EU zögert weiter bei Einfuhrverbot für russische Diamanten
In Belgien und im Diamantenzentrum Antwerpen ist der Widerstand groß. Doch offenbar könnten die Sanktionen bald auch diese Branche treffen.
ANTWERPEN Das Heruntergekommene überrascht. Die Gegend in Antwerpen neben dem Bahnhof strahlt einen fast maroden Charme aus, graue Häuser unter grauem Himmel. Etliche Schmuckgeschäfte säumen die Straßen um die Hoveniersstraat, sie wirken auf den ersten Blick wie Touristenfallen. Auf den zweiten fallen die Überwachungskameras auf. Denn in den Schaufenstern glitzert und funkelt es. Hier befindet sich seit fast 500 Jahren das Zentrum des weltweiten Diamantenhandels.
86 Prozent der weltweiten Rohdiamanten werden in Antwerpen anund verkauft. Es ist ein Milliardengeschäft für die Stadt an der Schelde und den belgischen Staat. Doch die hier zur Perfektion geschliffenen Edelsteine stammen nicht selten vom größten Produzenten von Rohdiamanten: Russland. Und während die EU gegen eine Vielzahl russischer Waren Sanktionen verhängt hat, bleibt der Import russischer
Rohdiamanten in die Staatengemeinschaft weiterhin erlaubt. Das dürfte sich auch mit dem elften Strafpaket nicht ändern, das gerade vorbereitet wird.
Die Europaabgeordnete Kathleen Van Brempt pocht seit dem Einmarsch von Putins Truppen in die Ukraine darauf, die Steine auf die Sanktionsliste zu setzen. Die Sozialdemokratin stammt aus Antwerpen und findet, dies sei kein Ort für „Blutdiamanten“. Verhindert die
Regierung in Brüssel die Aufnahme der Steine in die schwarze Liste? Die Regierung sagt Nein und verweist auf die EU-Kommission, die die Maßnahmen konzipiert. Für das Antwerp World Diamond Center (AWDC), ein einflussreicher Lobbyverband, lautet das Hauptargument gegen Sanktionen: Sie würden Belgien mehr schaden als Russland.
Immerhin handele es sich um ein 40-Milliarden-Dollar-Geschäft pro Jahr. 80 Prozent aller Rohdiamanten und 50 Prozent aller geschliffenen Diamanten gehen AWDC zufolge auf ihrem Weg zum Endkunden durch Antwerpen, das zunehmend unter der Konkurrenz in Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten leidet und wo man sich vor einer Verlagerung an andere Handelsplätze fürchtet. Doch der Druck auf die Regierung unter Premierminister Alexander De Croo wächst. In den USA werden die Edelsteine bereits sanktioniert. Die Einnahmen vom russischen Konzern Alrosa, der zum Teil in Staatsbesitz ist, würden zur Finanzierung des Krieges in der Ukraine verwendet, begründete das US-Außenministerium. Auch das Vereinigte Königreich und Kanada haben den Import verboten.
Wie viele russische Rohdiamanten derzeit tatsächlich in Antwerpen im Umlauf sind, bleibt unklar. Wer bei den Ladenbesitzern nachfragt, erhält entweder ein gleichgültiges Achselzucken oder ein unwissendes Kopfschütteln als Antwort. Oder schlicht keine. Die Branche gibt sich zugeknöpft. Zwar heißt es vom AWDC, dass die Einfuhr der Rohdiamanten stark zurückgegangen sei im Vergleich zu der Zeit vor dem 24. Februar 2022, als rund ein Viertel aus Russland eingeführt wurde. Heute sprechen sie von rund zehn Prozent. Beobachter zweifeln solche Zahlen aber an. „Sobald die Diskussionen über Sanktionen begannen, verzeichneten wir einen starken Rückgang von Paketen mit Diamanten rein russischen Ursprungs und dafür einen enormen Anstieg von Paketen gemischten Ursprungs“, sagt die EU-Parlamentarierin Kathleen Van Brempt – eine neue Entwicklung, denn Bergbauländer mixen ihre Steine üblicherweise nicht. Auf diese Weise versuche Alrosa, Diamanten zu verstecken, die nach Europa importiert werden. So können 99 Steine aus Russland stammen und nur einer aus Angola und trotzdem würde das Paket als „gemischten Ursprungs“gekennzeichnet.
„Russische Diamanten sind nicht für die Ewigkeit“, verkündete EURatspräsident Charles Michel in Anspielung auf einen James-BondTitel am Wochenende beim G7-Gipfel im japanischen Hiroshima. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen, eng zusammenzuarbeiten, um den Handel „zu beschränken“. Wie auch die Maßnahmen aus Amerika in der Branche als „nicht wirklich wirksam“bewertet werden. In Brüssel setzt man sich deshalb für den Einsatz eines internationalen Systems zur Rückverfolgung von Diamanten ein. Damit soll verhindert werden, dass sanktionierte russische Steine anderswo in der Welt gehandelt werden, was den belgischen Bedenken Rechnung tragen und den Weg für ein internationales Verkaufsverbot ebnen würde. Die Diskussion sei „ein großer Schritt in die richtige Richtung“, sagt Kathleen Van Brempt, auch wenn die Umsetzung von Sanktionen nicht von der Einführung eines solchen Systems abhängen dürfe.
Für die Zukunft lautet das Zauberwort Rückverfolgbarkeit. Die Technologie sei vorhanden und „ziemlich revolutionär“, so Van Brempt. Unternehmen könnten den Diamanten scannen und ihm einen Fingerabdruck verleihen, sodass man den Stein später von der Mine bis zum geschliffenen Produkt zurückverfolgen kann. Für sie ist die Sache eindeutig: „Niemand will einen Blut- oder Konfliktdiamanten kaufen.“