Kritiker sieht Modellregion als Mogelpackung
Das Biosphärenreservat Bliesgau besteht bald anderthalb Jahrzehnte. Hat sich viel getan für ein besseres Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur? Ein Grüner sieht noch viel Luft nach oben.
INGBERT/KLEINBLITEs war ein Vorwurf, der Saarpfalz-Landrat Theophil Gallo (SPD) als Vorsteher des Biosphärenzweckverbandes so ganz und gar nicht schmeckte. Der St. Ingberter grüne Beigeordnete Markus Schmitt hatte in einem Gespräch die Biosphäre Bliesgau im vergangenen Spätherbst als „Mogelpackung“bezeichnet. Es fehle ihm an Ergebnissen. In der darauf folgenden Sitzung des Zweckverbandes widersprach Gallo vehement und schob an die Adresse des St. Ingberters nach, der solle mal öfter in die Sitzungen des Zweckverbandes kommen, damit er sehe, was an Arbeit geleistet werde.
Das liegt nun ein paar Monate zurück. Die Frage, was eine Biosphäre zu leisten vermag vor dem Hintergrund von Artensterben, Klimawandel und Engpässen bei der Energieversorgung, ist drängender denn je. Markus Schmitt bleibt, auf seine Mogelpackung-Äußerung angesprochen, prinzipiell bei seiner Aussage. Er wolle nichts schlechtreden, relativiert er zwar, und schon gar nicht die Arbeit der Akteure in der Biosphärenregion, aber wenn er eben jene Bemühungen sehe und schaue, was letztlich an Entwicklung zu erleben sei, stelle er weiter große Defizite fest. An ein Biosphärenreservat müsse man Erwartungen stellen, sagt der Grüne. Er selbst sei in der Kommunalpolitik ergebnisorientiert. Die Umsetzung dessen, was sich die Region vornehme, dauere einfach viel zu lange. Ein Bei
spiel dafür sei das in Blieskastel seit Jahren geplante Biosphärenhaus als Anlauf- und Kulminationspunkt des Reservates. Viel diskutiert sei es immer noch in der Planungsphase.
Nach Bundes- und Landesrecht wurde das Biosphärenreservat Bliesgau bereits 2007 ausgewiesen. Im Mai 2009 bekam es dann die Anerkennung durch die Unesco, der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation. Die Reserva
te sind Modellregionen, in denen nachhaltige Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hinsicht exemplarisch verwirklicht werden soll. Also genau das, was in der jüngsten Vergangenheit als deutlich drängenderes Problem ausgemacht wird. Nach der ersten Dekade der Zertifizierung hat der Zweckverband im vergangenen Jahr ein Buch herausgebracht mit Bilanz und Ausblick. Die Besonderheit des Reservates wird dort so beschrieben: „Von anderen Biosphärenreservaten unterscheidet sich das Biosphärenreservat Bliesgau nicht zuletzt durch die hohe Bevölkerungsdichte von etwa 300 Einwohnern pro Quadratkilometer. Mit St. Ingbert und Blieskastel liegen zwei Städte vollständig innerhalb der Grenzen des Biosphärenreservates. Es war damit das erste Biosphärenreservat bundesweit,
das auf kleinem Raum städtische und ländliche Gebiete eng verzahnt, womit das Spannungsverhältnis Stadt/Land vor dem Hintergrund nachhaltiger Entwicklung sehr gut thematisiert werden kann.“
Reinhold Jost, seinerzeit saarländischer Umweltminister und heute Innenminister, schreibt in einer Bilanz zur ersten Dekade: „In den vergangenen Jahren wurde sehr erfolgreich gezeigt, wie man die Entwicklung ökologischer, wirtschaft
licher und sozialer Nachhaltigkeit unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wertewandels und der demografischen Entwicklung in einer Region erfolgreich moderieren kann.“Er verweist in seinem Beitrag auf EU- und Landesmittel, die in die Biosphäre als Leader-Region geflossen seien. In rund 100 Projekte seien knapp fünf Millionen Euro geflossen, was eine Gesamtinvestition von etwa acht Millionen Euro ausgelöst habe. Er schreibt vom Schutz biologischer Vielfalt, von Bildung für nachhaltige Entwicklung, auch vom Klimaschutz.
Das Buch listet Strukturen auf, die in der Biosphäre entstanden sind in den vergangenen Jahren. Neben dem Biosphärenzweckverband als Dach sind dies unter anderem ein Partnerbetriebe-Netzwerk, eine Lokale Aktionsgruppe sowie Vereine wie Bliesgau Genuss, Bliesgau Obst oder der Biosphärenverein Bliesgau. Es gibt Projekte wie die „Junge Biosphäre“, die junge Menschen verstärkt mit an Bord nehmen möchte, wenn es um die Entwicklung und Entfaltung des Reservates geht. Die Unesco ihrerseits hat als zentrale Aufgabe der Region eine nachhaltige Entwicklung in ökonomischer, ökologischer und sozialer Hinsicht festgeschrieben.
Ebenfalls mit einer persönlichen Einschätzung in dem Buch über die Biosphären-Aktivitäten vertreten ist Saarpfalz-Landrat Theophil Gallo. In seiner Funktion als Zweckverbandsvorsteher geht er dabei auch auf die Vorbehalte ein, die es in Bezug auf die Ausweisung eines Reservates zwischen Homburg, Blieskastel und Saarbrücken gab in den Jahren bis zur Umsetzung und teilweise darüber hinaus. Für die zweite Dekade benennt er dabei zwei wichtige Projekte: den Bau des Biosphärenhauses und die intensivierte Zusammenarbeit mit den Partner-Biosphärenreservaten.
Was also hat sich in der Biosphäre Bliesgau in den vergangenen Jahren getan, insbesondere unter dem Aspekt des sich verschärfenden Klimawandels und Artensterbens? Viel, sehr viel, oder letztlich doch zu wenig? Kann die Biosphäre noch mehr PS auf die Straße bringen, wie es der grüne Beigeordnete der Stadt St. Ingbert fordert? Zum Beispiel bei der drängenden Frage nach grüner Energie? In der Biosphäre Bliesgau sind in den vergangenen Jahren unter anderem einige große Solarstrom-Flächen entstanden. Weitere Projekte wie ein Fotovoltaik-Feld zwischen St. Ingbert und Rohrbach sind in der Planung. Also alles auf einem guten Weg? Oder doch eher eine Mogelpackung? Oder etwas dazwischen, das mit dem Engagement vieler Beteiligter in den kommenden Jahren dafür sorgen wird, dass sich neue Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit finden lassen?