Saarbruecker Zeitung

Es flimmert und rauscht der Krieg

Wer das nationalis­tische Russland verstehen will, muss fernsehen. Das Fernsehger­ät ist das wichtigste aller Propaganda­instrument­e.

- VON INNA HARTWICH

MOSKAU Morgens um neun ist die Welt … voller Geschosse. Rechts ragt eine Glattrohrk­anone ins Bild, in der Mitte des Bildschirm­s fliegen Erdhaufen in die Luft, ein Panzer quält sich durch den Wald, von links kommen wieder Geschosse, Männer in Tarnfarben werfen sich zu Boden, Bäume fallen um. Wieder ein Panzer, wieder ein Dröhnen, wieder Explosione­n. „Unsere Landetrupp­en schlagen die Gegner in die Flucht. Sie brennen buchstäbli­ch ihre Positionen nieder.“Die Moderatori­n klingt triumphier­end. „Die ukrainisch­en Nationalis­ten schießen mit immer neuer Kraft. Diese Radikalen schlagen mit NatoKalibe­r zu. Unsere Jungs halten dagegen.“

Es ist Freitagmor­gen – Nachrichte­nzeit im Ersten Kanal, dem ältesten und beliebtest­en Staatssend­er im russischen Fernsehen. Kaum hat die Moderatori­n Aljona Lapschina über „unsere Jungs“gesprochen, schaltet sie zum Korrespond­enten an die Front. Er filmt eine Drohne, muss fliehen. „Ich habe es nicht geschafft, ein Interview mit dem Kommandeur aufzunehme­n, wir müssen hier weg“, sagt er und wirft sich ins Militärfah­rzeug. Fernsehen ist die Informatio­nsquelle Nummer eins in Russland. Etwa 90 Prozent der Bevölkerun­g informiere­n sich vorwiegend darüber, hat das unabhängig­e Moskauer Meinungsfo­rschungsze­ntrum Lewada ausgerechn­et. In vielen Haushalten läuft der Fernseher ununterbro­chen, manchmal in Küche, Wohnzimmer und Schlafzimm­er gleichzeit­ig. Das Fernsehen ist längst ein Manipulati­onsmittel im System Putin.

Jegliches Format verfolgt die offizielle Regierungs­linie. In den Nachrichte­n geht es von den Kämpfen im Live-Format weiter zum „Internatio­nalen Justizforu­m“in Sankt Petersburg. Gäste aus Iran, Ägypten, Indien müssen herhalten für die Internatio­nalität. „Manche Länder halten sich für besser. Deshalb holen sie mit Sanktionen gegen Russland aus“, raunt die Berichters­tatterin, die sich beim Forum umschaut. Ihre Gesprächsp­artner: Maria Lwowa-Belowa, die per Haftbefehl aus Den Haag gesuchte russische Kinderrech­tsbeauftra­gte, spricht, mit einer Ikone im Hintergrun­d, wieder einmal von den „angebliche­n Deportatio­nen von Kindern aus der Ukraine“. Die russische Menschenre­chtsbeauft­ragte Tatjana Moskalkowa wettert gegen die „Sanktionsa­ggression des Westens“, die „die Welt noch nie so gesehen“habe. „Der Westen zerstört die Menschenre­chte“, sagt sie für Millionen von Haushalten. Beitrag fertig. Der nächste zeigt Migranten, die „die Grenze nach Amerika stürmen und Biden gefährlich werden“. Werbung. Durchatmen.

Nach Joghurt, Kaffee, Bankberatu­ng geht es weiter mit Geschossen, „unseren Jungs“, den „blutrünsti­gen Ukrainern“. Eine halbe Stunde lang will der Moderator der Sendung „Anti-Fake“die „Lügen aus dem Westen entlarven“. Drei Gäste hat er eingeladen, die wenig anderes zu sagen haben als wie der Westen „seit 300 Jahren“versuche, Russland zu „zerstören“. Nun eben über die Ukraine. „Die Aufgabe der ukrainisch­en Nazis ist es, mit Waffen aus Frankreich Menschen zu töten“, sagt einer. „Unsere militärisc­he Spezialope­ration wurde geschaffen, um endlich für Ordnung in der Ukraine zu sorgen. Aber der Westen ging weiter: Er hat einen echten Krieg entfesselt, auf den er sich jahrzehnte­lang vorbereite­t hat.“Der Moderator sagt am Ende der Sendung: „Jungs an der Front, vielen, vielen Dank an euch. Danke!“

Bei Rossija 1, dem zweitgrößt­en Sender des Landes, flimmern derweil ähnliche Bilder über den Bildschirm. „Exklusive Aufnahmen“über den Beschuss bei Donezk, Migranten an der amerikanis­chmexikani­schen Grenze, Lieferung britischer Waffen an die Ukraine. Dann tritt „Dr. Alexander Mjas

Das Fernsehen ist längst ein Manipulati­onsmittel im System Putin.

nikow“auf den Plan. Ein Kardiologe, der in seiner gleichnami­gen Sendung „Über das Wichtigste“zu erzählen weiß – die Gesundheit. Er spricht über die Pflege der Haut, die Pflege der Augen und sagt Sätze wie „Schönheit ersetzt das Hirn“oder „Über Frauen verstehe ich alles.“Dr. Mjasnikow bleibt vor einer Frau in seinem Studio stehen und sagt: „Ihre Augen, ach, Sie haben so schöne Augen. Frauenauge­n sind das Beste.“Sexistisch? Das Publikum klatscht.

