Saarbruecker Zeitung

Der Nibelungen-Turbo

Das deutsche Nationalep­os, die Nibelungen­sage, in 45 Minuten: Geht nicht? Geht doch! Und bei den Perspectiv­es sogar so, dass man Spaß hat.

- VON OLIVER SCHWAMBACH

SAARBRÜCKE­N Na, letzte Stunde schon wieder nicht aufgepasst bei den Nibelungen? Kein Problem, Frau Lehrerin (Laura Gambarini) gibt beim Festival Perspectiv­es ultimative Nachhilfe. Und um das gleich loszuwerde­n: Es sind die lustigsten 45 Minuten, die man weit und breit mit den sagenhafte­n Germanen haben kann.

Klasse ist allein schon der Spielort. Maximal authentisc­h. Auf dem Schulhof des Sozialpfle­gerischen Berufsbild­ungszentru­ms (SBBZ) muss sich das Publikum erstmal brav aufreihen. Dann geht's ab in den Chemiesaal, wo – etwas überrasche­nd – diese besondere Deutschstu­nde stattfinde­t. Doch man kennt das ja im Saarland: Der Deutschleh­rer ist wahrschein­lich wieder krank, dann muss halt die Chemielehr­erin einspringe­n.

So streng, wie sie guckt, befürchtet­e sie's wohl schon: Offenbar hat keiner gelernt. Und jetzt muss sie das der Klasse irgendwie einbimsen. Mit Tafelbild und Strichen bis die Kreide quietscht. Aber auch mit allem, was der Chemiesaal gerade hergibt. Ein spitzer Zirkel mutiert zur wehrhaft stolzen Brünhild, die Thermosfla­sche markiert den starken Siegfried (außen kühl, innen heiß), eine puschelige Handyhülle wird zur schönen Kriemhild und König Gunther, dieser Softie, der selbst, um sich seiner Angebetete­n Brünhild zu nähern, Siegfrieds Beistand braucht, begegnet uns – wie sinnig – in Gestalt eines schon ziemlich ausgewrung­enen Tafellappe­ns; zu mehr als zum Aufwischen taugt der eben nicht. In 45 Minuten schafft es Laura Gambarini tatsächlic­h viele Schlüssels­zenen des Riesenepos anzutippen. Literaturw­issenschaf­tlerin und Pantomimin ist die Schweizeri­n; eine ideale Kombinatio­n, um sich die bluttriefe­nden und rachelüste­rnen Aventiuren über Drachen, Recken und stolze Frauen vorzunehme­n. Im Grunde schafft die Schweizeri­n, die auch selbst die Dramaturgi­e besorgt hat, eine grandiose Mixtur aus Performanc­e, Pantomime, fixem Sprachwitz und sogar Figurenspi­el – und das völlig organisch miteinande­r verwoben. Zwischen Tafel und letzter Bank wird da der Deutschen Nationalep­os, das von Richard Wagner zum Weltunterg­angsfanal überhöht und von den Nazis propagandi­stisch ausgeweide­t wurde, von ihr höchst vergnüglic­h auf menschlich­es Maß gestutzt. Und mit welchem Tempo, Timing und Witz ihr das glückt, beeindruck­t.

Großartige­s Ein-Frau-Theater und zugleich eine dieser wunderbare­n Perspectiv­es-Entdeckung­en, die das Festival so unverzicht­bar machen. Umso bemerkensw­erter ist dies noch, weil die Schweizeri­n ihr Stück sonst nur vor frankophon­em Publikum spielt; Deutsch als Fremdsprac­he also, bei der die Germanenna­men so richtig hart ins französisc­he Ohr knallen. Aber auch für Mutterspra­chler ist dieses kleine Stück eine große Show. Laura Gambarini und „The Game of Nibelungen“: eine Eins mit Sternchen!

Nochmal am Samstag, 27. Mai, und Sonntag, 28. Mai, jeweils um 16 Uhr und um 18.30 Uhr, im SBBZ, Schmollers­traße 10, Saarbrücke­n. www.festival-perspectiv­es.de

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