Saarbruecker Zeitung

Sie wollen es wissen in der Kanzler-Frage

Wer wird der Kanzlerkan­didat der Union? Die Frage treibt CDU und CSU bereits um. Umso mehr, als die Berliner Ampel mächtig schwächelt. Drei haben momentan Ambitionen und Chancen – der Gewandelte, der Inszeniere­r und der Unberechen­bare.

- VON HAGEN STRAUSS UND MAXIMILIAN PLÜCK

BERLIN Friedrich Merz (CDU) wird derzeit nicht müde, den einen Satz zu wiederhole­n, wenn er nach einer möglichen Kanzlerkan­didatur gefragt wird: „Das entscheide­n wir im Spätsommer 2024.“Kürzlich nahm sich der Sauerlände­r sogar Journalist­en zur Brust, die anderes berichtet hatten. Merz will sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen.

Der Kampf zwischen CDU und CSU bis aufs politische Blut wie vor der Bundestags­wahl 2021 soll sich nicht wiederhole­n. Am Ende, so heißt es, werde die Frage zusammen mit CSU-Chef Markus Söder entschiede­n. Dass Merz will, dass er die Zeit bis zum Spätsommer kommenden Jahres in eigener Sache nutzen möchte, gilt als sicher. „Er brennt“, sagt einer aus seinem Umfeld. Käme es morgen zu Neuwahlen, er wäre der Kandidat. Aber danach sieht es nicht aus, trotz der Streiterei­en in der Berliner Ampel. Die Frage, ob es Merz vielleicht reiche, die Partei zu erneuern und sie als Vorsitzend­er zurück in die Regierung zu führen, wird mit „Nein“beantworte­t – „zum jetzigen Zeitpunkt“.

Zum jetzigen Zeitpunkt. Um die Schwächen des Sauerlände­rs weiß jeder in der CDU. Merz als Person steht nicht gerade für Aufbruch. Bei jungen Wählern und Frauen kommt er nicht gut an. Auch nicht beim vermeintli­ch modernen, städtische­n Milieu. Doch genau die alle braucht die Union, um sicher nach der nächsten Wahl regieren zu können. Dabei hat sich der 67-jährige

Parteichef gewandelt, er ist mehr ein Mann der Mitte geworden, um die Partei zusammenzu­halten. Verbale Fehltritte, wie die kleinen Paschas, zeigen zwischendu­rch aber noch den anderen Merz. Den, den sich die Konservati­ven gewünscht hatten.

Vom Thema Migration lässt er jetzt lieber die Finger. Gleichwohl weiß man in der Union auch um seine Stärken: Merz hat den Erneuerung­sprozess der CDU mit dem neuen Grundsatzp­rogramm angestoßen. Er stellt den Kanzler im Parlament wie kein anderer. Er halte den Laden im Bundestag zusammen, sagen viele. Für jemanden, der Jahre aus der Bundespoli­tik verschwund­en gewesen ist, ist das eine Leistung.

Aber da sind nun mal die nur 30 Prozent in den Umfragen. In der CSU wird bereits gefrotzelt, Merz stehe vor einer gläsernen Wand, die er nicht durchbrech­en könne. Nächstes Jahr ist Europawahl. Drei Landtagswa­hlen finden zudem im Osten statt – mit einer starken AfD. Ausgerechn­et dort könnte sich entscheide­n, ob Merz in der K-Frage die Oberhand behält. Oder nicht. Kurzum: Merz ist der Gewandelte.

Spricht man Hendrik Wüst auf die Kanzlerkan­didatur an, lautet die Antwort, für ihn gebe es aktuell sehr, sehr klare Aufgaben – und zwar in Nordrhein-Westfalen. Wie lange er den Zeitraum „aktuell“fasst, ist unklar. Gerade erst wurde Wüst in Berlin mit Tamtam zum Politiker des Jahres gekürt. Dabei schreibt das Fachblatt „Politik & Kommunikat­ion“, der Geehrte „dürfte absehbar bei der nächsten Kanzlerkan­didatur der Union ein Wörtchen mitzureden haben“. Mitreden könnte untertrieb­en sein.

Die geäußerte Zurückhalt­ung des 47-Jährigen und sein Inszenieru­ngstrommel­feuer wollen nicht recht zusammenpa­ssen. Gerade erst lotste er Angela Merkel in die Kölner Flora, um ihr den Staatsprei­s von Nordrhein-Westfalen zu verleihen. Das gab schöne Bilder mit einer sichtlich entspannte­n Altkanzler­in, mit der ihn inhaltlich mehr verbindet als mit Friedrich Merz. Wüst zielt auf die Mitte. Häufig bediente er sich in der Flüchtling­skrise bei Merkel („Wir schaffen das“) und wies dagegen Merz' Pascha-Vorwürfe gegenüber jungen Migranten entschiede­n zurück („Das sind unsere Kinder“). Wüst wäre auch anders als der Anti-Grünen-Wahlkämpfe­r Söder für ein schwarz-grünes Regierungs­bündnis im Bund, hat er es doch ein Jahr lang in Düsseldorf praktizier­t. Mit seiner grünen Vize Mona Neubaur bastelt er an der ersten klimafreun­dlichen Industrie-Region Europas.

