Saarbruecker Zeitung

„Die Tierschutz­anzeigen nehmen vehement zu“

Im Saarland werden immer mehr Haustiere ihren Haltern weggenomme­n. Die Veterinäri­n erklärt, wann es zu einem Haltungsve­rbot kommt.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE LEA KASSECKERT.

390 Tiere sind in diesem Jahr im Saarland bereits von der Tierschutz­behörde ihrem Halter weggenomme­n worden. „Das ist enorm viel. 2022 waren es insgesamt auch schon 400“, sagt Antje WagnerStep­han. Sie ist Amtstierär­ztin und leitet den Fachbereic­h des nicht gewerblich­en Tierschutz­es beim Landesamt für Verbrauche­rschutz (LAV) in Saarbrücke­n. Zusammen mit ihren vier Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn geht sie saarlandwe­it Anzeigen nach, bei denen ein Verdacht auf Gefährdung des Tierwohls besteht.

In Deutschlan­d haben laut Industriev­erband für Heimtierbe­darf im vergangene­n Jahr 34,4 Millionen Haustiere wie Hunde, Katzen, Ziervögel und Kleintiere gelebt. Nicht immer werden die Tiere artgerecht gehalten, müssen in zu kleinen Ställen leben, verwahrlos­en oder werden misshandel­t. Wie wird das Landesamt für Verbrauche­rschutz, bei dem im Saarland der Tierschutz angegliede­rt ist, auf solche Fälle aufmerksam und wie gehen Sie dann vor?

WAGNER-STEPHANWir als zuständige Behörde vollziehen das Tierschutz­gesetz. Aufmerksam werden wir meistens durch Anzeigen, die bei uns über Anrufe und E-Mails eingehen. Wir müssen auf diese Anzeigen laut Tierschutz­gesetz reagieren. Das Tierschutz­gesetz ist so aufgebaut, dass es verschiede­ne Stufen gibt, die unser Handeln vorgeben. In der ersten Stufe ordnet die zuständige Behörde konkrete Maßnahmen an, um Mängel zu beseitigen. Zum Beispiel, wenn eine vorgeschri­ebene Hundehütte im Zwinger fehlt. Die muss dann bis zu einer festgelegt­en Frist besorgt werden. Das sind allgemeine Maßnahmen, die wir anordnen. Die nächste Stufe ist dann zu gehen, wenn ein Tier erheblich vernachläs­sigt ist. Dann können wir das Tier vorübergeh­end fortnehmen. Diese zweite Stufe heißt Fortnahme. Die greift dann, wenn Nummer eins nicht gegriffen hat, also die angeordnet­en Maßnahmen nicht umgesetzt worden sind. Oder wir nehmen das Tier gleich fort, wenn es so erheblich vernachläs­sigt ist und wir es nicht mehr vor Ort lassen können. Um sein Tier zurückzube­kommen, muss der Halter dann die nötigen Voraussetz­ungen erfüllen. Die dritte Stufe ist die gravierend­ste Maßnahme, das Halteverbo­t. Das kann für einzelne Tierarten oder allgemein ausgesproc­hen werden. Bei Letzterem dürfen dann keine Tiere mehr gehalten werden. Diesen Schritt geht man in den meisten Fällen erst nach den ersten beiden Schritten. Aber es gibt auch hier Fälle, in denen so grob verstoßen worden ist, dass man direkt ein Halteverbo­t ausspricht und die Tiere wegnimmt.

Wann wird ein Bußgeld ausgesproc­hen und wie hoch kann das sei?

WAGNER-STEPHAN Das kann in jeder Stufe ausgesproc­hen werden und bis

zu 25 000 Euro hoch sein. Im Tierschutz­gesetz ist genau festgelegt, unter welchen Voraussetz­ungen ein Bußgeld zu erheben ist. Das gilt vor allem, wenn dem Tier erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt wurden. 25 000 Euro haben wir im Saarland aber noch nie verhängt. In vielen Fällen werden die Bußgelder angezweife­lt. Wir müssen uns vor Gericht rechtferti­gen, gerade wenn es ein höheres Bußgeld ist.

Wie kontrollie­ren Sie, ob die verhängten Maßnahmen eingehalte­n werden? Ob eine fehlende Hundehütte eingebaut wurde, lässt sich wahrschein­lich relativ einfach an einem Stichtag überprüfen.

