Festival Perspectives: Ein Besuch im Zirkusdorf
Seit drei Tagen wohnen die Artisten von Akoreacro vor dem Staatstheater. Heute Abend eröffnen sie das Theaterfestival.
Nanu! Wo laufen sie denn, möchte man mit Loriot fragen. Es ist schon sieben Uhr abends, und das kleine Wohnwagen-Lager der französischen Zirkustruppe Akoreacro auf der Wiese neben dem Staatstheater wirkt fast wie ausgestorben. Nur zwei winzige Hunde, einer schwarz, einer weiß, wuseln herum, gefolgt von zwei Kindern, die es schnell wieder ins Kantinenzelt zieht, wo eine Frau schon die Warmhaltepfannen auf den Rechauds zurechtrückt.
„Die anderen sind noch beim Proben“, sagt Jeff Pyka, der Tourmanager von Akoreacro. Schließlich feiert die Truppe mit ihrem Straßentheaterstück „Arrêt d’urgence“, auf Deutsch „Nothalt“, zur Eröffnung des Festivals Perspectives an diesem Donnerstag im Deutsch-Französischen Garten nicht nur Deutschlandpremiere. Sie haben es auch seit vorigem Sommer nicht mehr aufgeführt.
Die Truppe mit der Spezialität Akrobatik und Live-Musik habe nämlich zwei verschiedene Produktionen, erzählt Jeff. Die eine spiele sie in ihrem eigenen roten Zirkuszelt, die andere unter freiem Himmel. So können sie das ganze Jahr über, zu jeder Jahreszeit, auf Tour gehen.
Angereist sind sie jetzt gerade aus Villefranche-sur-Saône bei Lyon, von Saarbrücken aus ziehen sie weiter nach Rennes in die Nähe von Rouen, Anfang Juli nach SaintÉtienne und dann zu zwei großen Straßentheaterfestivals, das eine in Châlons-sur-Saône, das andere in Polen, direkt an der Grenze zur Ukraine. „In Saarbrücken beginnt für
uns mit diesem Straßentheaterstück also die diesjährige Sommersaison“, sagt Jeff und lächelt.
Ohne Zelt sind sie hier, haben deshalb auch nur einen statt sonst zwei Lkw dabei. Und 15 Wohnwagen. Denn wo die Wagen stehen, da ist die 20-köpfige Gruppe „zu Hause“. „Wir haben kein Basislager, wir sind immer unterwegs“, sagt Jeff. Man müsse das schon mögen, aber dann
sei es ein Traum, den man lebe. Der harte Kern von Akoreacro hat sich schon auf der Zirkusschule kennengelernt, auf der École Nationale de Cirque de Châtellerault in der Nähe von Orléans, vor rund 15 Jahren. In der Truppe findet man Artisten aus Belarus, aus Spanien, die meisten aber sind Franzosen. Es gebe kaum Fluktuation, sagt Jeff, der vor langer Zeit über Bekannte und eher durch
Zufall zu dem Job des Tourmanagers kam. Man muss sich diese Zirkustruppe wohl eher wie eine Wohngemeinschaft auf Rädern vorstellen. „Wir haben sogar eine Erzieherin dabei, die die Kinder unterrichtet“, erzählt Jeff und schließt kurz den Schulwohnwagen auf. Jeden Nachmittag finde der Unterricht im Wagen statt, vormittags gehe es zu Besichtigungen und Aktionen in die jeweilige Stadt, in der man gastiere. Es waren schon bis zu vier Kinder der Artisten mit auf Tour, derzeit sind es nur zwei, Gaspard und Alice, die von allen mitbetreut werden.
Riesig groß erscheint auch der Wohnwagen zum Kochen, in dem Marie Doyen das Sagen hat. „Ja, er ist wie eine Drei-Sterne-Küche eingerichtet, mit lauter Profi-Material“, erklärt Jeff begeistert. Alles andere wäre auch unfair. Denn vom Aufwand her entspricht die Bewirtung der 20 Artisten,Techniker, sonstigen Helfer plus Kinder, die Marie hier täglich zu managen hat, durchaus einem kleinen Restaurant.
Das Menü an diesem Abend: Salat als Vorspeise, Chili con carne, für Vero und Tonio ohne Fleisch, mit Reis, als Nachspeise Baba au rhum ohne Rum und Vanille-Kokos-Schaum mit grüner Zitrone und Erdbeer-Coulis. Und wie man das aus WGs kennt, müssen sich jeweils drei „Freiwillige“für Tischdecken und Abräumen in einen Plan eintragen. Noch fehlen welche.
Kurz vor halb acht trudeln endlich die Artisten ein. Tropfenweise hintereinander, wie ermattete Sportler, die nach einer endlos langen Strecke einlaufen. „Magnifique!“schwärmt Jeff, sei der Deutsch-Französische Garten, in dem die Akoreacro am Donnerstag auftreten. Geprobt wird aber nicht dort, sondern auf den Saarterrassen,
hinter dem E-Werk. Dort haben sie mehr Ruhe und werden nicht beobachtet. „Das Stück ist voller Humor, voller scheinbarer Unfälle und überraschender Wendungen“, sagt Jeff. Deshalb sollen wir im Vorhinein auch nicht zu viel verraten, bittet er. Machen wir doch glatt.
Akoreacro eröffnet heute um 20.30 Uhr das Festival Perspectives mit seinem Stück „Arrêt d’urgence“. Die Aufführung ist im Deutsch-Französischen Garten. Weitere Auftritte sind am 26. Mai, 21 Uhr, im Archäologiepark Bliesbruck-Reinheim, am 27. Mai, 21 Uhr, im Weltkulturerbe Völklinger Hütte und am 28. Mai, 21 Uhr, in Saargemünd auf dem Parkplatz Grande Armee. Karten und Infos: www. festival-perspectives.de, www.akoreacro.com