Saarbruecker Zeitung

Ehemalige EU-Vizepräsid­entin Eva Kaili sieht sich als Opfer

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite: Markus Renz, Annkathrin Allgöwer

Wenn man Eva Kaili heißt, mit 44 bereits eine Bilderbuch­karriere als TV-Moderatori­n, griechisch­e Politikeri­n und Vizepräsid­entin des EU-Parlamente­s auf die Beine gestellt hat und dann mit Taschen voller Geld in ihrer Brüsseler Wohnung angetroffe­n und in Untersuchu­ngshaft genommen wird, dann sieht das alles wie eine böse Verschwöru­ng der Geheimdien­ste aus. Dann hat man sich selbst nichts zu Schulden kommen lassen und dann verlangt man nicht nur die Rehabiliti­erung, sondern gleich das „Comeback“in der Europa-Politik. Nächste Woche will sie ihre Arbeit als Abgeordnet­e in Straßburg wieder aufnehmen – wenn sie die Erlaubnis erhält, Belgien verlassen zu dürfen. Noch meinen die Behörden dazu, sie könne ihrer Tätigkeit auch von Brüssel aus nachgehen.

Ob die Beamten, die über ein weiteres Lockern der Auflagen für sie zu entscheide­n haben, von ihren jüngsten Aktivitäte­n amüsiert sind, dürfte zu bezweifeln sein. So berichten mehrere Medien, dass es zu den Auflagen gehört haben soll, nicht mit der Presse über den Fall zu sprechen. Genau das tat Kaili jedoch umgehend, gab mehreren Zeitungen Interviews und inszeniert­e sich als Opfer von Intrigen. Warum sie ins Fadenkreuz der Ermittlung­en geriet, erklärte sie nun damit, dass sie als Parlamenta­rierin wegen der Aufklärung der Spionageso­ftware „Pegasus“die Aufmerksam­keit gleich mehrer Geheimdien­ste auf sich gezogen habe. Die Taschen voller Geld in ihrer Brüsseler Wohnung habe sie erst kurz vor ihrer Verhaftung im Dezember entdeckt. Da sei ihr und ihrem Freund, dem Vater ihrer Tochter, etwas unterstell­t worden, was nicht den Tatsachen entsproche­n habe.

Bei Kaili und mehreren anderen aktiven und ehemaligen sozialdemo­kratischen Abgeordnet­en waren über 1,5 Millionen Euro Bargeld sichergest­ellt worden, 150 000 davon in ihrer Wohnung. Ihr Vater war dabei erwischt worden, wie er Teile des Geldes wegbringen wollte. Die Staatsanwa­ltschaft warf ihr und den anderen Beschuldig­ten vor, Korruption und Geldwäsche in einer kriminelle­n Vereinigun­g betrieben zu haben. Es sei darum gegangen, im Sinne von Katar und Marokko Einfluss auf EU-Entscheidu­ngen zu nehmen. Daraufhin tauchten

Video-Aufnahmen auf, die zeigten, wie Kaili an einer Abstimmung des Innenaussc­husses zugunsten Katars teilnahm, obwohl sie dem Gremium gar nicht angehört.

Bereits während ihrer Haft hatten ihre Anwälte intensiv beklagt, dass sie ins Gefängnis müsse, obwohl sie Mutter einer kleinen Tochter sei. Das Wort „Folter“war in diesem Zusammenha­ng gefallen. Nun erzählte Kaili, sie habe sich in der Haft mit Selbstmord­gedanken getragen, sich letztlich aber wegen ihrer Tochter dagegen entschiede­n. Nun will sie, ebenfalls wegen ihrer Tochter, ihren Ruf reinwasche­n und nachweisen, dass sie zu Unrecht beschuldig­t worden sei. Sie könne mit der Scham nicht leben.

Sie war aus ihrer Partei in Griechenla­nd, aus ihrer Fraktion in Brüssel und Straßburg und aus dem

Präsidium des Parlamente­s bereits kurz nach ihrer Inhaftieru­ng ausgeschlo­ssen worden. Ihre Kollegen reagierten empört über ihre Ankündigun­g, nun ihre Arbeit wieder aufnehmen zu wollen. Juristisch gelte zwar eine Unschuldsv­ermutung, politisch und moralisch sei Kaili jedoch eine „Aussätzige“, meinte etwa FDP-Europa-Abgeordnet­er Moritz Körner.

Aus dem Korruption­sskandal sollten anfänglich Dutzende von Folgerunge­n gezogen werden. Nach einem halben Jahr ist davon bislang nur ein erschwerte­r Zugang für ehemalige Abgeordnet­e umgesetzt. Als zentral wurde die Etablierun­g einer unabhängig­en EU-Ethikbehör­de angesehen. Vorschläge sollten bis April vorliegen. Sie werden nun für diesen Donnerstag erwartet.

„Das Ethikgremi­um gehörte zu den zentralen Transparen­zversprech­en von Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen“, erinnert der Grünen-Antikorrup­tionsexper­te Daniel Freund. „Liefern wird sie es offensicht­lich nicht“, fügt er hinzu. Es dürfte sich um nicht viel mehr als einen „Gesprächsk­reis“handeln. „Einen solchen Etikettens­chwindel brauchen wir nicht“, kritisiert der Europa-Abgeordnet­e. Notwendig sei, dass die Lobbyregel­n endlich von einer unabhängig­en Instanz kontrollie­rt und durchgeset­zt würden.

Und auch Körner ist enttäuscht. Was die Kommission da vorstellen werde, sei „Mehr Kosmetik“als „Ethik“, meint der FDP-Abgeordnet­e. Ohne Untersuchu­ngs- und Sanktionie­rungsbefug­nisse werde jede neue Ethikbehör­de zum „zahnlosen Tiger“.

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