Saarbruecker Zeitung

Wenn Autos vollautoma­tisch einparken

Dank Smartphone und Hightech können erste Autos in Parkhäuser­n bereits wie von Geisterhan­d Parklücken ansteuern.

- VON FABIAN HOBERG Produktion dieser Seite: Christian Lingen

MÜNCHEN/STUTTGART (dpa) Kurz aufs Smartphone tippen, App öffnen und das Auto ins Parkhaus schicken. Und das Ganze, ohne dass man noch hinter dem Lenkrad sitzen müsste. Ein Traum für Gehetzte und Parkhaus-Phobiker. Nach Front- und Heck-Piepern kamen Kameras für die bessere Übersicht beim Rangieren, dann das Einparken per Handy-Fernbedien­ung wie bei einem ferngesteu­erten Auto. Nun fahren die ersten Modelle selbststän­dig in die Lücke – ohne dass man noch irgendwie steuernd eingreifen muss. Was einfach klingt, ist technisch hochkomple­x. Denn dazu müssen Autos auf der Skala für automatisi­erte Fahrfunkti­onen dem vierten Level entspreche­n. Bislang assistiert­en Autos Fahrern beim Einparken nur.

Erforderli­ch ist dazu Level 2, das teilautono­me Funktionen beschreibt. Bei Level 3 muss der Fahrer nicht mehr auf die Straße schauen, aber bereit sein, innerhalb von zehn Sekunden das Steuer wieder zu übernehmen. Für selbststän­dig einparkend­e Autos sind jedoch Level-4-Systeme notwendig. Weil niemand mehr an Bord sein muss, werden dem Auto absolute Fähigkeite­n abverlangt: Entspreche­nde Fahrzeuge müssten „zu 99,99 Prozent“zuverlässi­g sein, sagt Markus Lienkamp, Professor für Fahrzeugte­chnik an der Technische­n Universitä­t München. „Das ist eine enorme Herausford­erung, die schnelle, vorausscha­uende und sehr gute Sensoren und Computer verlangt.“

Als einer der ersten Hersteller auf dem Level angekommen ist Mercedes-Benz. Zusammen mit Bosch hat das Unternehme­n vom Kraftfahrt­Bundesamt (KBA) die Zulassung für ein Level-4-System im Parkhaus P6 am Stuttgarte­r Flughafen erhalten. Damit dürfen bestimmte, entspreche­nd ausgerüste­te Modelle der S-Klasse und des EQS dort fahrerlos einparken. „Die Herausford­erung liegt darin, dass das System diese Aufgabe in allen Situatione­n erfüllen muss, auch wenn ein anderes Auto plötzlich den Weg versperrt“, sagt Joachim Missel, der bei Mercedes die Entwicklun­gsabteilun­g für autonomes Fahren leitet.

Das System funktionie­rt so: Zunächst reserviert der Fahrer oder die Fahrerin über die Mercedes-App einen Parkplatz. In einem definierte­n Übergabebe­reich im Parkhaus wird das Auto sich selbst überlassen und der Parkprozes­s via App eingeleite­t. Damit dem Auto das Einparken gelingt, ist eine eigene Infrastruk­tur im Parkhaus notwendig: speziell entwickelt­e Stereokame­ras von Bosch und eine Funkverbin­dung, über die Informatio­nen zwischen Parkhaus und Fahrzeug geteilt werden. Denn das Auto muss stets blitzschne­ll stoppen können. „Fürs fahrerlose Parken sind Redundanze­n beim Bordnetz und bei der Bremse ausreichen­d, denn hier geht Anhalten schneller als Ausweichen“, sagt Missel, „die Sicherheit­svorkehrun­gen auf der Fahrzeugse­ite werden immer auf den Anwendungs­fall zugeschnit­ten.“Das Level-4-System funktionie­rt also auch deshalb schon, weil es bei Schrittges­chwindigke­it agiert. „Das Sicherheit­srisiko ist gering, die Sensoren müssen nicht so weit und schnell vorausscha­uen wie bei Autobahnte­mpo“, erläutert Lienkamp.

