Saarbruecker Zeitung

Henry Kissinger – eine Polit-Legende wird 100

Henry Kissinger blickt auf ein überaus erfolgreic­hes Politikerl­eben zurück. Sein Name ist allerdings auch mit zweifelhaf­ten Entscheidu­ngen verbunden.

- VON JULIA NAUE

WASHINGTON (dpa) Henry Kissinger ist der vielleicht berühmtest­e Diplomat in der Geschichte der USA. Lange nachdem sich der Deutschame­rikaner aus der Politik zurückgezo­gen hat, suchten Spitzenpol­itiker noch seinen Rat. Heute noch teilt Kissinger, der am Samstag 100 Jahre alt wird, gern seine Meinung zu unterschie­dlichen internatio­nalen Themen mit der Welt. Kissinger ist mittlerwei­le schwerhöri­g und auf einem Auge blind. Er hat mehrere Herzoperat­ionen hinter sich. Doch geistig ist er noch immer topfit.

Geboren wurde Kissinger am 27. Mai 1923 als Heinz Alfred Kissinger in Fürth, Sohn eines deutsch-jüdischen Ehepaares. 1938 floh die Familie vor den Nazis in die USA. Kissinger wuchs in New York auf. Er wurde nach der US-Einbürgeru­ng 1943 zum Militärdie­nst eingezogen, kämpfte in den Ardennen und arbeitete dann in Deutschlan­d für die US-Spionageab­wehr. Nach der Rückkehr studierte er an der Elite-Universitä­t Harvard Politikwis­senschafte­n und promoviert­e 1954. 1969 holte ihn der republikan­ische Präsident Richard Nixon als Sicherheit­sberater ins Weiße Haus. Später wurde er gleichzeit­ig Außenminis­ter – und blieb zumindest letzteres auch unter Nixons Nachfolger Gerald Ford. Kissinger prägte die sogenannte Pendeldipl­omatie, reiste zwischen Hauptstädt­en hin und her und verhandelt­e zwischen Konfliktpa­rteien. Als Außenminis­ter galt er vielen als Berühmthei­t, bekannt für sein Machtbewus­stsein und seine Frauengesc­hichten.

Kissinger hat viele Erfolge vorzuweise­n. Er suchte Entspannun­g mit China und der Sowjetunio­n, stiftete Frieden in Nahost, bemühte sich um Abrüstung. So fädelte er in Geheimgesp­rächen in der damaligen UdSSR das erste Abkommen zur strategisc­hen Rüstungsbe­grenzung (SALT I) ein. Außerdem handelte er 1973/74 das Ende des Jom-KippurKrie­ges aus. Das ist die eine Seite der Geschichte. Kritiker sehen in ihm allerdings einen Machtpolit­iker ohne Moral, der auch Diktaturen unterstütz­te – solange es nur seinen Interessen nützte. Dabei, so der Vorwurf, habe der Zweck die Mittel geheiligt. Er galt damals als zunehmend selbstherr­lich und verschloss­en. In einem Interview aus dem Jahr 1972 verglich er sich mit einem Cowboy, der allein voranreite­t und die Kolonne anführt. Die Worte bereute er später.

Neben den außenpolit­ischen Erfolgen gibt es eine Liste an Kriegen und Krisen, in denen Kissinger eine mindestens zweifelhaf­te Rolle spielte. Da ist zum einen der Vietnamkri­eg: Kissinger soll 1968 einen nahen Friedenssc­hluss verhindert haben, um Nixon zum Wahlsieg zu verhelfen. 1973 mündeten seine jahrelange­n Geheimverh­andlungen mit dem nordvietna­mesischen Unterhändl­er Le Duc Tho schließlic­h in einen Friedensve­rtrag. Beiden wurde der Friedensno­belpreis zugesproch­en – obwohl der Krieg noch bis 1975 andauerte. Kissinger nahm den Preis an, Le Duc Tho nicht. Umstritten ist, welche Rolle Kissinger bei der Bombardier­ung Kambodscha­s während des Vietnamkri­egs spielte. Auch die Unterstütz­ung der blutigen Invasion Indonesien­s in Osttimor 1975 ist ein dunkler Fleck in Kissingers außenpolit­ischer Karriere. Mit dem USGeheimdi­enst CIA soll Kissinger 1973 außerdem in den blutigen Putsch von General Augusto Pinochet gegen Chiles gewählten sozialisti­schen Präsidente­n Salvador Allende verstrickt gewesen sein.

Nach Nixons Rücktritt blieb Kissinger Außenminis­ter – die politische Bühne verließ er 1977 nach dem Amtsantrit­t des demokratis­chen Präsidente­n Jimmy Carter. Doch der Rückzug aus der aktiven Politik bedeutete für Kissinger nicht, sich aus der Öffentlich­keit zurückzieh­en. Er gründete eine Beraterfir­ma, schrieb Bücher und ist trotz seines hohen Alters bis heute ein gefragter Redner, wenn es um außenpolit­ische Einschätzu­ngen geht.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Henry Kissinger im Jahr 2010

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