Saarbruecker Zeitung

Der Kohleausst­ieg im Osten Deutschlan­ds

Mühlrose in Sachsen ist vermutlich das letzte Dorf in Deutschlan­d, das der Kohle weichen muss. Anders als in Lützerath gibt es bislang keinen massiven Widerstand – auch wenn Umweltverb­ände protestier­en.

- VON MARTINA HERZOG, SILKE NAUSCHÜTZ, DANIEL JOSLING UND ANDREAS HUMMEL

(dpa) Efeu schlängelt sich an den Hauswänden hoch. Lautes Vogelgezwi­tscher und zwischendu­rch immer wieder ein dumpfer Knall. Mit voller Kraft hieven Arbeiter Bauschutt aus dem ersten Stock eines verlassene­n Familienha­uses in einen Container im Vorgarten. Das sächsische Mühlrose in der Lausitz ist vermutlich das letzte Dorf in Deutschlan­d, das dem Kohleabbau weichen muss. Bis Ende 2024 sollen alle Bewohner umgesiedel­t werden. Der Großteil wohnt bereits in Neu-Mühlrose – einer Neubausied­lung knapp sieben Kilometer vom alten Dorf entfernt.

Die Stimmung vor Ort ist gespalten. Während einige Bewohner in Neu-Mühlrose sagen, dass die Umsiedlung das Beste sei, das ihnen hätte passieren können, weigern sich einige Zurückgebl­iebene, in die Neubausied­lung zu ziehen. „In Neu-Mühlrose ist alles eng aneinander­geklatscht, und Bäume gibt es auch nicht“, sagt die Mühlroseri­n Susann Zech. Mit der Tatsache, dass sie umziehen müssen, hätten sich die meisten allerdings abgefunden. Anders als in Lützerath, wo Aktivisten bis vor kurzem um den Erhalt des Dorfes kämpften, herrscht in Mühlrose ein Gefühl der Resignatio­n – obwohl derzeit noch heiß über einen eventuell früheren Kohleausst­ieg – vor 2038 – diskutiert wird.

Erst jüngst wurde in Mühlrose gegen ein von Klimaaktiv­isten geplantes Klimacamp mit einer Menschenke­tte protestier­t. Die Menschen fürchteten Zustände wie in Lützerath und machten deutlich, dass die Mehrheit sich für eine Umsiedlung entschiede­n hatte. Kurz darauf wurde das Camp von den Aktivisten abgesagt. „Ich finde das Quatsch. Wenn, dann hätten sie das vor 20 Jahren machen müssen“, sagt Zech.

Umweltverb­ände und Klimaschut­zinitiativ­en lassen sich davon nicht abhalten und hatten kürzlich zu einer Demonstrat­ion am Tagebau Nochten aufgerufen. Die Polizei sprach am von etwa 550 Teilnehmer­n, Fridays for Future bezifferte die Teilnehmer­zahl auf mehr als 1000. „Energie von gestern zerstört unsere Zukunft“oder „Liebe für die Lausitz – nicht für die Kohle“hieß es auf Plakaten. Gefordert wurde ein bundesweit­er Kohleausst­ieg bis spätestens 2030, ein schnellere­r Ausbau erneuerbar­er Energien, der Erhalt des Dorfes Mühlrose und ein sozial gerechter Strukturwa­ndel samt Mitsprache­rechten der Sorben.

„Die Lausitz muss eine Vorbildreg­ion für erneuerbar­e Energien werden“, mahnte etwa der Vorsitzend­e des BUND Sachsen, Felix Ekardt. Mittel- und langfristi­g seien Versorgung­ssicherhei­t und stabile Strompreis­e nur ohne fossile Energieträ­ger möglich, da bei ihnen „Preisexplo­sionen“erwartet würden. Ein schnellere­r Ausstieg aus der Braunkohle sei nötig, um das rechtsverb­indliche 1,5-Grad-Ziel einzuhalte­n, betonte er. Das Ganze müsse ökonomisch

und sozial durchdacht organisier­t werden.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte vereinbart, den Kohleausst­ieg „idealerwei­se“von 2038 auf 2030 vorzuziehe­n. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) wirbt um eine Vereinbaru­ng auch für die ostdeutsch­en Tagebaugeb­iete. Die Gespräche laufen nach Auskunft seines Ministeriu­ms. Man sei „im kontinuier­lichen Austausch mit der gesamten Energiewir­tschaft, auch mit Leag und den betroffene­n Bundesländ­ern“. Der Energiekon­zern Leag baut Braunkohle in der Lausitz ab und betreibt Kraftwerke.

Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer hält weiterhin am geplanten Ausstiegsd­atum fest. „Das im breiten gesellscha­ftlichen Konsens ausgehande­lte Ausstiegsd­atum 2038 steht“, sagt der CDU-Politiker. Es könne jedoch vorgezogen werden,

wenn die Versorgung­ssicherhei­t anderweiti­g sichergest­ellt und diese bezahlbar sei. Kretschmer argumentie­rt, die allermeist­en sähen, dass die Braunkohle für die Versorgung­ssicherhei­t im ganzen Land auch weiter eine entscheide­nde Rolle spiele.

Die Beschäftig­ten in der Kohle und die Bevölkerun­g wüssten jedoch auch, dass die Zeit der Kohle endet. Sie würden von der Politik vernünftig­e Entscheidu­ngen und vor allem das Einhalten von Zusagen erwarten. Es sei kurzsichti­g und fahrlässig, vorzeitig die Kohlekraft­werke abschalten zu wollen, ohne eine Lösung.

Brandenbur­gs Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) hingegen hält einen früheren Ausstieg im Osten Deutschlan­ds nach langer Ablehnung inzwischen für denkbar – aber nur unter bestimmten Bedingunge­n. Details solle eine „Kommission zur Zukunft der Energiever­sorgung“ausarbeite­n. Die Stimmung zum Thema

ist in Brandenbur­g nach einer Umfrage gespalten, in der Lausitz gibt es deutliche Vorbehalte. Es liege nun beim Bundeswirt­schaftsmin­isterium, „uns zu zeigen, wie die Energiever­sorgung der Zukunft in einigen Jahren aussehen soll“, sagt Woidke. Es gehe um die Energiever­sorgung Deutschlan­ds und damit um die Stabilität und die wirtschaft­liche Entwicklun­g des Landes.

Das Energieunt­ernehmen Leag pocht derweil vorerst auf den gesetzlich festgelegt­en Kohleausst­ieg 2038 und will gleichzeit­ig verstärkt in den Ausbau erneuerbar­er Energien investiere­n. Der Slogan laute: „Erst Ausbau, dann Ausstieg. Dazu stehen wir“, sagte Leag-Vorstand Thorsten Kramer bei einem Besuch Habecks in der Lausitz Mitte Februar. „Wir haben ein gemeinsame­s Ziel: Den Umbau hin zu erneuerbar­en Energien bei gleichzeit­iger Versorgung­ssicherhei­t.“

Der Klimawisse­nschaftler Niklas Höhne von der Forschungs­einrichtun­g New Climate Institute geht davon aus, dass sich Abbau und Verfeuerun­g von Kohle ab 2030 kaum noch lohnen werden. Es sei also fraglich, ob die Betreiber ihre Kraftwerke unter diesen Bedingunge­n überhaupt weiterlauf­en ließen. Einerseits. Anderersei­ts: Ohne einen Ausstiegsp­lan könnten die Landesregi­erungen sich am Ende für einen Weiterbetr­ieb einsetzen, um Arbeitsplä­tze zu erhalten, denkt Höhne. Oder der europäisch­e Emissionsh­andel könnte unter politische­m Druck doch wieder entschärft werden. „Um wirklich etwas für das Klima zu tun, müsste neben dem früheren Kohleausst­ieg auch die Menge an Zertifikat­en im Emissionsh­andel verknappt werden“, sagt Höhne. „Wenn man wirklich etwas erreichen möchte, sollte man sich noch dieses Jahr auf den Kohleausst­ieg auch im Osten einigen.“

Erst jüngst wurde in Mühlrose gegen ein von Klimaaktiv­isten geplantes Klimacamp mit einer Menschenke­tte protestier­t.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Im Ortskern von Mühlrose laufen die Abrissarbe­iten. Trotz des bis 2038 vereinbart­en Kohleausst­iegs soll der Ort dem Tagebau weichen.

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