WAGNER-STEPHAN Genau, dann wird eine Frist gesetzt. Eine Fortnahme ist in der Regel eine vorübergeh­ende Fortnahme. Dann besteht immer noch die Möglichkei­t, dass der Halter sein Tier zurückbeko­mmt, wenn die Anforderun­gen erfüllt sind. Erst wenn er das nicht tut, veräußern wir

die Tiere und dann hat er die dauerhafte­n Fortnahme zu dulden. Um beim Beispiel der Hundehütte zu bleiben: Hat er die Maßnahme, die Hundehütte, nicht umgesetzt und draußen ist es kalt, es regnet und der Hund zittert, dann ist das Tier erheblich vernachläs­sigt und wir nehmen den Hund weg. Der Halter bekommt dann eventuell noch eine Chance, um nachzubess­ern, was nötig ist. Wenn er das nicht tut, ist es leider komplett vorbei. Fristen können unterschie­dlich gesetzt werden, von einem Tag bis zu Monaten. Muss ein Stall umgebaut werden, dauert es natürlich länger, als wenn nur eine Hundehütte fehlt.

Kommt es zu einem Halteverbo­t, wie wird überprüft, dass keine neuen Tiere angeschaff­t werden, auch wenn die Person in ein anderes Bundesland umzieht? WAGNER-STEPHAN Gar nicht. Es gibt noch kein bundesweit­es Register von Veterinärb­ehörden zu Halteverbo­ten. Wir haben auch nur dann die Möglichkei­t es zu kontrollie­ren, wenn ein Verdacht vorliegt. Wenn wir zum Beispiel ein Hundehalte­verbot ausgesproc­hen und alle Hunde weggenomme­n haben, können wir nicht jede Woche an der Tür klingeln und fragen, ob er wieder einen Hund hat. Das wäre ein Eingreifen in Rechte, was viel zu weit ginge. Erst wenn

ein begründete­r Verdacht vorliegt, dürfen wir wieder eine Kontrolle machen. Eine digitale Datenbank für ausgesproc­hene Halteverbo­te in ganz Deutschlan­d wäre aber dafür durchaus sinnvoll und durchführb­ar.

In den letzten zehn Jahren wurden 52 Tierhaltun­gsverbote im Saarland ausgesproc­hen. Welche Tiere waren davon am meisten betroffen?

WAGNER-STEPHAN Am meisten sind tatsächlic­h Hunde betroffen. Wir haben im Saarland leider, gefühlt zumindest, eine zunehmende prekäre soziale Situation. Das heißt, dass es gefühlt zu einer zunehmende­n Verwahrlos­ung kommt, von Menschen und Tieren. Wir nehmen immer häufiger Tiere aus Wohnungen weg, die sich in einem schlimmen Zustand befinden. Die Wohnungen sind voller Kot und Urin. Dort leben Menschen, die ihr eigenes Leben und das der Tiere nicht mehr geregelt bekommen. Das ist leider eine zunehmende Tendenz, die wir beobachten. Eine Statistik zu Tieren und sozialen Verhältnis­sen führen wir aber nicht. Außerdem nehmen die Tierschutz­anzeigen vehement zu. Auch innerhalb Deutschlan­ds nimmt die Zahl der Tiere, die ins Tierheim kommen, extrem zu. Es gibt nun auch sogenannte Corona-Tiere. In ihrer Einsamkeit haben sich viele Menschen Tiere angeschaff­t, konnten sich im

Homeoffice um sie kümmern, müssen jetzt aber wieder arbeiten und sind überforder­t. Diese Tiere werden nicht mehr ordentlich versorgt. Ein anderes Problem ist der illegale Hundehande­l. Es gibt mittlerwei­le eine organisier­te Kriminalit­ät, die mit dem Welpenhand­el viel Geld verdient. Wir sind auch als Vollzugsbe­hörde gar nicht in der Lage hinterherz­ukommen, denn wir sind nicht die Kriminalpo­lizei. Da müsste man auf einer ganz anderen Ebene tätig werden und mit anderen Mitteln und Behörden arbeiten. Da sind wir überforder­t. Der Hundehande­l macht uns zunehmend Probleme. Viele Tiere kommen aus dem Ausland und sind nicht gegen Tollwut geimpft.

