Es liege nun beim Bundeswirtschaftsministerium, „uns zu zeigen, wie die Energieversorgung der Zukunft in einigen Jahren aussehen soll“, sagt Woidke. Es gehe um die Energieversorgung Deutschlands und damit um die Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.
Das Energieunternehmen Leag pocht derweil vorerst auf den gesetzlich festgelegten Kohleausstieg 2038 und will gleichzeitig verstärkt in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren. Der Slogan laute: „Erst Ausbau, dann Ausstieg. Dazu stehen wir“, sagte Leag-Vorstand Thorsten Kramer bei einem Besuch Habecks in der Lausitz Mitte Februar. „Wir haben ein gemeinsames Ziel: Den Umbau hin zu erneuerbaren Energien bei gleichzeitiger Versorgungssicherheit.“
Der Klimawissenschaftler Niklas Höhne von der Forschungseinrichtung New Climate Institute geht davon aus, dass sich Abbau und Verfeuerung von Kohle ab 2030 kaum noch lohnen werden. Es sei also fraglich, ob die Betreiber ihre Kraftwerke unter diesen Bedingungen überhaupt weiterlaufen ließen. Einerseits. Andererseits: Ohne einen Ausstiegsplan könnten die Landesregierungen sich am Ende für einen Weiterbetrieb einsetzen, um Arbeitsplätze zu erhalten, denkt Höhne. Oder der europäische Emissionshandel könnte unter politischem Druck doch wieder entschärft werden. „Um wirklich etwas für das Klima zu tun, müsste neben dem früheren Kohleausstieg auch die Menge an Zertifikaten im Emissionshandel verknappt werden“, sagt Höhne. „Wenn man wirklich etwas erreichen möchte, sollte man sich noch dieses Jahr auf den Kohleausstieg auch im Osten einigen.“
Erst jüngst wurde in Mühlrose gegen ein von Klimaaktivisten geplantes Klimacamp mit einer Menschenkette protestiert.