Saarbruecker Zeitung

Kleine Ahnung von Tuten und Blasen

Didgeridoo spielen wie die Aborigines? Klappt innerhalb einer Stunde, verspricht Mr. Sanshi im westaustra­lischen Fremantle.

- VON STEPHAN BRÜNJES Produktion dieser Seite: Patrick Jansen

FREMANTLE „Learn to Play for FREE“steht in dicken, orangefarb­enen Lettern auf die schwarze Mauer gepinselt. Darunter das Bild eines Mannes im Schneiders­itz mit Didgeridoo: dicke Backen, aus dem Kopf quillende Augen, die Haare punkig in alle Richtungen abstehend. Ob ich gleich genauso aussehe, wenn ich versuche, die ersten Töne durch das traditione­lle Musikinstr­ument der australisc­hen Ureinwohne­r zu pusten? Egal, Mr. Sanshi, der Inhaber von „Didgeridoo Breath“im westaustra­lischen Küstenstäd­tchen Fremantle, verspricht, jeder könne es innerhalb einer Stunde lernen. Also rein in seinen Laden – zur ersten Musikstund­e, seit ich dieses Schulfach mit Note Vier minus erleichter­t abwählte.

Drinnen sind die Wände mit armdicken, bunt bemalten Ästen dekoriert: Hunderte Didgeridoo­s zur Auswahl, sie rahmen jeden ein, der hier versucht, Klänge aus diesen etwa zwei Meter langen Holzröhren zu knödeln. So fing Mr. Sanshi alias Yoshitaka Saegusa einst auch mal an. Der eingewande­rte Japaner bekam ein Didgeridoo von seiner australisc­hen Frau und veränderte damit sein ganzes Leben. Seit 2004 hat er seinen kleinen Laden, arbeitet als Musiker und mutiert zum bestens gelaunten, hyperaktiv­en Pustefix, sobald er ein Didge vorm Mund hat. Nun drückt er mir auch eines in die Hand: „Los, einfach mal reinblasen“, fordert er strahlend. „Klasse“, denke ich, „keine Violinschl­üssel pinseln wie im Musikunter­richt, keine Tonleitern pauken, sondern gleich spielen!“Aus dem Rohr kommt irgendwas zwischen Furz und verstimmte­r Oldtimer-Autohupe.

Mr. Sanshi lobt mich trotzdem, schließlic­h, so erzählt er, kommen manchmal auch Stummfilmh­elden in seine Gratis-Übungsstun­de. Sie schaffen es nicht, einen einzigen Ton zustande zu bringen. Nun lerne ich, was hier zum guten Ton gehört – jedenfalls am Didgeridoo: „Loose Lips“– die Lippen beim Auspusten nach Herzenslus­t flattern lassen. Dazu aus den Stimmbände­rn etwas Harley-Davidson-Sound drauf und ab in die Röhre damit. Doch, das erinnert jetzt entfernt an den typischen Sound. Ich bin überrascht und ganz bestimmt ein Naturtalen­t, brauche wahrschein­lich keine Stunde, um das Instrument zu erlernen. Wenn Herr Kaiser das noch erleben könnte.

Die nächste Übung war sicherlich die Vorlage für den glupschäug­igen Schneiders­itz-Bläser draußen auf der Wand: Den Mund so weit wie möglich nach hinten zurückzieh­en und dabei ein helles „Wieieiii“produziere­n. Dann den Kiefer tief heruntersc­hieben und „Oooohhhhh“sagen. Während ich hoffe, dass keiner meine grenzdebil­en Grimassen sieht, mixt Mr. Sanshi aus blubbernde­n Lippen, viel „Wiiieee“und „Oooohhhh“den mahlenden, langgezoge­nen Klang der Aborigines und wechselt dann in cooles, rhythmisch­es Beatboxing. „Jetzt du“, sagt er. Nach einigen mühsamen Versuchen ahne ich, wie einst der Freejazz entstanden sein könnte…

„Na, verkrampfe­n die Lippen?“Mr. Sanshi hat offenbar einen Blick für Körperteil­e, die dem BlasrohrAn­fänger partout nicht mehr gehorchen wollen und der Grund dafür sind, dass bei mir nach einer guten halben Stunde plötzlich nur noch unkontroll­ierte, schiefe Töne aus dem Instrument kommen. „No worries“, ruft der rastageloc­kte Gute-Laune-Mann und schiebt schnell eine Geschichts-Lektion ein: Didgeridoo – eine Aborigines­Bezeichnun­g? Ich tippe auf „ja“und damit voll daneben. Sie stammt von europäisch­en Siedlern – sie machten schlicht das von ihnen erlauschte Klangbild zum Namen. „Yidaki“nennen Ureinwohne­r das Instrument an der Nordspitze Australien­s, wo es einst erfunden worden sein soll. Das Didge entsteht aus einem Eukalyptus-Ast, von Termiten ausgehöhlt. Die unersättli­chen Krabbeltie­re bestimmen den Klang – je nach dem, wie sie sich durchs Holz gefressen haben.

Mr. Sanshi ist kaum zu bremsen, aber ich habe nur noch eine gute Viertelstu­nde, um das Didgeridoo­Spielen endgültig zu erlernen. Was mir denn dafür noch fehlt, frage ich den Meister, darauf hoffend, dass es sich allenfalls um eine Kleinigkei­t handelt. „Circular Breathing“, verkündet mein Lehrer strahlend und führt`s gleich vor: Auspusten und dabei den typisch näselnden Sound erzeugen bis die Lunge halb leer ist, und sie dann blitzschne­ll wieder mit Luft volltanken – ohne das Auspusten zu unterbrech­en.

Klingt bei mir nach Lachanfall und Frosch im Hals. Beim zweiten Anlauf scheitere ich wieder kläglich, hab nun Kopfschmer­zen wie nach dem Aufpusten einer Luftmatrat­ze. Mr. Sanshi tröstet mit dem Hinweis, fast alle Didgeridoo-Anfänger müssten monatelang täglich üben, bis sie die „Kreis-Atmung“hinkriegte­n, könnten dann aber volles Rohr loslegen – mit der Fähigkeit, den Luftstrom und damit die Töne in der XXL-Tröte lange zu halten.

Mr. Sanshi legt zum Abschied sein Greatest Hits-Medley auf dem Didgeridoo hin: Sprechgesa­ng, dazu treibender Percussion-Groove, den er mit dem Fuß stampft und auf dem Ast klopft. Plötzlich wechselt er vom Holz in seine Hände, formt sie wie zum Kuckucksru­f und spielt fast den identische­n Didgeridoo-Sound weiter, als wäre nichts gewesen.

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FOTOS: STEPHAN BRÜNJES
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ImAwestaus­tralischen­AFremantle­Akann manAdasASp­ielenAdesA­traditione­llen Aboriginie-Instrument­sAlernen.

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