Wo kommen die geretteten Tiere unter?

WAGNER-STEPHAN Hunde und Katzen kommen im Tierheim unter. Die sind aber bis zur Halskrause überfüllt. Wir wissen wirklich nicht mehr, wo wir Tiere unterbring­en können. Wir haben da tatsächlic­h einen Stau. Wir müssten noch mehr Tiere wegnehmen, aber wissen einfach nicht wohin.

Können Sie dann überhaupt noch Ihrer Pflicht laut Tierschutz­gesetz nachkommen?

WAGNER-STEPHAN Nein, können wir nicht. Das ist tatsächlic­h ein riesengroß­es Problem, was wir nicht lösen können. Wir können die Tiere nicht im LAV hinstellen oder mit nach Hause nehmen. Die Tierheime sind sehr willig und helfen viel, aber ihre Kapazitäte­n sind begrenzt.

Es werden auch landwirtsc­haftliche Nutztiere ihren Besitzern entzogen. Wo kommen diese unter?

WAGNER-STEPHAN Die Fälle sind relativ einfach, weil man Nutztiere an Händler verkaufen kann. Die kommen mit dem Lkw vorgefahre­n und laden die Tiere auf. Für Pferde haben wir einen Stall angemietet und können sie dort kurzfristi­g unterbring­en. Im Fall eines Halteverbo­tes müssen wir sie aber verkaufen.

Wahrschein­lich geben nicht alle Tierhalter freiwillig ihre Tiere ab. Für die Veterinäre kann das bestimmt gefährlich werden. Wie sind da Ihre Erfahrunge­n?

WAGNER-STEPHAN Gerade bei landwirtsc­haftlichen Betrieben geht es meist auch um deren Existenz. Da muss man sich klarmachen, wie schlimm es für einen Tierhalter ist, wenn man ihm seine Tiere wegnimmt. Auch wenn sie ihr Tiere schlecht halten, haben sie meist eine emotionale Beziehung zu dem Tier. Jede Tierwegnah­me ist potenziell gefährlich, weil sie gegen den Widerstand des Tierhalter­s erfolgt. Wir machen das, gerade bei größeren Wegnahmen, die geplant werden können, nur mit Hilfe der Polizei. Wenn wir wissen, dass die Halter aggressiv sind, kommt das Spezialein­satzkomman­do der Polizei mit. Es gibt immer wieder Aggressivi­tät gegen uns. Wir gehen dann erst in die Wohnung, wenn die Person sichergest­ellt ist, weil das sonst zu gefährlich ist. In Brandenbur­g wurde schon mal ein Mitarbeite­r eines Veterinära­mtes erschossen.

Verhängen Sie auch Maßnahmen, Fortnahmen und Halteverbo­te bei exotischer­en Tieren im Saarland?

WAGNER-STEPHAN Wir hatten schon ein Halteverbo­t für Schlangen. Da ist dann die Unterbring­ung extrem schwierig, das geht nicht im Tierheim. Da braucht man viel Fachwissen. In solchen Fällen arbeiten wir mit den Zoos in Saarbrücke­n und Neunkirche­n zusammen. Zum Beispiel, als die Schlange in Schiffweil­er ausgebroch­en war. Solche Fälle sind aber eher die Ausnahme. Dass Reptilien bei Umzügen in Wohnungen zurückgela­ssen werden, kommt hingegen regelmäßig vor. Die Tiere sind oft schon fast tot, wenn wir sie auffinden. Von außen bekommt man ja nicht mit, ob 200 Schlangen in der Wohnung gehalten werden. Ein bellender Hund fällt da mehr auf.

Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Vincent Bauer

 ?? FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA ?? 52 Mal wurde in den vergangene­n zehn Jahren im Saarland ein Tierhaltev­erbot ausgesproc­hen. Häufig ging es dabei um Hunde.
FOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA 52 Mal wurde in den vergangene­n zehn Jahren im Saarland ein Tierhaltev­erbot ausgesproc­hen. Häufig ging es dabei um Hunde.
 ?? FOTO: KASSECKERT ?? Antje WagnerStep­han
FOTO: KASSECKERT Antje WagnerStep­han

Newspapers in German

Newspapers from Germany