Bummeln im Schatten der Metzer Kathedrale
Unterwegs im kleinen Bauch der Metzer Altstadt: Der Marché Couvert am Fuß der Kathedrale ist eine beliebte Einkaufsadresse. Hier gibt es französische Klassiker, Lothringer Spezialitäten, ein schnelles Mittagessen – und kleine Geschichten.
METZ Es ist eine andere, eine kleine Welt für sich, hier im Schatten der großen Kathedrale und unter den pistaziengrünen Dächern des Marché Couvert. In der Markthalle mitten in der Metzer Altstadt gibt es auf den ersten Blick das, was es im Supermarkt auch gibt – Gemüse, Fisch, Fleisch, Obst, Brot, Käse, Süßes, Fertiges und Getränke. Aber wer nicht in der Metzer Altstadt wohnt, oder wer nur schnell etwas einkaufen will – ohne die Lust am Schauen oder die Lust, dabei gesehen zu werden –, macht seine üblichen Wocheneinkäufe doch woanders.
Schon die Lage der historischen und U-förmigen Halle direkt gegenüber der Kathedrale ist besonders prominent. In dieser kleinen Welt ist das Licht anders; in den Theken weiß, wird es von braunen Fliesen warm zurückgeworfen und zerfließt unter einem hohen Dach in diffuse Schummrigkeit. Darunter kann es eng und geschäftig werden. Nur ist von Geschäftigkeit an diesem Freitagnachmittag noch nichts zu spüren.
Klar vom Standort im Schatten der Kathedrale profitiert der kleine Laden „Le Jardin des Saveurs“– ein Delikatessengeschäft, das einen „Garten der Genüsse“verspricht. Einmal durch die Tür, steht man mit der Nase direkt vor den Regalen. In knisternden Cellophantütchen sind Madeleines verpackt, in Kartons mit historischen Fotos stecken handgemachte Pralinen. Mit MirabellenLikörfüllung natürlich, man kauft ja in Lothringen ein. „Es kommen viele Touristen nach ihrem Besuch der Kathedrale hierher. Sie wählen regionale Produkte oder gleich Delikatessenkörbchen, um sie für zu Hause mitzunehmen“, sagt Verkäuferin Arlette Roock. Süßigkeiten aus der Region seien als Mitbringsel gefragt, ebenso Weine und Biere von der Mosel. Roock kennt die Produkte, auch den Unterschied zwischen den Madeleines aus Commercy und denen aus Liverdun. Warum es in Lothringen zwei Varianten dieses Gebäcks gibt, wissen selbst viele Lothringer nicht. Als Roock zu den unterschiedlichen Rezepten der Madeleines ausholen will, kommt persönlicher Besuch – ihr Bruder schaut für einen kurzen Plausch herein.
Seit rund 15 Jahren gibt es das Geschäft, doch heil ist die süße Ladenwelt nicht. Die Präsenz der neuen Einkaufszentren Muse im Bahnhofsviertel und Wave am Stadtrand bekomme das Zentrum zu spüren. „Viele Händler haben die Rue Serpenoise verlassen und sind ins Muse umgezogen“, sagt Roock und hebt die Achseln. Immerhin, das Geschäft, in dem sie arbeitet, wurde vor ein paar Jahren erweitert. Im dazugewonnenen Raum füllen verschiedene Teesorten von Dammann die Regale. Eine edle französische Marke, die ihre Anfänge auf 1692 zurückführt, als Sonnenkönig Louis XIV. einem Niederländer das exklusive Recht zum Teeverkauf am königlichen Hof zugestand. „Das ist eine Marke, die sehr treue Kunden und viele Liebhaber hat“, sagt Roock beinahe stolz und lächelt.
Zurück im Gang, säuselt aus einem der Lautsprecher das Lied „La vie c'est maintenant“. Gegenüber wird ein frischer Espresso gebrüht und ein süßes Pastel de Nata verkauft. Rechts liegen die Ladenzeilen mit herzhaften Nahrungsmitteln aus der Region und ganz Frankreich – extra gereifter Mimolette, geräucherte Saucisse de Morteau, Crème fraîche aus der Normandie und Artischockentapenade. Nach wenigen Schritten steht man vor einer langen Holztheke, davor Barhocker, daneben eine Handvoll Tische. „Samstagvormittag ist es schwarz vor Leuten“, sagt Mauricette Vonner. „Dann kommen Busse und Touristen aus Belgien, Luxemburg und Deutschland. Auch aus Paris, sie besuchen das Centre Pompidou und essen bei uns.“
Bei uns, das ist „Chez Mauricette“, die Brasserie, die vor rund acht Jahren in der Markthalle anstelle einer Suppenbar eröffnet hat und französische Bistroklassiker und regionale Gerichte serviert. Am meisten gehen Quiche Lorraine, Omelette, Choucroute und Käseplatten über die Theke, erzählt Chefin Vonner. Nebenan hat „Chez Mauricette“einen Stand, an dem seit 25 Jahren Käse-und Wurstspezialitäten verkauft werden. „Wir versuchen, so viel wie möglich mit lokalen Nahrungsmitteln auch hier vom Markt zu kochen.“Während samstags vor allem Touristen kommen, frühstücken und essen an den Wochentagen Stammkunden, also die Metzer. Gekocht wird den ganzen Tag bis in den späten Nachmittag. Vonner verabschiedet zwei Gäste mit einem Scherz, denn viele Kunden, die unter der Woche kommen, kennt sie.
