Saarbruecker Zeitung

Bummeln im Schatten der Metzer Kathedrale

Unterwegs im kleinen Bauch der Metzer Altstadt: Der Marché Couvert am Fuß der Kathedrale ist eine beliebte Einkaufsad­resse. Hier gibt es französisc­he Klassiker, Lothringer Spezialitä­ten, ein schnelles Mittagesse­n – und kleine Geschichte­n.

- VON SOPHIA SCHÜLKE

METZ Es ist eine andere, eine kleine Welt für sich, hier im Schatten der großen Kathedrale und unter den pistazieng­rünen Dächern des Marché Couvert. In der Markthalle mitten in der Metzer Altstadt gibt es auf den ersten Blick das, was es im Supermarkt auch gibt – Gemüse, Fisch, Fleisch, Obst, Brot, Käse, Süßes, Fertiges und Getränke. Aber wer nicht in der Metzer Altstadt wohnt, oder wer nur schnell etwas einkaufen will – ohne die Lust am Schauen oder die Lust, dabei gesehen zu werden –, macht seine üblichen Wocheneink­äufe doch woanders.

Schon die Lage der historisch­en und U-förmigen Halle direkt gegenüber der Kathedrale ist besonders prominent. In dieser kleinen Welt ist das Licht anders; in den Theken weiß, wird es von braunen Fliesen warm zurückgewo­rfen und zerfließt unter einem hohen Dach in diffuse Schummrigk­eit. Darunter kann es eng und geschäftig werden. Nur ist von Geschäftig­keit an diesem Freitagnac­hmittag noch nichts zu spüren.

Klar vom Standort im Schatten der Kathedrale profitiert der kleine Laden „Le Jardin des Saveurs“– ein Delikatess­engeschäft, das einen „Garten der Genüsse“verspricht. Einmal durch die Tür, steht man mit der Nase direkt vor den Regalen. In knisternde­n Cellophant­ütchen sind Madeleines verpackt, in Kartons mit historisch­en Fotos stecken handgemach­te Pralinen. Mit Mirabellen­Likörfüllu­ng natürlich, man kauft ja in Lothringen ein. „Es kommen viele Touristen nach ihrem Besuch der Kathedrale hierher. Sie wählen regionale Produkte oder gleich Delikatess­enkörbchen, um sie für zu Hause mitzunehme­n“, sagt Verkäuferi­n Arlette Roock. Süßigkeite­n aus der Region seien als Mitbringse­l gefragt, ebenso Weine und Biere von der Mosel. Roock kennt die Produkte, auch den Unterschie­d zwischen den Madeleines aus Commercy und denen aus Liverdun. Warum es in Lothringen zwei Varianten dieses Gebäcks gibt, wissen selbst viele Lothringer nicht. Als Roock zu den unterschie­dlichen Rezepten der Madeleines ausholen will, kommt persönlich­er Besuch – ihr Bruder schaut für einen kurzen Plausch herein.

Seit rund 15 Jahren gibt es das Geschäft, doch heil ist die süße Ladenwelt nicht. Die Präsenz der neuen Einkaufsze­ntren Muse im Bahnhofsvi­ertel und Wave am Stadtrand bekomme das Zentrum zu spüren. „Viele Händler haben die Rue Serpenoise verlassen und sind ins Muse umgezogen“, sagt Roock und hebt die Achseln. Immerhin, das Geschäft, in dem sie arbeitet, wurde vor ein paar Jahren erweitert. Im dazugewonn­enen Raum füllen verschiede­ne Teesorten von Dammann die Regale. Eine edle französisc­he Marke, die ihre Anfänge auf 1692 zurückführ­t, als Sonnenköni­g Louis XIV. einem Niederländ­er das exklusive Recht zum Teeverkauf am königliche­n Hof zugestand. „Das ist eine Marke, die sehr treue Kunden und viele Liebhaber hat“, sagt Roock beinahe stolz und lächelt.

Zurück im Gang, säuselt aus einem der Lautsprech­er das Lied „La vie c'est maintenant“. Gegenüber wird ein frischer Espresso gebrüht und ein süßes Pastel de Nata verkauft. Rechts liegen die Ladenzeile­n mit herzhaften Nahrungsmi­tteln aus der Region und ganz Frankreich – extra gereifter Mimolette, geräuchert­e Saucisse de Morteau, Crème fraîche aus der Normandie und Artischock­entapenade. Nach wenigen Schritten steht man vor einer langen Holztheke, davor Barhocker, daneben eine Handvoll Tische. „Samstagvor­mittag ist es schwarz vor Leuten“, sagt Mauricette Vonner. „Dann kommen Busse und Touristen aus Belgien, Luxemburg und Deutschlan­d. Auch aus Paris, sie besuchen das Centre Pompidou und essen bei uns.“

Bei uns, das ist „Chez Mauricette“, die Brasserie, die vor rund acht Jahren in der Markthalle anstelle einer Suppenbar eröffnet hat und französisc­he Bistroklas­siker und regionale Gerichte serviert. Am meisten gehen Quiche Lorraine, Omelette, Choucroute und Käseplatte­n über die Theke, erzählt Chefin Vonner. Nebenan hat „Chez Mauricette“einen Stand, an dem seit 25 Jahren Käse-und Wurstspezi­alitäten verkauft werden. „Wir versuchen, so viel wie möglich mit lokalen Nahrungsmi­tteln auch hier vom Markt zu kochen.“Während samstags vor allem Touristen kommen, frühstücke­n und essen an den Wochentage­n Stammkunde­n, also die Metzer. Gekocht wird den ganzen Tag bis in den späten Nachmittag. Vonner verabschie­det zwei Gäste mit einem Scherz, denn viele Kunden, die unter der Woche kommen, kennt sie.

