Der Nibelungen-Turbo
Das deutsche Nationalepos, die Nibelungensage, in 45 Minuten: Geht nicht? Geht doch! Und bei den Perspectives sogar so, dass man Spaß hat.
SAARBRÜCKEN Na, letzte Stunde schon wieder nicht aufgepasst bei den Nibelungen? Kein Problem, Frau Lehrerin (Laura Gambarini) gibt beim Festival Perspectives ultimative Nachhilfe. Und um das gleich loszuwerden: Es sind die lustigsten 45 Minuten, die man weit und breit mit den sagenhaften Germanen haben kann.
Klasse ist allein schon der Spielort. Maximal authentisch. Auf dem Schulhof des Sozialpflegerischen Berufsbildungszentrums (SBBZ) muss sich das Publikum erstmal brav aufreihen. Dann geht's ab in den Chemiesaal, wo – etwas überraschend – diese besondere Deutschstunde stattfindet. Doch man kennt das ja im Saarland: Der Deutschlehrer ist wahrscheinlich wieder krank, dann muss halt die Chemielehrerin einspringen.
So streng, wie sie guckt, befürchtete sie's wohl schon: Offenbar hat keiner gelernt. Und jetzt muss sie das der Klasse irgendwie einbimsen. Mit Tafelbild und Strichen bis die Kreide quietscht. Aber auch mit allem, was der Chemiesaal gerade hergibt. Ein spitzer Zirkel mutiert zur wehrhaft stolzen Brünhild, die Thermosflasche markiert den starken Siegfried (außen kühl, innen heiß), eine puschelige Handyhülle wird zur schönen Kriemhild und König Gunther, dieser Softie, der selbst, um sich seiner Angebeteten Brünhild zu nähern, Siegfrieds Beistand braucht, begegnet uns – wie sinnig – in Gestalt eines schon ziemlich ausgewrungenen Tafellappens; zu mehr als zum Aufwischen taugt der eben nicht. In 45 Minuten schafft es Laura Gambarini tatsächlich viele Schlüsselszenen des Riesenepos anzutippen. Literaturwissenschaftlerin und Pantomimin ist die Schweizerin; eine ideale Kombination, um sich die bluttriefenden und rachelüsternen Aventiuren über Drachen, Recken und stolze Frauen vorzunehmen. Im Grunde schafft die Schweizerin, die auch selbst die Dramaturgie besorgt hat, eine grandiose Mixtur aus Performance, Pantomime, fixem Sprachwitz und sogar Figurenspiel – und das völlig organisch miteinander verwoben. Zwischen Tafel und letzter Bank wird da der Deutschen Nationalepos, das von Richard Wagner zum Weltuntergangsfanal überhöht und von den Nazis propagandistisch ausgeweidet wurde, von ihr höchst vergnüglich auf menschliches Maß gestutzt. Und mit welchem Tempo, Timing und Witz ihr das glückt, beeindruckt.
Großartiges Ein-Frau-Theater und zugleich eine dieser wunderbaren Perspectives-Entdeckungen, die das Festival so unverzichtbar machen. Umso bemerkenswerter ist dies noch, weil die Schweizerin ihr Stück sonst nur vor frankophonem Publikum spielt; Deutsch als Fremdsprache also, bei der die Germanennamen so richtig hart ins französische Ohr knallen. Aber auch für Muttersprachler ist dieses kleine Stück eine große Show. Laura Gambarini und „The Game of Nibelungen“: eine Eins mit Sternchen!
Nochmal am Samstag, 27. Mai, und Sonntag, 28. Mai, jeweils um 16 Uhr und um 18.30 Uhr, im SBBZ, Schmollerstraße 10, Saarbrücken. www.festival-perspectives.de