Ehemalige EU-Vizepräsidentin Eva Kaili sieht sich als Opfer
Wenn man Eva Kaili heißt, mit 44 bereits eine Bilderbuchkarriere als TV-Moderatorin, griechische Politikerin und Vizepräsidentin des EU-Parlamentes auf die Beine gestellt hat und dann mit Taschen voller Geld in ihrer Brüsseler Wohnung angetroffen und in Untersuchungshaft genommen wird, dann sieht das alles wie eine böse Verschwörung der Geheimdienste aus. Dann hat man sich selbst nichts zu Schulden kommen lassen und dann verlangt man nicht nur die Rehabilitierung, sondern gleich das „Comeback“in der Europa-Politik. Nächste Woche will sie ihre Arbeit als Abgeordnete in Straßburg wieder aufnehmen – wenn sie die Erlaubnis erhält, Belgien verlassen zu dürfen. Noch meinen die Behörden dazu, sie könne ihrer Tätigkeit auch von Brüssel aus nachgehen.
Ob die Beamten, die über ein weiteres Lockern der Auflagen für sie zu entscheiden haben, von ihren jüngsten Aktivitäten amüsiert sind, dürfte zu bezweifeln sein. So berichten mehrere Medien, dass es zu den Auflagen gehört haben soll, nicht mit der Presse über den Fall zu sprechen. Genau das tat Kaili jedoch umgehend, gab mehreren Zeitungen Interviews und inszenierte sich als Opfer von Intrigen. Warum sie ins Fadenkreuz der Ermittlungen geriet, erklärte sie nun damit, dass sie als Parlamentarierin wegen der Aufklärung der Spionagesoftware „Pegasus“die Aufmerksamkeit gleich mehrer Geheimdienste auf sich gezogen habe. Die Taschen voller Geld in ihrer Brüsseler Wohnung habe sie erst kurz vor ihrer Verhaftung im Dezember entdeckt. Da sei ihr und ihrem Freund, dem Vater ihrer Tochter, etwas unterstellt worden, was nicht den Tatsachen entsprochen habe.
Bei Kaili und mehreren anderen aktiven und ehemaligen sozialdemokratischen Abgeordneten waren über 1,5 Millionen Euro Bargeld sichergestellt worden, 150 000 davon in ihrer Wohnung. Ihr Vater war dabei erwischt worden, wie er Teile des Geldes wegbringen wollte. Die Staatsanwaltschaft warf ihr und den anderen Beschuldigten vor, Korruption und Geldwäsche in einer kriminellen Vereinigung betrieben zu haben. Es sei darum gegangen, im Sinne von Katar und Marokko Einfluss auf EU-Entscheidungen zu nehmen. Daraufhin tauchten
Video-Aufnahmen auf, die zeigten, wie Kaili an einer Abstimmung des Innenausschusses zugunsten Katars teilnahm, obwohl sie dem Gremium gar nicht angehört.
Bereits während ihrer Haft hatten ihre Anwälte intensiv beklagt, dass sie ins Gefängnis müsse, obwohl sie Mutter einer kleinen Tochter sei. Das Wort „Folter“war in diesem Zusammenhang gefallen. Nun erzählte Kaili, sie habe sich in der Haft mit Selbstmordgedanken getragen, sich letztlich aber wegen ihrer Tochter dagegen entschieden. Nun will sie, ebenfalls wegen ihrer Tochter, ihren Ruf reinwaschen und nachweisen, dass sie zu Unrecht beschuldigt worden sei. Sie könne mit der Scham nicht leben.
Sie war aus ihrer Partei in Griechenland, aus ihrer Fraktion in Brüssel und Straßburg und aus dem
Präsidium des Parlamentes bereits kurz nach ihrer Inhaftierung ausgeschlossen worden. Ihre Kollegen reagierten empört über ihre Ankündigung, nun ihre Arbeit wieder aufnehmen zu wollen. Juristisch gelte zwar eine Unschuldsvermutung, politisch und moralisch sei Kaili jedoch eine „Aussätzige“, meinte etwa FDP-Europa-Abgeordneter Moritz Körner.
Aus dem Korruptionsskandal sollten anfänglich Dutzende von Folgerungen gezogen werden. Nach einem halben Jahr ist davon bislang nur ein erschwerter Zugang für ehemalige Abgeordnete umgesetzt. Als zentral wurde die Etablierung einer unabhängigen EU-Ethikbehörde angesehen. Vorschläge sollten bis April vorliegen. Sie werden nun für diesen Donnerstag erwartet.
„Das Ethikgremium gehörte zu den zentralen Transparenzversprechen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen“, erinnert der Grünen-Antikorruptionsexperte Daniel Freund. „Liefern wird sie es offensichtlich nicht“, fügt er hinzu. Es dürfte sich um nicht viel mehr als einen „Gesprächskreis“handeln. „Einen solchen Etikettenschwindel brauchen wir nicht“, kritisiert der Europa-Abgeordnete. Notwendig sei, dass die Lobbyregeln endlich von einer unabhängigen Instanz kontrolliert und durchgesetzt würden.
Und auch Körner ist enttäuscht. Was die Kommission da vorstellen werde, sei „Mehr Kosmetik“als „Ethik“, meint der FDP-Abgeordnete. Ohne Untersuchungs- und Sanktionierungsbefugnisse werde jede neue Ethikbehörde zum „zahnlosen Tiger“.