Saarbruecker Zeitung

Der letzte Schritt auf dem Weg zur Rentenrefo­rm

In Frankreich steht der letzte parlamenta­rische Schlagabta­usch zur Rente bevor. Die Stimmung ist angespannt, Präsident Macron angeschlag­en.

- VON MICHAEL EVERS

(dpa) Fast könnte man meinen, Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron versuche abzutauche­n, wenn er während Demonstrat­ionen gegen seine Rentenrefo­rm am Dienstag für ein Abendessen mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) nach Deutschlan­d fliegt. Tatsächlic­h war die internatio­nale Bühne für den Staatschef in den vergangene­n Wochen ein Fluchtpunk­t vor lautstarke­n Protesten, die ihm landesweit entgegensc­hlugen. Zum 14. Mal mobilisier­en die Gewerkscha­ften nun zum Protest gegen die Mitte April beschlosse­ne Reform. Am Donnerstag startet auch die Opposition einen letzten Versuch, das Vorhaben zu stoppen – mit einem eigenen, wenig aussichtsr­eichen Gesetzesen­twurf, der die Erhöhung des Rentenalte­rs rückgängig machen soll. Unbeliebt wie selten und geschwächt stand Macron nach der Entscheidu­ng da, das Rentenalte­r schrittwei­se von 62 auf 64 Jahre zu erhöhen.

Inzwischen mehren sich die Signale, dass Macron mit einer Regierungs­umbildung samt Austausch von Premiermin­isterin Élisabeth Borne einen Neustart versuchen könnte. Zwischen Macron und der Regierungs­chefin knirscht es immer wieder. Für Borne aber spricht neben ihrer Arbeitswut, dass sie die Rentenrefo­rm unter widrigen Umständen in trockene Tücher gebracht hat.

Mit eilends angekündig­ten schnellen Verbesseru­ngen in der Arbeitswel­t sowie dem Bildungs- und Gesundheit­swesen, allesamt Dauerbaust­ellen der französisc­hen Politik, hatte Macron bereits versucht, von der Rentenrefo­rm weg zu anderen Themen zu gelangen. Steuersenk­ungen für Menschen mit moderatem

Einkommen wurden angekündig­t. Schon am Nationalfe­iertag, dem 14. Juli, soll Bilanz gezogen werden.

Der Erneuerer Macron hatte das in Frankreich sensible Thema Rente schon in seiner ersten Amtszeit auf die Agenda gehoben. Nach Gelbwesten­protesten kam jedoch Corona und die Reform wurde abgeblasen. Im Wahlkampf 2022 kündigte der Präsident einen zweiten Anlauf an und warnte die Bevölkerun­g vor – alle müssten etwas mehr arbeiten. Mit Verlust der absoluten Mehrheit bei der Parlaments­wahl vor einem Jahr wurde das schrittwei­se Anheben des Renteneint­rittsalter­s von 62 auf 64 Jahre dann aber zu einem Kraftakt. Die Unterstütz­ung der konservati­ven Républicai­ns bröckelte weg. Die Regierung boxte die Reform ohne Abstimmung durchs Parlament.

Um zu beweisen, dass er nicht in innenpolit­ischer Lähmung gefangen bleibt und weiter Gestaltung­skraft in Frankreich hat, will Macron in den nächsten Monaten mehrere große Gesetzesvo­rhaben voranbring­en. Zum einen will er Frankreich­s Militäraus­gaben drastisch erhöhen, von 2024 bis 2030 soll das Budget der Armee auf 400 Milliarden Euro steigen. Breiter Rückhalt gilt als sicher.

Der zweite Testfall für Macrons Reformfähi­gkeit dreht sich um die Förderung grüner Industrien, von Autobatter­ien über Wärmepumpe­n bis hin zu Solar- und Windkraft, zur Stärkung von Frankreich­s industriel­le Basis. Ansiedlung­en sollen beschleuni­gt und erleichter­t werden.

Am schwierigs­ten umzusetzen sein dürfte die Novellieru­ng des Immigratio­nsgesetzes. Ein im Februar auf den Weg gebrachter Entwurf wurde auf Eis gelegt, die Républicai­ns als einzige mögliche Unterstütz­er des Präsidente­nlagers legten einen Gegenvorsc­hlag vor. Kompromiss­linien zeichnen sich noch nicht ab.

Zu den landesweit­en Protesten gegen die Rentenrefo­rm, die im September in Kraft tritt, werden am Dienstag 400 000 bis 600 000 Demonstran­ten erwartet, deutlich weniger als am vorangegan­genen Protesttag am 1. Mai. Und was den Parlaments­vorstoß der Opposition gegen die Reform am Donnerstag angeht, verfügt das Regierungs­lager über genügend Hebel, um das Ansinnen ins Leere laufen zu lassen.

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FOTO: CARL COURT/PA WIRE/DPA Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich

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