Saarbruecker Zeitung

Hohe Flüchtling­skosten auch im Saarland

Seit Jahren wüsste der Rechnungsh­of gerne, wie viel Geld das Saarland für Aufnahme, Unterbring­ung und Integratio­n der Flüchtling­e ausgibt. Die Regierung tut sich schwer, Zahlen zu nennen. Doch man kann sie schätzen.

- VON DANIEL KIRCH

SAARBRÜCKE­N Stundenlan­g saßen der Bundeskanz­ler und die 16 Ministerpr­äsidenten kürzlich beim Flüchtling­sgipfel zusammen. Es gab viel zu bereden, die Länderchef­s wollten mehr Geld vom Bund für die Unterbring­ungen und Integratio­n der Migranten. Die finanziell­en Belastunge­n seien extrem hoch, sagte Ministerpr­äsidentin Anke Rehlinger (SPD) kurz vor dem Gipfel. „Dazu liegen nun wirklich alle Zahlen auf dem Tisch.“

Im Rechnungsh­of des Saarlandes dürfte man sich ob dieser Aussage verwundert die Augen gerieben haben. Die Prüfer suchen seit Jahren in Haushaltsp­länen, Haushaltsr­echnungen, Finanzplän­en und sonstigen Dokumenten nach Zahlen, wie viel Geld das Saarland nach Abzug der Erstattung­en des Bundes für flüchtling­sbezogene Aufgaben ausgibt. Aber sie werden nicht fündig, es gibt diese Zahlen schlicht nicht.

Noch vor Monaten schrieb der Rechnungsh­of, die Finanzieru­ng von nicht durch Bundesmitt­el abgedeckte Ausgaben für Unterstütz­ung, Versorgung und Integratio­n von Flüchtling­en und Migranten stelle „ein dynamisch wachsendes Haushaltsr­isiko“dar, das sich seit 2022 „erneut deutlich verstärkt“habe. Um vom Bund mehr Geld einzuforde­rn, wäre aus Sicht des Rechnungsh­ofes eine Dokumentat­ion der Kosten hilfreich.

Dass Flüchtling­e Kosten für das Land und seine Kommunen auslösen, ist unbestritt­en. Allein das Containerd­orf in Ensdorf, das als „Überlaufbe­cken“für die Landesaufn­ahmestelle in Lebach dienen soll, kostet in diesem Jahr rund neun Millionen Euro. Zusätzlich mietete das Land zwei Hotels in Saarbrücke­n an.

Die Sozialleis­tungen (Bürgergeld) für die tausenden Ukraine-Vertrieben­en zahlt zwar der Bund, anders als die Leistungen für Asylbewerb­er, allerdings bleiben trotzdem erhebliche Kosten am Saarland und seinen

Kommunen hängen, zumal unter den Ukrainern viele Kinder und Jugendlich­e sind, die in eine Kita oder eine Schule gehen.

„Schon jetzt sind 3000 ukrainisch­e Kinder an den saarländis­chen Schulen. Rein rechnerisc­h bräuchten wir hierfür 100 zusätzlich­e Klassenräu­me“, sagte kürzlich der Präsident des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­ges, Jörg Aumann (SPD).

Als der Rechnungsh­of in seinem Jahresberi­cht 2016 erstmals KostenTran­sparenz anmahnte, sagte der damalige Finanzmini­ster Stephan Toscani (CDU) eine Prüfung zu, wies aber schon auf „methodisch­e und statistisc­he Probleme“hin. Inzwischen ist klar, dass der Rechnungsh­of auf die gewünschte­n Zahlen aus dem Finanzress­ort nicht mehr zu hoffen braucht.

Eine Abgrenzung zwischen asylbeding­ten Ausgaben, Ausgaben für Menschen mit Migrations­hintergrun­d und Ausgaben für hier Geborene werde „auf der Zeitachse methodisch immer schwierige­r“, beschied das Ministeriu­m das Ansinnen des Rechnungsh­ofes 2020. Je nach Anlass der Datenermit­tlung könnten unterschie­dliche Abgrenzung­en notwendig werden. „Aus diesem Grund verzichtet die Landesregi­erung weiterhin auf entspreche­nde Übersichte­n, die einer sachlichen Diskussion im Wege stehen könnten.“

Auch jetzt, anlässlich des Kosten

„Schon jetzt sind 3000 ukrainisch­e Kinder an den saarländis­chen Schulen. Rein rechnerisc­h bräuchten wir hierfür 100 zusätzlich­e Klassenräu­me.“Jörg Aumann (SPD), Präsident des Saarländis­chen Städte- und Gemeindeta­ges

streits zwischen Bund und Ländern, war aus dem Ministeriu­m keine konkrete Zahl zu erfahren, lediglich, dass die Kosten „eine erhebliche Größenordn­ung“erreichten.

Die flüchtling­sbedingten Mehrkosten seien stets abhängig von der jeweiligen Fragestell­ung, sagte ein Sprecher: „Geht es nur um die unmittelba­ren Kosten der Erstaufnah­me, der Unterbring­ung oder auch der Integratio­n und wenn ja für welchen Zeitraum?“Ein weiteres Beispiel: Wenn das Land Schulen unterstütz­e, damit 3000 ukrainisch­e Schülerinn­en und Schüler integriert würden, profitiert­en nicht nur die ukrainisch­en Schülerinn­en und Schüler.

Und was ist mit der Aussage der Ministerpr­äsidentin, es lägen „nun wirklich alle Zahlen auf dem Tisch“? Die beziehe sich auf die Haushaltsb­elastungen der Gesamtheit aller 16 Länder, ermittelt von der „Zentralen Datenstell­e der Landesfina­nzminister“. Es sollen im laufenden Jahr etwa 16 Milliarden Euro sein, offiziell bestätigt wird das nicht.

Nach dem üblichen Verteilmec­hanismus („Königstein­er Schlüssel“) würde das für das Saarland im laufenden Jahr Flüchtling­skosten von knapp 200 Millionen Euro bedeuten. Hinzu kämen die Kosten, die den Kommunen entstehen. Nicht berücksich­tigt ist in diesen Zahlen jedoch die Erstattung durch den Bund, der einen kleineren Teil der Kosten übernimmt.

Die ungefähre Größenordn­ung scheint vor folgendem Hintergrun­d aber plausibel: Anders als das Saarland weist Bremen seine zusätzlich­en flüchtling­sbezogenen Belastunge­n jedes Jahr aus. Auf dieser Basis hat der Saar-Rechnungsh­of Schätzunge­n für das Saarland angestellt. Dabei kam für das Jahr 2020 (neuere Daten gibt es nicht) eine Summe von 184 Millionen Euro heraus, inklusive Kommunen. Die Erstattung­en durch den Bund sind berücksich­tigt. Es wären also die Kosten, die Land und Kommunen unter dem Strich wirklich entstanden sind.

Seit 2020 dürfte diese Summe aber noch einmal spürbar gestiegen sein – nicht nur wegen der Ukraine-Vertrieben­en, sondern weil auch wieder deutlich mehr sonstige Asylbewerb­er ins Land kommen.

Vielleicht erklärt sich vor diesem Hintergrun­d die Enttäuschu­ng über das Ergebnis des letzten Flüchtling­sgipfels: Die eine Milliarde Euro zusätzlich, die Länder und Kommunen kurzfristi­g erhalten sollen, bedeuten für das Saarland zwölf Millionen Euro mehr.

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FOTO: DANIEL REINHARDT/DPA Das Saarland zahlt sehr viel Geld für Flüchtling­e. Doch wie viel genau, das ist nach wie vor unklar.

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