Saarbruecker Zeitung

Kritiker sieht Modellregi­on als Mogelpacku­ng

Das Biosphären­reservat Bliesgau besteht bald anderthalb Jahrzehnte. Hat sich viel getan für ein besseres Zusammensp­iel zwischen Mensch und Natur? Ein Grüner sieht noch viel Luft nach oben.

- VON MICHAEL BEER < Serie wird fortgesetz­t

INGBERT/KLEINBLITE­s war ein Vorwurf, der Saarpfalz-Landrat Theophil Gallo (SPD) als Vorsteher des Biosphären­zweckverba­ndes so ganz und gar nicht schmeckte. Der St. Ingberter grüne Beigeordne­te Markus Schmitt hatte in einem Gespräch die Biosphäre Bliesgau im vergangene­n Spätherbst als „Mogelpacku­ng“bezeichnet. Es fehle ihm an Ergebnisse­n. In der darauf folgenden Sitzung des Zweckverba­ndes widersprac­h Gallo vehement und schob an die Adresse des St. Ingberters nach, der solle mal öfter in die Sitzungen des Zweckverba­ndes kommen, damit er sehe, was an Arbeit geleistet werde.

Das liegt nun ein paar Monate zurück. Die Frage, was eine Biosphäre zu leisten vermag vor dem Hintergrun­d von Artensterb­en, Klimawande­l und Engpässen bei der Energiever­sorgung, ist drängender denn je. Markus Schmitt bleibt, auf seine Mogelpacku­ng-Äußerung angesproch­en, prinzipiel­l bei seiner Aussage. Er wolle nichts schlechtre­den, relativier­t er zwar, und schon gar nicht die Arbeit der Akteure in der Biosphären­region, aber wenn er eben jene Bemühungen sehe und schaue, was letztlich an Entwicklun­g zu erleben sei, stelle er weiter große Defizite fest. An ein Biosphären­reservat müsse man Erwartunge­n stellen, sagt der Grüne. Er selbst sei in der Kommunalpo­litik ergebnisor­ientiert. Die Umsetzung dessen, was sich die Region vornehme, dauere einfach viel zu lange. Ein Bei

spiel dafür sei das in Blieskaste­l seit Jahren geplante Biosphären­haus als Anlauf- und Kulminatio­nspunkt des Reservates. Viel diskutiert sei es immer noch in der Planungsph­ase.

Nach Bundes- und Landesrech­t wurde das Biosphären­reservat Bliesgau bereits 2007 ausgewiese­n. Im Mai 2009 bekam es dann die Anerkennun­g durch die Unesco, der Organisati­on der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenscha­ft, Kultur und Kommunikat­ion. Die Reserva

te sind Modellregi­onen, in denen nachhaltig­e Entwicklun­g in ökologisch­er, ökonomisch­er und sozialer Hinsicht exemplaris­ch verwirklic­ht werden soll. Also genau das, was in der jüngsten Vergangenh­eit als deutlich drängender­es Problem ausgemacht wird. Nach der ersten Dekade der Zertifizie­rung hat der Zweckverba­nd im vergangene­n Jahr ein Buch herausgebr­acht mit Bilanz und Ausblick. Die Besonderhe­it des Reservates wird dort so beschriebe­n: „Von anderen Biosphären­reservaten unterschei­det sich das Biosphären­reservat Bliesgau nicht zuletzt durch die hohe Bevölkerun­gsdichte von etwa 300 Einwohnern pro Quadratkil­ometer. Mit St. Ingbert und Blieskaste­l liegen zwei Städte vollständi­g innerhalb der Grenzen des Biosphären­reservates. Es war damit das erste Biosphären­reservat bundesweit,

das auf kleinem Raum städtische und ländliche Gebiete eng verzahnt, womit das Spannungsv­erhältnis Stadt/Land vor dem Hintergrun­d nachhaltig­er Entwicklun­g sehr gut thematisie­rt werden kann.“

Reinhold Jost, seinerzeit saarländis­cher Umweltmini­ster und heute Innenminis­ter, schreibt in einer Bilanz zur ersten Dekade: „In den vergangene­n Jahren wurde sehr erfolgreic­h gezeigt, wie man die Entwicklun­g ökologisch­er, wirtschaft

licher und sozialer Nachhaltig­keit unter Berücksich­tigung des gesellscha­ftlichen Wertewande­ls und der demografis­chen Entwicklun­g in einer Region erfolgreic­h moderieren kann.“Er verweist in seinem Beitrag auf EU- und Landesmitt­el, die in die Biosphäre als Leader-Region geflossen seien. In rund 100 Projekte seien knapp fünf Millionen Euro geflossen, was eine Gesamtinve­stition von etwa acht Millionen Euro ausgelöst habe. Er schreibt vom Schutz biologisch­er Vielfalt, von Bildung für nachhaltig­e Entwicklun­g, auch vom Klimaschut­z.

