Kleine Ahnung von Tuten und Blasen
Didgeridoo spielen wie die Aborigines? Klappt innerhalb einer Stunde, verspricht Mr. Sanshi im westaustralischen Fremantle.
FREMANTLE „Learn to Play for FREE“steht in dicken, orangefarbenen Lettern auf die schwarze Mauer gepinselt. Darunter das Bild eines Mannes im Schneidersitz mit Didgeridoo: dicke Backen, aus dem Kopf quillende Augen, die Haare punkig in alle Richtungen abstehend. Ob ich gleich genauso aussehe, wenn ich versuche, die ersten Töne durch das traditionelle Musikinstrument der australischen Ureinwohner zu pusten? Egal, Mr. Sanshi, der Inhaber von „Didgeridoo Breath“im westaustralischen Küstenstädtchen Fremantle, verspricht, jeder könne es innerhalb einer Stunde lernen. Also rein in seinen Laden – zur ersten Musikstunde, seit ich dieses Schulfach mit Note Vier minus erleichtert abwählte.
Drinnen sind die Wände mit armdicken, bunt bemalten Ästen dekoriert: Hunderte Didgeridoos zur Auswahl, sie rahmen jeden ein, der hier versucht, Klänge aus diesen etwa zwei Meter langen Holzröhren zu knödeln. So fing Mr. Sanshi alias Yoshitaka Saegusa einst auch mal an. Der eingewanderte Japaner bekam ein Didgeridoo von seiner australischen Frau und veränderte damit sein ganzes Leben. Seit 2004 hat er seinen kleinen Laden, arbeitet als Musiker und mutiert zum bestens gelaunten, hyperaktiven Pustefix, sobald er ein Didge vorm Mund hat. Nun drückt er mir auch eines in die Hand: „Los, einfach mal reinblasen“, fordert er strahlend. „Klasse“, denke ich, „keine Violinschlüssel pinseln wie im Musikunterricht, keine Tonleitern pauken, sondern gleich spielen!“Aus dem Rohr kommt irgendwas zwischen Furz und verstimmter Oldtimer-Autohupe.
Mr. Sanshi lobt mich trotzdem, schließlich, so erzählt er, kommen manchmal auch Stummfilmhelden in seine Gratis-Übungsstunde. Sie schaffen es nicht, einen einzigen Ton zustande zu bringen. Nun lerne ich, was hier zum guten Ton gehört – jedenfalls am Didgeridoo: „Loose Lips“– die Lippen beim Auspusten nach Herzenslust flattern lassen. Dazu aus den Stimmbändern etwas Harley-Davidson-Sound drauf und ab in die Röhre damit. Doch, das erinnert jetzt entfernt an den typischen Sound. Ich bin überrascht und ganz bestimmt ein Naturtalent, brauche wahrscheinlich keine Stunde, um das Instrument zu erlernen. Wenn Herr Kaiser das noch erleben könnte.
Die nächste Übung war sicherlich die Vorlage für den glupschäugigen Schneidersitz-Bläser draußen auf der Wand: Den Mund so weit wie möglich nach hinten zurückziehen und dabei ein helles „Wieieiii“produzieren. Dann den Kiefer tief herunterschieben und „Oooohhhhh“sagen. Während ich hoffe, dass keiner meine grenzdebilen Grimassen sieht, mixt Mr. Sanshi aus blubbernden Lippen, viel „Wiiieee“und „Oooohhhh“den mahlenden, langgezogenen Klang der Aborigines und wechselt dann in cooles, rhythmisches Beatboxing. „Jetzt du“, sagt er. Nach einigen mühsamen Versuchen ahne ich, wie einst der Freejazz entstanden sein könnte…
„Na, verkrampfen die Lippen?“Mr. Sanshi hat offenbar einen Blick für Körperteile, die dem BlasrohrAnfänger partout nicht mehr gehorchen wollen und der Grund dafür sind, dass bei mir nach einer guten halben Stunde plötzlich nur noch unkontrollierte, schiefe Töne aus dem Instrument kommen. „No worries“, ruft der rastagelockte Gute-Laune-Mann und schiebt schnell eine Geschichts-Lektion ein: Didgeridoo – eine AboriginesBezeichnung? Ich tippe auf „ja“und damit voll daneben. Sie stammt von europäischen Siedlern – sie machten schlicht das von ihnen erlauschte Klangbild zum Namen. „Yidaki“nennen Ureinwohner das Instrument an der Nordspitze Australiens, wo es einst erfunden worden sein soll. Das Didge entsteht aus einem Eukalyptus-Ast, von Termiten ausgehöhlt. Die unersättlichen Krabbeltiere bestimmen den Klang – je nach dem, wie sie sich durchs Holz gefressen haben.
Mr. Sanshi ist kaum zu bremsen, aber ich habe nur noch eine gute Viertelstunde, um das DidgeridooSpielen endgültig zu erlernen. Was mir denn dafür noch fehlt, frage ich den Meister, darauf hoffend, dass es sich allenfalls um eine Kleinigkeit handelt. „Circular Breathing“, verkündet mein Lehrer strahlend und führt`s gleich vor: Auspusten und dabei den typisch näselnden Sound erzeugen bis die Lunge halb leer ist, und sie dann blitzschnell wieder mit Luft volltanken – ohne das Auspusten zu unterbrechen.
Klingt bei mir nach Lachanfall und Frosch im Hals. Beim zweiten Anlauf scheitere ich wieder kläglich, hab nun Kopfschmerzen wie nach dem Aufpusten einer Luftmatratze. Mr. Sanshi tröstet mit dem Hinweis, fast alle Didgeridoo-Anfänger müssten monatelang täglich üben, bis sie die „Kreis-Atmung“hinkriegten, könnten dann aber volles Rohr loslegen – mit der Fähigkeit, den Luftstrom und damit die Töne in der XXL-Tröte lange zu halten.
Mr. Sanshi legt zum Abschied sein Greatest Hits-Medley auf dem Didgeridoo hin: Sprechgesang, dazu treibender Percussion-Groove, den er mit dem Fuß stampft und auf dem Ast klopft. Plötzlich wechselt er vom Holz in seine Hände, formt sie wie zum Kuckucksruf und spielt fast den identischen Didgeridoo-Sound weiter, als wäre nichts gewesen.