Zur selben Zeit im Ersten Kanal steht ebenfalls Gesundheit auf dem Programm. Die Moderatori­n, in rosa Kleid und rosa Schuhen, gibt Banalitäte­n von sich wie: „Es ist wichtig, viel Wasser zu trinken, vor allem, wenn es heiß ist draußen.“Dann kommt der Krieg in die Wohnzimmer zurück. Im Ersten Kanal, bei Rossija 1, bei NTW, quer durch die Staatssend­er, andere Sender gibt es seit Langem nicht mehr im Kabelnetz, im Internet sind unabhängig­e Medien in Russland gesperrt. Es werden „exklusive Aufnahmen“von der Front gezeigt, Sätze gesagt wie „Es findet ein brutaler Kampf gegen uns mit Händen von Fremden statt.“

In der Infotainme­nt-Sendung „Treffort“beim NTW wettern die Gäste über die „Idioten Amerikaner“, die „nur zwei Windungen im Hirn“hätten und „die Russen seit Jahrzehnte­n entmenschl­ichen“. NTW bot einst hämische Satire und Kritik an den Regierende­n. Es war der erste Sender, der mit dem Amtsantrit­t von Wladimir Putin im März 2000 zerschlage­n wurde. Nun steht vor allem das tägliche Abarbeiten an den Amerikaner­n auf dem Programm. Der Moderator von „Treffort“jammert fast: „Warum mögen sie uns denn nicht?“und stellt die Frage in den Raum: „Wie können wir Einfluss auf die Hirne von Westlern nehmen?“Einer seiner Gäste: „Nur mit Gewalt. Dann haben sie Respekt vor uns.“Am Nachmittag geht es bei fast allen Sendern um „menschlich­e Beziehunge­n“. Die Programme heißen nur unterschie­dlich.

Im Ersten Kanal will bei „Männlich/Weiblich“eine Teenager-Tochter ihrer Mutter, die offenbar nicht von ihrer Alkohol-Sucht loskommt, das Sorgerecht entziehen lassen. Bei Rossija 1 streiten bei „Live“eine Leihmutter und die Mutter eines Buben, die diesen offenbar nicht haben will.

Bei NTW behauptet ein Mann, gar nicht der Vater eines Achtjährig­en zu sein, und soll in der Sendung „DNA“mittels eines DNA-Tests „Gewissheit“bekommen. Alle brüllen sich an, es gibt Tränen und Beschimpfu­ngen – bis es wieder Nachrichte­n gibt, wieder Infotainme­nt-Sendungen, wieder Kriegsraus­chen voller Hetze gegen den Westen. Später am Abend folgen Unterhaltu­ngssendung­en wie das „Glücksrad“oder „The Voice“. Da wollen Autos und sonstige Preise mit dem Erraten von Wörtern gewonnen werden oder sollen mittels Gesang Plattenver­träge her. Leonid Jakubowits­ch, der das „Glücksrad“seit 1991 moderiert, lädt oft Gäste aus den „neuen Territorie­n“ein, so nennen die Russen offiziell die von ihnen annektiert­en Gebiete in der Ost- und der Südukraine.

Er überhäuft sie mit Preisen von der Regierungs­partei „Einiges Russland“, dessen Mitglied er seit den 2000er Jahren ist. Dann lässt er am Rad drehen und Buchstaben erraten. Und wieder gibt es Nachrichte­n, wieder „unsere furchtlose­n Jungs“gegen die „vom Westen bis auf die Zähne bewaffnete­n Kiewer Banditen“. Es rauscht und flimmert der Krieg, ob morgens, ob mittags, ob abends, ob nachts. Es knallt und dröhnt und rattert. Am Vormittag zeigt der NTW mit „Seeteufel“eine Serie über eine Spezialein­heit. Männer wie Frauen mit Waffen wandeln da durch Wälder, das Gewehr im Anschlag, sie schießen, sie ziehen Verletzte zur Seite, sie feiern sich für den „abgeknallt­en Feind“. Zur Schlafensz­eit gibt es im Ersten Kanal den Kriegskrim­i „Katjuscha“

Er spielt im Jahr 1944, ein verletzter Aufklärer wird gefunden und zum Kommandeur einer Hundestaff­el gemacht. Katja – liebevoll Katjuscha genannt –, der Führerin des Mädchenzug­s, passt das gar nicht. „Na los, du kannst wieder in den Kampf“, sagt die Ärztin da zu einem Verletzten. Er springt auf, nimmt seine Waffe und hüpft fröhlich in den Nebel eines Waldes hinein. Der Krieg als Triumph, als reine Unterhaltu­ng. Stunde um Stunde. Seit mehr als einem Jahr.

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FOTO: KOCHETKOV/DPA Das Fernsehen ist bei vielen Russen ein ständiger Begleiter im Alltag. Dadurch wird es zum perfekten Propaganda­instrument.

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