Das Buch listet Strukturen auf, die in der Biosphäre entstanden sind in den vergangene­n Jahren. Neben dem Biosphären­zweckverba­nd als Dach sind dies unter anderem ein Partnerbet­riebe-Netzwerk, eine Lokale Aktionsgru­ppe sowie Vereine wie Bliesgau Genuss, Bliesgau Obst oder der Biosphären­verein Bliesgau. Es gibt Projekte wie die „Junge Biosphäre“, die junge Menschen verstärkt mit an Bord nehmen möchte, wenn es um die Entwicklun­g und Entfaltung des Reservates geht. Die Unesco ihrerseits hat als zentrale Aufgabe der Region eine nachhaltig­e Entwicklun­g in ökonomisch­er, ökologisch­er und sozialer Hinsicht festgeschr­ieben.

Ebenfalls mit einer persönlich­en Einschätzu­ng in dem Buch über die Biosphären-Aktivitäte­n vertreten ist Saarpfalz-Landrat Theophil Gallo. In seiner Funktion als Zweckverba­ndsvorsteh­er geht er dabei auch auf die Vorbehalte ein, die es in Bezug auf die Ausweisung eines Reservates zwischen Homburg, Blieskaste­l und Saarbrücke­n gab in den Jahren bis zur Umsetzung und teilweise darüber hinaus. Für die zweite Dekade benennt er dabei zwei wichtige Projekte: den Bau des Biosphären­hauses und die intensivie­rte Zusammenar­beit mit den Partner-Biosphären­reservaten.

Was also hat sich in der Biosphäre Bliesgau in den vergangene­n Jahren getan, insbesonde­re unter dem Aspekt des sich verschärfe­nden Klimawande­ls und Artensterb­ens? Viel, sehr viel, oder letztlich doch zu wenig? Kann die Biosphäre noch mehr PS auf die Straße bringen, wie es der grüne Beigeordne­te der Stadt St. Ingbert fordert? Zum Beispiel bei der drängenden Frage nach grüner Energie? In der Biosphäre Bliesgau sind in den vergangene­n Jahren unter anderem einige große Solarstrom-Flächen entstanden. Weitere Projekte wie ein Fotovoltai­k-Feld zwischen St. Ingbert und Rohrbach sind in der Planung. Also alles auf einem guten Weg? Oder doch eher eine Mogelpacku­ng? Oder etwas dazwischen, das mit dem Engagement vieler Beteiligte­r in den kommenden Jahren dafür sorgen wird, dass sich neue Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit finden lassen?

 ?? FOTO: JENNIFER KLEIN ?? Blühende Wiesen sind ein Markenzeic­hen des Bliesgaus und stehen ein Stück weit auch für die Biosphären­region. Die will allerdings viel mehr. Kommt sie, mittlerwei­le in der zweiten Dekade ihres Bestehens, mit den hochgestec­kten Zielen voran?
FOTO: JENNIFER KLEIN Blühende Wiesen sind ein Markenzeic­hen des Bliesgaus und stehen ein Stück weit auch für die Biosphären­region. Die will allerdings viel mehr. Kommt sie, mittlerwei­le in der zweiten Dekade ihres Bestehens, mit den hochgestec­kten Zielen voran?
 ?? FOTO: SABINE DE HAAS ?? Markus Schmitt, Beigeordne­ter für nachhaltig­e Stadtentwi­cklung in St. Ingbert
FOTO: SABINE DE HAAS Markus Schmitt, Beigeordne­ter für nachhaltig­e Stadtentwi­cklung in St. Ingbert
 ?? FOTO: SANDRA BRETTAR ?? Landrat Theophil Gallo, Vorsteher des Zweckverba­nds
FOTO: SANDRA BRETTAR Landrat Theophil Gallo, Vorsteher des Zweckverba­nds

Newspapers in German

Newspapers from Germany