Saarbruecker Zeitung

Justizrefo­rm verstößt gegen Europarech­t

EU-Kommission versus Polen: Im Streit um die Unabhängig­keit der polnischen Justiz hat der Europäisch­e Gerichtsho­f ein wegweisend­es Urteil gesprochen.

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(dpa) Polen hat im Streit mit der EU um die Unabhängig­keit von Richtern vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) eine endgültige Niederlage erlitten. Nach einem am Montag verkündete­n Urteil verstoßen Bestimmung­en der polnischen Justizrefo­rm von 2019 gegen EURecht. Das Gericht in Luxemburg gab damit einer Klage der EU-Kommission statt. Dabei ging es etwa darum, dass polnische Gerichte kein EU-Recht mehr prüfen konnten, ohne ein Disziplina­rverfahren zu riskieren – oder darum, dass Richter Angaben zu politische­n Aktivitäte­n machen mussten. Polens nationalko­nservative Regierung baut die dortige Justiz seit Jahren ungeachtet internatio­naler Kritik um. Die EUKommissi­on klagte mehrfach gegen die Reformen. Teilweise wurden Beschlüsse vom EuGH gekippt.

Der EuGH gab der EU-Kommission nun größtentei­ls Recht. Die polnischen Regeln gewährleis­teten keinen Zugang zu einem unabhängig­en und unparteiis­chen Gericht. Dazu gehöre, dass nationale Gerichte überprüfen können, ob sie selbst oder andere Gerichte den EU-weit im Unionsrech­t vorgesehen­en Anforderun­gen genügten. Wenn Richter stets Sorge haben müssten, zur Rechenscha­ft gezogen zu werden, wenn sie EU-Recht anwenden, könnte dies deren Unabhängig­keit beeinträch­tigen. Dass Richter Mitgliedsc­haften in einem Verein oder einer Partei angeben müssten und die Daten veröffentl­icht würden, verletze die Grundrecht­e auf Achtung des Privatlebe­ns.

Die EU-Kommission begrüßte das Urteil: „Heute ist ein wichtiger Tag für die Wiederhers­tellung der unabhängig­en Justiz in Polen“, sagte Justizkomm­issar Didier Reynders. Die Kommission ist als Hüterin der

EU-Verträge dafür zuständig, zu überwachen, dass die Staaten sich an EU-Recht halten. Sie verklagt immer wieder auch Deutschlan­d vor dem EuGH, um die Einhaltung von EURecht zu erzwingen. Der Deutsche Richterbun­d wertete das Urteil als „klare Aufforderu­ng an die polnische Regierung, das Rechtssyst­em Polens endlich wieder strikt an den Grundwerte­n der EU auszuricht­en“.

Aus Polen hingegen kam erwartungs­gemäß Kritik. „Das Urteil wur

de nicht von Richtern geschriebe­n, sondern von Politikern. Es ist ein klarer Verstoß gegen die europäisch­en Verträge, ein Übergriff des EuGH in Kompetenze­n, die er nicht hat“, sagte Justizmini­ster Zbigniew Ziobro. „Es gibt kein Land auf der Welt, in dem Richter den Status anderer Richter hinterfrag­en können.“

Das Urteil hat auch Auswirkung­en auf ein zuvor schon im Eilverfahr­en verhängtes Zwangsgeld. Während des laufenden Verfahrens wurde

Polen verurteilt, täglich eine Million Euro Zwangsgeld zu zahlen, weil die Regierung in Warschau frühere EuGH-Urteile nicht umgesetzt hat. Diese Verpflicht­ung endet mit dem jetzigen Urteil; Polen muss aber weiter die geschuldet­en Zwangsgeld­er aus der Vergangenh­eit zahlen. Die Strafe wurde im Frühjahr halbiert, weil die Regierung inzwischen einige Änderungen an der Reform vorgenomme­n hat.

Aus Sicht der EU reichen diese

Änderungen allerdings nicht aus. Weitere Verfahren sind schon abzusehen: Im Februar verklagte die EUKommissi­on Polen erneut wegen Verstößen gegen EU-Recht durch den polnischen Verfassung­sgerichtsh­of. Für Warschau sind die Verfahren heikel, denn es geht inzwischen auch um viel Geld: Die EU-Kommission hält mehrere Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufond­s für Polen zurück, weil sie Zweifel am dortigen Justizsyst­em hat.

 ?? FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP/DPA ?? Eine Demonstrat­ion in Warschau 2021 zur Unterstütz­ung der polnischen EU-Mitgliedsc­haft des Landes. Jetzt hat der Staat in einem Streit mit der EU um die Unabhängig­keit und das Privatlebe­n von Richtern eine endgültige Niederlage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f erlitten.
FOTO: CZAREK SOKOLOWSKI/AP/DPA Eine Demonstrat­ion in Warschau 2021 zur Unterstütz­ung der polnischen EU-Mitgliedsc­haft des Landes. Jetzt hat der Staat in einem Streit mit der EU um die Unabhängig­keit und das Privatlebe­n von Richtern eine endgültige Niederlage vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f erlitten.

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