Mit Tieren die Weser entlang
Rund um den Solling wandert man auch mit wilden Weggefährten durchs Weserbergland.
SILBERBORN Die Heide blüht auf dem Hochmoor von Mecklenbruch, schafft ein romantisches Bild, das Caspar David Friedrich wohl sehr gemocht und zu einem seiner unverwechselbaren Gemälde gemacht hätte. Über dem grünen, unmerklich wogenden Gras, durchzogen vom zarten Altrosa des Heidekrauts, wabern Wölkchen feinen Nebels, der sich zwischen schlanken Stämmen vereinzelter, mithin hochaufragender Birken zu dicken Dunstschwaden verdichtet. Nur schemenhaft ist der dahinterliegende Nadelwald erkennbar. Er gibt sich düster und geheimnisvoll. Um die empfindsame Vegetation des Moores zu schonen, hat man in weiser Voraussicht den Wanderweg durch das Naturschutzgebiet weitestgehend auf Planken angelegt. Vom hölzernen Geländer aus bietet sich so ein guter Einblick in das landschaftliche Kleinod, auch wenn das feuchte Klima über der moorigen Fläche diesem zuweilen etwas hinderlich ist.
„Was so schön wirkt, ist leider alles andere als günstig für den weiteren Fortbestand des Mecklenbrucher Hochmoors.“Der Wanderwart des Sollingvereins, Wolfgang Heise, legt seine Stirn in Falten und doziert weiter für seine aufmerksam lauschende Gruppe. „Die blühende Heide signalisiert uns nämlich, dass der Untergrund zu trocken wird, dass die zwingend notwendige, permanente Feuchtigkeit zurückgeht. Manch seltene Pflanzenspezies ist bereits nicht mehr zu finden – der Klimawandel macht leider eben auch um das Weserbergland keinen Bogen.“Der Dämon des 21. Jahrhunderts ist augenscheinlich kaum noch aufzuhalten. Dabei wirkt alles so unglaublich friedlich und für den unbedarften Betrachter so, als wäre alles in bester Ordnung. Auch die frei umherlaufenden ExmoorPonys mit ihrem kastanienbraunen Fell tollen gänzlich unbeeindruckt herum, schenken den Wanderern nur wenig Aufmerksamkeit, während der Dunst sich langsam lichtet. Und die schwarzen Galloway-Rinder bleiben in stoischer Gelassenheit unbewegt liegen. „Die robusten Vierbeiner erfüllen landschaftspflegerische Aufgaben und bleiben beinahe während des ganzen Jahres hier draußen. Sie halten vordringende Gräser kurz und gewährleisten damit den Bestand seltener Pflanzenarten.“
Die Rentiere von Axel Winter in der Wildnisfarm Silberborn sind indes zutraulicher, insbesondere dann, wenn man getrocknete skandinavische Flechten in den Händen hat. Um ihre Leibspeise zu ergattern, verlieren sie jegliche Scheu und lassen sich sogar über ihr borstig wirkendes Fell streicheln. Ein Blick in die großen dunklen Augen der Tiere hat noch jedes Herz zu erweichen vermocht und so erfreut sich das Rentier-Trekking durch den Hochsolling insbesondere bei Familien mit kleinen Kindern größter Beliebtheit. Ihr besonnenes, entspanntes Gemüt strahlt auch auf die Menschen aus, die sich problemlos bei einer geführten, zumeist zweistündigen Tour aus dem Alltag ausklinken können. Etwas mehr Anstrengung erfordert eine ebenfalls geführte Tour mit einem der Huskys von Winters Wildnisfarm. Der Bewegungsdrang der Schlittenhunde ist derart groß, dass man sie eigentlich stetig etwas bremsen muss und seine Wandertour, die durchaus einen ganzen Tag dauern kann, durch die weiten Wälder mit Bauchgurt und Hundegeschirr in leicht zurückgelehnter Haltung absolviert.
Für die Hunde stellen die sommerlichen Temperaturen nur insofern ein Problem dar, als sie lieber am kühleren Wegesrand laufen und die eine oder andere Pause bei einer Pfütze oder einem kleinen Gewässer machen. Mit weit heraushängender Zunge genießen sie dann die feuch
te Kühle und ignorieren kurzfristig die zaghaften Bemühungen und Kommandos ihres anhängenden menschlichen Gefährten. Dann aber geht die wilde Fahrt gleich weiter. Die von Axel Winter hervorragend abgerichteten Tiere hören aufs Wort und reagieren keineswegs übermütig, wenn es zu Begegnungen mit Spaziergängern und deren gerne auch einmal nicht angeleinten vierbeinigen Freunden kommt. Noch etwas schneller unterwegs ist man mit den Dogscootern, Tretrollern auf der Basis von Mountainbikes, die teilweise dann von zwei Hunden gezogen werden. Wenn die klimatischen Verhältnisse es zulassen und ausreichend Schnee liegt, dann sind natürlich auch Hundeschlitten- oder, etwas gemächlicher, Rentierschlittentouren möglich.
Die unterschiedlichen Wanderungen von der Silberborner Wildnisfarm aus, tangieren zumeist auch den Streckenverlauf der sechsten Etappe des Fernwanderweges „Weserberglandweg“. Dieser folgt auf gut 225 Kilometern in insgesamt 13 Teiletappen dem geschwungenen Verlauf der Weser von ihrem Ursprung im Fachwerkstädtchen Hannoversch Münden bis nach Porta Westfalica, wo die Ausläufer der gefälligen Mittelgebirgslandschaft in die norddeutsche Tiefebene übergehen. An der Wegstrecke liegen zahlreiche, zauberhafte kleine Dörfer und Städtchen, zudem manch verwunschene Burg, manch verträumtes Schloss – all dies inspirierte die Literaten der Romantik zu märchenhaft fantasievollen Erzählungen. So auch jene des Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen, dessen großer, mithin ungewöhnlicher Einfallsreichtum Mitte des 18. Jahrhunderts von gleich mehreren Schriftstellern noch zu dessen Lebzeiten zu Papier gebracht wurde, woraufhin er, nicht unbedingt zum Gefallen des Protagonisten, zum „Lügenbaron“avancierte.
Aus der Höhe des Bismarckturms auf dem 204 Meter hohen Eckberg, es sind zuvor 58 Stufen und ein für das Weserbergland recht steiler Aufstieg in Serpentinen am Beginn der achten Etappe des Weserberglandsteiges zu bewältigen, bietet sich ein toller Ausblick über den weiten Weserbogen und den darin nestelnden Ort Bodenwerder, Geburts- und Sterbeort des weltbekannten Barons.