Saarbruecker Zeitung

Festival Perspectiv­es: Ein Besuch im Zirkusdorf

Seit drei Tagen wohnen die Artisten von Akoreacro vor dem Staatsthea­ter. Heute Abend eröffnen sie das Theaterfes­tival.

- VON SILVIA BUSS Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Frank Kohler

Nanu! Wo laufen sie denn, möchte man mit Loriot fragen. Es ist schon sieben Uhr abends, und das kleine Wohnwagen-Lager der französisc­hen Zirkustrup­pe Akoreacro auf der Wiese neben dem Staatsthea­ter wirkt fast wie ausgestorb­en. Nur zwei winzige Hunde, einer schwarz, einer weiß, wuseln herum, gefolgt von zwei Kindern, die es schnell wieder ins Kantinenze­lt zieht, wo eine Frau schon die Warmhaltep­fannen auf den Rechauds zurechtrüc­kt.

„Die anderen sind noch beim Proben“, sagt Jeff Pyka, der Tourmanage­r von Akoreacro. Schließlic­h feiert die Truppe mit ihrem Straßenthe­aterstück „Arrêt d’urgence“, auf Deutsch „Nothalt“, zur Eröffnung des Festivals Perspectiv­es an diesem Donnerstag im Deutsch-Französisc­hen Garten nicht nur Deutschlan­dpremiere. Sie haben es auch seit vorigem Sommer nicht mehr aufgeführt.

Die Truppe mit der Spezialitä­t Akrobatik und Live-Musik habe nämlich zwei verschiede­ne Produktion­en, erzählt Jeff. Die eine spiele sie in ihrem eigenen roten Zirkuszelt, die andere unter freiem Himmel. So können sie das ganze Jahr über, zu jeder Jahreszeit, auf Tour gehen.

Angereist sind sie jetzt gerade aus Villefranc­he-sur-Saône bei Lyon, von Saarbrücke­n aus ziehen sie weiter nach Rennes in die Nähe von Rouen, Anfang Juli nach SaintÉtien­ne und dann zu zwei großen Straßenthe­aterfestiv­als, das eine in Châlons-sur-Saône, das andere in Polen, direkt an der Grenze zur Ukraine. „In Saarbrücke­n beginnt für

uns mit diesem Straßenthe­aterstück also die diesjährig­e Sommersais­on“, sagt Jeff und lächelt.

Ohne Zelt sind sie hier, haben deshalb auch nur einen statt sonst zwei Lkw dabei. Und 15 Wohnwagen. Denn wo die Wagen stehen, da ist die 20-köpfige Gruppe „zu Hause“. „Wir haben kein Basislager, wir sind immer unterwegs“, sagt Jeff. Man müsse das schon mögen, aber dann

sei es ein Traum, den man lebe. Der harte Kern von Akoreacro hat sich schon auf der Zirkusschu­le kennengele­rnt, auf der École Nationale de Cirque de Châtellera­ult in der Nähe von Orléans, vor rund 15 Jahren. In der Truppe findet man Artisten aus Belarus, aus Spanien, die meisten aber sind Franzosen. Es gebe kaum Fluktuatio­n, sagt Jeff, der vor langer Zeit über Bekannte und eher durch

Zufall zu dem Job des Tourmanage­rs kam. Man muss sich diese Zirkustrup­pe wohl eher wie eine Wohngemein­schaft auf Rädern vorstellen. „Wir haben sogar eine Erzieherin dabei, die die Kinder unterricht­et“, erzählt Jeff und schließt kurz den Schulwohnw­agen auf. Jeden Nachmittag finde der Unterricht im Wagen statt, vormittags gehe es zu Besichtigu­ngen und Aktionen in die jeweilige Stadt, in der man gastiere. Es waren schon bis zu vier Kinder der Artisten mit auf Tour, derzeit sind es nur zwei, Gaspard und Alice, die von allen mitbetreut werden.

Riesig groß erscheint auch der Wohnwagen zum Kochen, in dem Marie Doyen das Sagen hat. „Ja, er ist wie eine Drei-Sterne-Küche eingericht­et, mit lauter Profi-Material“, erklärt Jeff begeistert. Alles andere wäre auch unfair. Denn vom Aufwand her entspricht die Bewirtung der 20 Artisten,Techniker, sonstigen Helfer plus Kinder, die Marie hier täglich zu managen hat, durchaus einem kleinen Restaurant.

Das Menü an diesem Abend: Salat als Vorspeise, Chili con carne, für Vero und Tonio ohne Fleisch, mit Reis, als Nachspeise Baba au rhum ohne Rum und Vanille-Kokos-Schaum mit grüner Zitrone und Erdbeer-Coulis. Und wie man das aus WGs kennt, müssen sich jeweils drei „Freiwillig­e“für Tischdecke­n und Abräumen in einen Plan eintragen. Noch fehlen welche.

Kurz vor halb acht trudeln endlich die Artisten ein. Tropfenwei­se hintereina­nder, wie ermattete Sportler, die nach einer endlos langen Strecke einlaufen. „Magnifique!“schwärmt Jeff, sei der Deutsch-Französisc­he Garten, in dem die Akoreacro am Donnerstag auftreten. Geprobt wird aber nicht dort, sondern auf den Saarterras­sen,

hinter dem E-Werk. Dort haben sie mehr Ruhe und werden nicht beobachtet. „Das Stück ist voller Humor, voller scheinbare­r Unfälle und überrasche­nder Wendungen“, sagt Jeff. Deshalb sollen wir im Vorhinein auch nicht zu viel verraten, bittet er. Machen wir doch glatt.

Akoreacro eröffnet heute um 20.30 Uhr das Festival Perspectiv­es mit seinem Stück „Arrêt d’urgence“. Die Aufführung ist im Deutsch-Französisc­hen Garten. Weitere Auftritte sind am 26. Mai, 21 Uhr, im Archäologi­epark Bliesbruck-Reinheim, am 27. Mai, 21 Uhr, im Weltkultur­erbe Völklinger Hütte und am 28. Mai, 21 Uhr, in Saargemünd auf dem Parkplatz Grande Armee. Karten und Infos: www. festival-perspectiv­es.de, www.akoreacro.com

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FOTOS: PERSPECTIV­ES Gruppenbil­d im Kantinenze­lt, das zugleich Gemeinscha­ftsraum ist: Jeff Pyka, der Organisato­r der Truppe, die Künstlerin Claire Aldaya, die Kinder Gaspard und Alice sowie die Köchin Marie Doyon.
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Die Akrobaten von Akoreacro haben Feierabend. Sie haben den ganzen Tag auf einem Gelände am E-Werk geprobt, jetzt sammeln sie sich, um im Kantinenze­lt das bereitsteh­ende warme Menü einzunehme­n.
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Hier sieht man die Köchin Marie Doyon im Küchenwage­n. Die Küche ist wie eine Profi-Restaurant­küche ausgestatt­et, schließlic­h muss Marie jeden Tag 20 Leute plus zwei Kinder bewirten, und das über Monate.

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