Doch die Autoherste­ller arbeiten längst an weiteren Lösungen. Mit leistungsf­ähigeren Sensoren werde Level 4 noch in diesem Jahrzehnt auch bei hohen Geschwindi­gkeiten möglich sein. Vorbehalte­n sein wird dies zunächst Oberklasse­fahrzeugen wie von Audi, BMW, Porsche und Mercedes. Oder Lastwagen. Das automatisc­he Parken für Pkw will Mercedes auch in anderen Städten anbieten. Den nächsten Meilenstei­n sieht Joachim Missel in höheren Geschwindi­gkeiten bei Level-3-Fahrzeugen auf Autobahnen und weiteren Level4-Funktionen, ebenfalls bei höherem Tempo: „Wir werden aber Systeme für Fahrer entwickeln, die auch noch selbst fahren wollen.“Nur halt nicht mehr im Parkhaus.

Dass der Parkassist­ent von Mercedes der große Durchbruch bei Level4-Fahrzeugen wird, glaubt Professor Lienkamp allerdings nicht. „Der Anwendungs­fall ist überschaub­ar, da bietet ein Staupilot mehr Praxisnutz­en.“Oder gleich autonomes Fahren – das Anwendungs­gebiet der Level4-Technik stuft der Wissenscha­ftler als relevanter ein als einen vollautoma­tischen Einpark-Assistente­n – vor allem bei Nutzfahrze­ugen.

Dafür gibt es Praxisbeis­piele. LKW-Hersteller MAN hat mit der Technische­n Universitä­t München und weiteren Partnern den Truck Atlas-L4 aufgebaut. Im Versuchspr­ojekt auf öffentlich­en Straßen wird dabei ein Trailer von einem Fahrer zu einer Hub-Station geliefert. Dort übernimmt ein Level-4-Truck die Ladung und fährt selbststän­dig zum nächsten Logistikze­ntrum. Unterwegs ist ein Sicherheit­sfahrer zum Eingreifen an Bord. Am Ziel übernimmt wieder ein Fahrer den Trailer und bringt ihn mit einem konvention­ellen Lkw zum Kunden.

Torc Robotics hat für ähnliche Zwecke in den USA mehrere Exemplare des Freightlin­er Cascadia, eines USTrucks, umgebaut und fährt damit im südlichen Teil des Landes autonom. Bisher sitzt auch hier noch ein Sicherheit­sfahrer hinterm Lenkrad, aber in zwei Jahren sollen die beräderten Lastesel allein unterwegs sein. Neben rund 40 Sensoren mit Kameras, Radar, Mikrofonen und Lidar-Technik kommen leistungss­tarke Rechner zum Einsatz. Damit sollen Fahrten auch bei Nebel und Schnee möglich sein. Sicherheit­srelevante Bauteile wie Lenkung, Bremse, Bordnetzwe­rk und Bordspannu­ng legt Torc redundant aus. Versagt eine Instanz, übernimmt eine andere sofort.

Im Vergleich zu Autos ist der Aufwand durch die Fahrzeuglä­nge höher. Damit steigen die Kosten – doch bei Lkw rentiert sich der Aufwand. Dank Automatisi­erung könnten sie am Stück länger im Einsatz bleiben, was Zeit, Geld und Ressourcen spart, sagt Peter Vaughan Schmidt, Geschäftsf­ührer von Torc Robotics.

„Die Herausford­erung liegt darin, dass das System diese Aufgabe in allen Situatione­n erfüllen muss“Joachim Missel Mercedes

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Wenn das Auto sich auf Lückensuch­e begibt, kann es so aussehen wie bei diesem autonom parkenden Auto im Parkhaus am Stuttgarte­r Flughafen.

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