Dann, gegen halb drei Uhr nachmittags, geht`s los. Erst vereinzelt, bald in größeren Trauben, steigen die Metzer die Treppenstufen zur Halle hinauf. Auch am Metzgerstand ist inzwischen eine lange Schlange. Eine junge Frau und ein Mittvierziger warten hinter einer alten Frau mit Gehstock, die „un petit lapin“, ein kleines Kaninchen, verlangt. Unter der Woche kaufen hier viele Metzer ein, die im Zentrum wohnen oder zu tun haben. Am Wochenende wird das Gedränge dichter. Dann besichtigen viele Touristen auch die
Markthalle als Teil der historischen Kulisse der Altstadt, kaufen aber selten gleich für komplette Mahlzeiten ein und sind bei ihrem schnellen Besuch auch nicht auf der Suche nach einem Plausch mit Bekannten.
Im Käsegeschäft von „Les Frères Marchand“, die in Nancy auch Restaurants führen, werden für Stammkunden Käseplatten fertiggemacht. „Camembert, Brie, Tomme, Roquefort, Bleu und Comté, das sind die beliebtesten Sorten“, sagt Cynthia Dollet. Seit 20 Jahren verkaufen sie hier ihre Käse. „Comté kennt jeder, und auf jeder Käseplatte, die ein Franzose samstagabends für seine Gäste macht, wird immer mindestens eine Sorte Comté sein“, sagt sie. Den gibt's hier in verschieden Reifegraden. Gleich daneben eine Lothringer Spezialität, die ein halbes Jahrhundert als vergessen galt und anderswo ziemlich schwer zu haben sein dürfte – dem „Gros Lorrain“. Der feucht und bronzefarben schimmernde Käse stammt ursprünglich aus Gérardmer in den Vogesen. „Er reift länger als ein Munster und ist auch größer“, sagt Dollet. Mit fünf bis sechs Kilo ist er der größte Weichkäse aus Kuhrohmilch mit gewachsener Kruste, der in Frankreich hergestellt wird. Zwei Jahre tüftelten Affineur Philippe Marchand und Hersteller Frédéric Poirot, bis sie den Käse zur geschmacklichen Reife brachten. Den Ausschlag gab ein wiedergefundenes Rezept von Marchands Großmutter, so die lokale Legende. „Weil er mit Mirabellenlikör abgerieben wird, ist er fruchtiger als ein Munster“, sagt Dollet.
Obwohl sich jetzt an vielen Ladenzeilen Schlangen bilden, geht es nicht hektisch zu, sondern mit einer geschmeidigen Wuseligkeit. Auf einer Theke werden ausgetrunkene Kaffeetassen weggeräumt, einen Meter weiter fragt eine Kundin den Verkäufer, woher die großen Medjoul-Datteln kommen. Man schlüpft an sich beratenden Gruppen vorbei, stößt auf dem Weg nach draußen fast an die herumstehenden Barhocker, während man den Geruch süßer Datteln noch in der Nase hat.
Apropos süßer Geruch, die Sache mit den Madeleines… es sind tatsächlich verschiedene Rezepte, die in den kaum 35 Kilometer voneinander entfernten Städten Commercy und Liverdun gebacken werden. Das macht die aus Commercy butterweich und die aus Liverdun – wie die Verkäuferin im „Garten der Genüsse“sagte – „croustillantes à l`extérieur“, also außen knusprig und nur innen weich. Die Erweiterung des kulinarischen Wissens gehört hier zum Einkaufsbummel dazu.
Markthalle von Metz, Place Jean-Paul II, dienstags bis samstags geöffnet von 7.30 Uhr bis 17.30 Uhr – die Öffnungszeiten einzelner Läden können leicht abweichen.