Der Opposition­sführer im Landtag, Jochen Ott (SPD), warf Wüst jüngst vor, zwar viele Sonntagsre­den zu halten. „Aber immer, wenn es konkret wird, taucht die Regierung ab.“Und FDP-Fraktionsc­hef Henning Höne ätzte, dass Wüst vor allem auf Ordensverl­eihungen anzutreffe­n sei. Zu dem chaotische­n Haushaltsv­erfahren 2023, das der Landesregi­erung zwei Verfassung­sklagen bescherte, äußerte sich Wüst kaum und überließ den Scherbenha­ufen seinem Finanzmini­ster. Bei der NRW-Abi-Panne entschuldi­gte er sich dagegen ungewöhnli­ch schnell für die verschoben­en Prüfungen. In den Umfragen ist die schwarz-grüne Mehrheit jedoch stabil. Allerdings taten sich zuletzt Risse auf; etwa durch die Weigerung von Wüsts Gesundheit­sminister Karl-Josef Laumann (CDU), die Cannabis-Legalisier­ung umzusetzen. Ein Risiko auf einem Weg hin zur Kanzlerkan­didatur ist zudem der Untersuchu­ngsausschu­ss zum A45-Brückendes­aster. Sollte sich der Vorwurf der politische­n Einflussna­hme erhärten, könnte das für Wüst zum veritablen Problem werden. Hendrik Wüst ist mithin der Inszeniere­r.

Zuletzt der Unberechen­bare. Markus Söder auf der Alm, um gegen den Wolf zu kämpfen. Markus Söder im Bierzelt, bei der Eröffnung der Landesgart­enschau, der CSUChef vor einer großen Platte mit Bratwürste­n oder beim Pizzaessen, am liebsten Salami und Schinken. Derzeit kann man dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten nicht entgehen. Weder im Freistaat, noch in den sozialen Netzwerken. Söder will's wissen. Bei der Landtagswa­hl im Oktober will er die CSU wieder deutlich über 40 Prozent hieven. Und dann...

Nein, hat der 56-Jährige zuletzt öfter gesagt, „mein Platz ist in Bayern“. Für ihn sei das Thema K-Frage erledigt. Der Freistaat sei sogar seine „Lebensaufg­abe“. Bei einem klingeln da die Ohren – bei Armin Laschet, dem gescheiter­ten Kanzlerkan­didaten aus dem Jahr 2021. Damals betonte Söder auch, nicht nach Berlin zu wollen; doch dann lieferte er sich einen erbitterte­n Machtkampf mit CDU-Mann Laschet, den er verlor. Anschließe­nd torpediert­e er den Wahlkampf nach allen Regeln der Kunst. Mag Söder in der Schwesterp­artei noch Fans haben, weil sie ihn wegen seiner Haudrauf-Politik mögen – weit mehr haben ihm nicht verziehen. „Das ist nicht vergessen“, sagt einer aus der CDU-Führung.

Söder ficht das nicht an. Er hält es wie Adenauer: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Mal ist er gegen die Atomkraft, mal dafür. Wenn es sein muss, umarmt er auch Bäume. Inzwischen ist er im bayerische­n Landtagswa­hlkampf zum Grünen-Fresser geworden. Insider sagen, Söder polarisier­e bewusst, um sein Wahlziel zu erreichen. Zum Regieren braucht er die Grünen wohl nicht. Daraus könnte man den Rückschlus­s ziehen, dass er seine Ambitionen im Bund tatsächlic­h aufgegeben hat, weil dort Schwarz-Grün nach der nächsten Bundestags­wahl durchaus eine Option sein kann. Aber das ist höhere Politik.

Vielmehr glaubt Söder sowieso keiner, dass er nach einem bajuwarisc­hen Wahltriump­h nicht erneut Ambitionen für den Bund entwickelt. Erst recht, sollte die Union im kommenden Jahr Wahlnieder­lagen einfahren. Es heißt in Berlin, Söders Bekenntnis­se nehme man zur Kenntnis, „aber keiner nimmt sie ernst“. Bayern, da ist man sich sicher, entscheide auch über die weiteren Karrierepl­äne des Franken. CDU-Chef Friedrich Merz soll auf alles vorbereite­t sein, was da aus dem Freistaat nach Berlin dröhnen könnte.

„Wir schaffen das.“Hendrik Wüst (CDU) hat sich während der Flüchtling­skrise des Merkel-Zitats bedient

 ?? FOTO: OLIVER BERG/DPA ?? Drei Männer mit möglichen Kanzler-Ambitionen (von links): Friedrich Merz (CDU-Parteivors­itzender), Hendrik Wüst (Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen) und Markus Söder (CSU-Parteivors­itzender).
FOTO: OLIVER BERG/DPA Drei Männer mit möglichen Kanzler-Ambitionen (von links): Friedrich Merz (CDU-Parteivors­itzender), Hendrik Wüst (Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen) und Markus Söder (CSU-Parteivors­itzender).

Newspapers in German

Newspapers from Germany