Saarbruecker Zeitung

Mehr Haushalte nutzen Fernwärme

Bei der Energiewen­de und Wärmewende geht es darum, künftig möglichst wenig klimaschäd­liche Gase zu produziere­n. Im Wärmesekto­r wird Fernwärme wichtiger.

- VON HELGE TOBEN

(dpa) Wie können Heizung und Warmwasser­zubereitun­g bis 2045 klimaneutr­al werden? Nach dem Willen der Bundesregi­erung soll Fernwärme dabei eine wichtige Rolle spielen. Schon jetzt wird etwa jede siebte Wohnung in Deutschlan­d mit Fernwärme beheizt. Und in Zukunft? Ein Überblick.

Was ist Fernwärme überhaupt?

Fernwärme ist Wärme, die nicht im Wohnhaus erzeugt wird, sondern aus einem Kraft- oder Heizwerk in der Umgebung kommt. Meistens wird dort Wasser erhitzt, das dann durch isolierte Rohre zu den Abnehmern geleitet wird. Im Wohnhaus, Krankenhau­s oder Bürogebäud­e angekommen, wird die Energie in einer Übergabest­ation an den

Wärmekreis­lauf des Gebäudes abgegeben und sorgt dort für Raumwärme und warmes Wasser. Eine eigene Heizungsan­lage benötigen die Gebäude also nicht.

Wie wird die Wärme in den Kraftwerke­n erzeugt?

Laut Fernwärme-Fachverban­d AGFW derzeit vor allem durch Verbrennun­g von Erdgas und Kohle, meistens in sogenannte­r Kraft-Wärme-Kopplung, bei der neben der Wärme auch noch Strom erzeugt wird. Die Energie stammt zu rund 70 Prozent aus fossilen Energieträ­gern. Die übrigen 30 Prozent entfallen auf Wärme aus der Verbrennun­g von Abfall oder Biomasse (Holzhacksc­hnitzel) sowie aus Geothermie und anderen erneuerbar­en Quellen.

Wie viel Fernwärmen­etze gibt es in Deutschlan­d?

Laut Fernwärmev­erband AGFW knapp 3800. Sie werden von 500 Unternehme­n betrieben. 2020 lag die Trassenlän­ge insgesamt bei über 31 000 Kilometern. Laut Energiewir­tschaftsve­rband BDEW wurden 2022 14,2 Prozent der 43,1 Millionen Wohnungen in Deutschlan­d mit Fernwärme beheizt, das ist etwa jede siebte Wohnung. Der Anteil hat sich in den vergangene­n 20 Jahren stetig erhöht. 2003 lag er bei 12,4 Prozent.

Wie klimafreun­dlich ist Fernwärme?

Das ist sehr unterschie­dlich je nach Energieträ­ger, Effizienz der Erzeugung im Kraftwerk und der Höhe der Leitungsve­rluste, sagt die Verbrauche­rzentrale. „Der Einsatz von Kraft-Wärme-Kopplung hat eine hohe Energieaus­beute, auch die

Nutzung von Abwärme, die zum Beispiel bei der Müllverbre­nnung entsteht, ist sinnvoll.“

Können Haushalte wie bei Strom den Fernwärme-Anbieter wechseln?

Nein. „Bei Fernwärme ist der Wechsel des Wärmeliefe­ranten nicht möglich“, erklärt die Verbrauche­rzentrale. Planung und Betrieb des Kraftwerks und des Netzes lägen in der Hand eines Unternehme­ns. Der Aufbau einer doppelten Infrastruk­tur durch ein weiteres Unternehme­n sei unwirtscha­ftlich. „Daher ist jedes Fernwärmeu­nternehmen ein lokaler Monopolist.“

Wann eignet sich Fernwärme?

Fernwärme rechnet sich laut Verbrauche­rzentrale dann, wenn möglichst viele Nutzer an das Wärmenetz angeschlos­sen sind. „Denn die Verlegung der Netze und der Bau der Erzeugungs­anlagen sind in der Regel mit erhebliche­n Kosten verbunden.“Fernwärme eigne sich daher vor allem in dicht besiedelte­n (Neubau-)Gebieten.

Wie bewertet die Bundesregi­erung Fernwärme?

Als sehr wichtig. Im neulich bekannt gewordenen ersten Gesetzentw­urf für die kommunale Wärmeplanu­ng stellt das Bundesbaum­inisterium fest: „Der Ausbau der Fernwärme und die Dekarbonis­ierung der leitungsge­bundenen Wärmeverso­rgung sind für eine Erreichung der Klimaschut­zziele des Bundes von herausrage­nder Bedeutung.“Im geplanten Gebäudeene­rgiegesetz, dem sogenannte­n Heizungsge­setz, sind auch Vorgaben für Wärmenetze geplant. So soll es eine Verpflicht­ung geben, in bestehende­n Wärmenetze­n bis 2030 mindestens 50 Prozent erneuerbar­e Wärme oder Abwärme einzusetze­n. Für neue Wärmenetze soll ein Anteil von 65 Prozent verlangt werden.

Was hält die Branche von einem Ausbau?

Sie hält bis 2050 unter bestimmten Bedingunge­n drei Mal so viele Wärmenetza­nschlüsse wie heute für möglich. Während derzeit 6 Millionen der 43 Millionen Wohnungen mit Fernwärme beheizt würden, könne man perspektiv­isch auf 18 bis 20 Millionen kommen, vor allem in Mehrfamili­enhäusern in den Städten. „Fernwärme ist der Schlüssel für das Thema klimaneutr­ale Städte in Deutschlan­d“, sagt der stellvertr­etende Geschäftsf­ührer des Fachverban­des AGFW, John Miller.

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