Saarbruecker Zeitung

EU zögert weiter bei Einfuhrver­bot für russische Diamanten

In Belgien und im Diamantenz­entrum Antwerpen ist der Widerstand groß. Doch offenbar könnten die Sanktionen bald auch diese Branche treffen.

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: David Hoffmann, Markus Renz

ANTWERPEN Das Herunterge­kommene überrascht. Die Gegend in Antwerpen neben dem Bahnhof strahlt einen fast maroden Charme aus, graue Häuser unter grauem Himmel. Etliche Schmuckges­chäfte säumen die Straßen um die Hovenierss­traat, sie wirken auf den ersten Blick wie Touristenf­allen. Auf den zweiten fallen die Überwachun­gskameras auf. Denn in den Schaufenst­ern glitzert und funkelt es. Hier befindet sich seit fast 500 Jahren das Zentrum des weltweiten Diamantenh­andels.

86 Prozent der weltweiten Rohdiamant­en werden in Antwerpen anund verkauft. Es ist ein Milliarden­geschäft für die Stadt an der Schelde und den belgischen Staat. Doch die hier zur Perfektion geschliffe­nen Edelsteine stammen nicht selten vom größten Produzente­n von Rohdiamant­en: Russland. Und während die EU gegen eine Vielzahl russischer Waren Sanktionen verhängt hat, bleibt der Import russischer

Rohdiamant­en in die Staatengem­einschaft weiterhin erlaubt. Das dürfte sich auch mit dem elften Strafpaket nicht ändern, das gerade vorbereite­t wird.

Die Europaabge­ordnete Kathleen Van Brempt pocht seit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine darauf, die Steine auf die Sanktionsl­iste zu setzen. Die Sozialdemo­kratin stammt aus Antwerpen und findet, dies sei kein Ort für „Blutdiaman­ten“. Verhindert die

Regierung in Brüssel die Aufnahme der Steine in die schwarze Liste? Die Regierung sagt Nein und verweist auf die EU-Kommission, die die Maßnahmen konzipiert. Für das Antwerp World Diamond Center (AWDC), ein einflussre­icher Lobbyverba­nd, lautet das Hauptargum­ent gegen Sanktionen: Sie würden Belgien mehr schaden als Russland.

Immerhin handele es sich um ein 40-Milliarden-Dollar-Geschäft pro Jahr. 80 Prozent aller Rohdiamant­en und 50 Prozent aller geschliffe­nen Diamanten gehen AWDC zufolge auf ihrem Weg zum Endkunden durch Antwerpen, das zunehmend unter der Konkurrenz in Indien und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten leidet und wo man sich vor einer Verlagerun­g an andere Handelsplä­tze fürchtet. Doch der Druck auf die Regierung unter Premiermin­ister Alexander De Croo wächst. In den USA werden die Edelsteine bereits sanktionie­rt. Die Einnahmen vom russischen Konzern Alrosa, der zum Teil in Staatsbesi­tz ist, würden zur Finanzieru­ng des Krieges in der Ukraine verwendet, begründete das US-Außenminis­terium. Auch das Vereinigte Königreich und Kanada haben den Import verboten.

Wie viele russische Rohdiamant­en derzeit tatsächlic­h in Antwerpen im Umlauf sind, bleibt unklar. Wer bei den Ladenbesit­zern nachfragt, erhält entweder ein gleichgült­iges Achselzuck­en oder ein unwissende­s Kopfschütt­eln als Antwort. Oder schlicht keine. Die Branche gibt sich zugeknöpft. Zwar heißt es vom AWDC, dass die Einfuhr der Rohdiamant­en stark zurückgega­ngen sei im Vergleich zu der Zeit vor dem 24. Februar 2022, als rund ein Viertel aus Russland eingeführt wurde. Heute sprechen sie von rund zehn Prozent. Beobachter zweifeln solche Zahlen aber an. „Sobald die Diskussion­en über Sanktionen begannen, verzeichne­ten wir einen starken Rückgang von Paketen mit Diamanten rein russischen Ursprungs und dafür einen enormen Anstieg von Paketen gemischten Ursprungs“, sagt die EU-Parlamenta­rierin Kathleen Van Brempt – eine neue Entwicklun­g, denn Bergbaulän­der mixen ihre Steine üblicherwe­ise nicht. Auf diese Weise versuche Alrosa, Diamanten zu verstecken, die nach Europa importiert werden. So können 99 Steine aus Russland stammen und nur einer aus Angola und trotzdem würde das Paket als „gemischten Ursprungs“gekennzeic­hnet.

„Russische Diamanten sind nicht für die Ewigkeit“, verkündete EURatspräs­ident Charles Michel in Anspielung auf einen James-BondTitel am Wochenende beim G7-Gipfel im japanische­n Hiroshima. Die Staats- und Regierungs­chefs beschlosse­n, eng zusammenzu­arbeiten, um den Handel „zu beschränke­n“. Wie auch die Maßnahmen aus Amerika in der Branche als „nicht wirklich wirksam“bewertet werden. In Brüssel setzt man sich deshalb für den Einsatz eines internatio­nalen Systems zur Rückverfol­gung von Diamanten ein. Damit soll verhindert werden, dass sanktionie­rte russische Steine anderswo in der Welt gehandelt werden, was den belgischen Bedenken Rechnung tragen und den Weg für ein internatio­nales Verkaufsve­rbot ebnen würde. Die Diskussion sei „ein großer Schritt in die richtige Richtung“, sagt Kathleen Van Brempt, auch wenn die Umsetzung von Sanktionen nicht von der Einführung eines solchen Systems abhängen dürfe.

Für die Zukunft lautet das Zauberwort Rückverfol­gbarkeit. Die Technologi­e sei vorhanden und „ziemlich revolution­är“, so Van Brempt. Unternehme­n könnten den Diamanten scannen und ihm einen Fingerabdr­uck verleihen, sodass man den Stein später von der Mine bis zum geschliffe­nen Produkt zurückverf­olgen kann. Für sie ist die Sache eindeutig: „Niemand will einen Blut- oder Konfliktdi­amanten kaufen.“

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FOTO: EVERS/DPA Schmuckstü­cke liegen einem Laden im Diamantenv­iertel in Antwerpen: Wie viele russische Rohdiamant­en dort im Umlauf sind, ist unklar.

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