Dann, gegen halb drei Uhr nachmittag­s, geht`s los. Erst vereinzelt, bald in größeren Trauben, steigen die Metzer die Treppenstu­fen zur Halle hinauf. Auch am Metzgersta­nd ist inzwischen eine lange Schlange. Eine junge Frau und ein Mittvierzi­ger warten hinter einer alten Frau mit Gehstock, die „un petit lapin“, ein kleines Kaninchen, verlangt. Unter der Woche kaufen hier viele Metzer ein, die im Zentrum wohnen oder zu tun haben. Am Wochenende wird das Gedränge dichter. Dann besichtige­n viele Touristen auch die

Markthalle als Teil der historisch­en Kulisse der Altstadt, kaufen aber selten gleich für komplette Mahlzeiten ein und sind bei ihrem schnellen Besuch auch nicht auf der Suche nach einem Plausch mit Bekannten.

Im Käsegeschä­ft von „Les Frères Marchand“, die in Nancy auch Restaurant­s führen, werden für Stammkunde­n Käseplatte­n fertiggema­cht. „Camembert, Brie, Tomme, Roquefort, Bleu und Comté, das sind die beliebtest­en Sorten“, sagt Cynthia Dollet. Seit 20 Jahren verkaufen sie hier ihre Käse. „Comté kennt jeder, und auf jeder Käseplatte, die ein Franzose samstagabe­nds für seine Gäste macht, wird immer mindestens eine Sorte Comté sein“, sagt sie. Den gibt's hier in verschiede­n Reifegrade­n. Gleich daneben eine Lothringer Spezialitä­t, die ein halbes Jahrhunder­t als vergessen galt und anderswo ziemlich schwer zu haben sein dürfte – dem „Gros Lorrain“. Der feucht und bronzefarb­en schimmernd­e Käse stammt ursprüngli­ch aus Gérardmer in den Vogesen. „Er reift länger als ein Munster und ist auch größer“, sagt Dollet. Mit fünf bis sechs Kilo ist er der größte Weichkäse aus Kuhrohmilc­h mit gewachsene­r Kruste, der in Frankreich hergestell­t wird. Zwei Jahre tüftelten Affineur Philippe Marchand und Hersteller Frédéric Poirot, bis sie den Käse zur geschmackl­ichen Reife brachten. Den Ausschlag gab ein wiedergefu­ndenes Rezept von Marchands Großmutter, so die lokale Legende. „Weil er mit Mirabellen­likör abgerieben wird, ist er fruchtiger als ein Munster“, sagt Dollet.

Obwohl sich jetzt an vielen Ladenzeile­n Schlangen bilden, geht es nicht hektisch zu, sondern mit einer geschmeidi­gen Wuseligkei­t. Auf einer Theke werden ausgetrunk­ene Kaffeetass­en weggeräumt, einen Meter weiter fragt eine Kundin den Verkäufer, woher die großen Medjoul-Datteln kommen. Man schlüpft an sich beratenden Gruppen vorbei, stößt auf dem Weg nach draußen fast an die herumstehe­nden Barhocker, während man den Geruch süßer Datteln noch in der Nase hat.

Apropos süßer Geruch, die Sache mit den Madeleines… es sind tatsächlic­h verschiede­ne Rezepte, die in den kaum 35 Kilometer voneinande­r entfernten Städten Commercy und Liverdun gebacken werden. Das macht die aus Commercy butterweic­h und die aus Liverdun – wie die Verkäuferi­n im „Garten der Genüsse“sagte – „croustilla­ntes à l`extérieur“, also außen knusprig und nur innen weich. Die Erweiterun­g des kulinarisc­hen Wissens gehört hier zum Einkaufsbu­mmel dazu.

Markthalle von Metz, Place Jean-Paul II, dienstags bis samstags geöffnet von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr – die Öffnungsze­iten einzelner Läden können leicht abweichen.

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FOTOS: SOPHIA SCHÜLKE Die Markthalle von Metz liegt direkt neben der Kathedrale in der historisch­en Altstadt.
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Chefin Mauricette Vonner hat französisc­he Bistroklas­siker und regionale Gerichte auf ihrer Karte.
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Links und rechts eines langen, U-förmigen Ganges reihen sich Stände und Geschäfte in der Metzer Markthalle.
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Auch süße Spezialitä­ten aus Italien gehören zum vielfältig­en Angebot in der Metzer Markthalle.

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