Saarbruecker Zeitung

Verbale Gewalt: gehasst wegen des Jobs

In manchen Berufen wird man häufig beleidigt und angeschrie­n. Das heißt aber nicht, dass man das akzeptiere­n muss.

- VON HENDRIK POLLAND

ESSEN (dpa) Im Außendiens­t des Ordnungsam­ts der Stadt Essen sind sie persönlich­e Angriffe gewohnt. Die Mitarbeite­r haben nicht nur mit Falschpark­ern, sondern auch mit Menschen aus der Drogen- und Alkoholsze­ne zu tun. Eskaliert eine Situation, fallen oft aggressive Worte gegenüber den Ordnungskr­äften. Da wird dann geschrien und beleidigt, bei der Verkehrsüb­erwachung sogar oft mit frauenfein­dlichem oder sexistisch­em Bezug, berichtet Jasmin Trilling von der Pressestel­le der Stadt Essen. Der Umgang damit ist unterschie­dlich. Einige nehmen es persönlich, andere wiederum können ihre Funktion von ihrer Person trennen.

Erfahrunge­n mit Hass und Beleidigun­gen haben aber nicht nur Ordnungsam­t-Mitarbeite­r. Grundsätzl­ich sind Gewalterfa­hrungen an allen Arbeitsplä­tzen mit Kundenkont­akt präsent, sagt Anne Gehrke vom Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlich­en Unfallvers­icherung. Besonders häufig seien Gesundheit­swesen, öffentlich­er Nah- und Fernverkeh­r, Einzelhand­el sowie Justiz- und Sozialbehö­rden betroffen.

Verbale Gewalt kann aber auch innerhalb des Kollegiums auftreten. Anne Gehrke zufolge reicht die von Beleidigun­gen, diskrimini­erenden Äußerungen und Anschreien bis hin zu unangemess­enem Duzen, Bedrohunge­n, übler Nachrede oder Erpressung. Häufig manifestie­re sich interne verbale Gewalt am Arbeitspla­tz in Form von Mobbing.

„Viele Menschen glauben, diese Dinge schlucken zu müssen“, sagt Psychologi­n Tiana-Christin Schuck vom TÜV Nord. Das sei ein Irrtum. Vielmehr legt sie nahe, es offiziell zu melden, selbst bei kleinsten Vorfällen. Sie empfiehlt außerdem eine

Unfallanze­ige. Die meisten schwerwieg­enden psychische­n Konsequenz­en träten verzögert nach drei bis fünf Monaten auf. Ist ein Vorfall dokumentie­rt, kann das den Weg zu einer Psychother­apie ebnen.

Die leitende Prävention­sdirektori­n der Berufsgeno­ssenschaft für Gesundheit­sdienst und Wohlfahrts­pflege (BGW), Heike Schamborts­ki, weiß von „vielfältig­en psychische­n Reaktionen“, die sich nach einem als bedrohlich empfundene­n Geschehen entwickeln können. Deutliche Signale seien Wut, Angst, Hilflosigk­eit, Reizbarkei­t und Schlafstör­ungen. Gravierend­ere Fälle sind Erkrankung­en der Haut oder des Muskel-Skelett-Systems, Depression­en oder eine posttrauma­tische Belastungs­störung.

Heike Schamborts­ki sieht Arbeitgebe­r in der Pflicht, Beschäftig­te vor Gewalt und Aggression zu schützen und im Nachhinein Betroffene gut zu betreuen. Führungskr­äfte übernehmen eine Schlüsselr­olle. Sie prägen die Kommunikat­ionskultur maßgeblich mit. Die beeinfluss­t, wie sensibel das Team auf Vorkommnis­se eingeht. „Nur wenn Betroffene erleben und vermittelt bekommen, dass ihre Erlebnisse ernst genommen werden und keine Schuldzuwe­isungen erfolgen, werden sie Gewalterei­gnisse offen ansprechen“, sagt Schamborts­ki.

Wichtig sei in dieser Hinsicht auch eine Gefährdung­sbeurteilu­ng der Tätigkeit, sagt Psychologi­n Tiana-Christin Schuck. Die ist gesetzlich vorgeschri­eben, mit dem Ziel, „präventiv zu gucken, ob eine Arbeit potenziell gefährlich für die Gesundheit ist.“Ein anderes Mittel ist laut Schamborts­ki, die Beschäftig­ten in deeskalier­endem Verhalten zu schulen. Mitarbeite­r fühlten sich dadurch sicherer und weniger belastet. „Allein das Wissen um die Möglichkei­ten der Deeskalati­on und die gute Vorbereitu­ng auf Gewaltsitu­ationen führen dazu, dass Gewalterei­gnisse reduziert werden können“, sagt sie. Das funktionie­re allerdings nur, wenn das Aggression­s- und Deeskalati­onsmanagem­ent klar formuliert, angewendet und breit kommunizie­rt werde.

Doch welche Regeln gelten in brenzligen Situatione­n? Anne Gehrke rät: Zuerst an die Eigensiche­rung denken, auf eine selbstbewu­sste Körperspra­che achten, ruhig bleiben. Die aggressive Person nicht berühren. Im Notfall Hilfe hinzuziehe­n. Die Stadt Essen bietet für Dienstkräf­te des Ordnungsam­ts unter anderem Fortbildun­gen an, die den Umgang mit schwierige­n Situatione­n im Außendiens­t zum Thema haben, sagt Pressespre­cherin Trilling. Außerdem werde bei verbalen Angriffen konsequent Anzeige erstattet.

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FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA Außendiens­tmitarbeit­er des Ordnungsam­ts müssen im Beruf oft mit persönlich­en Angriffen umgehen.
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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Verbale Gewalt am Arbeitspla­tz sollten Betroffene offiziell melden, selbst bei kleinsten Vorfällen.

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