Saarbruecker Zeitung

Begehrtes Gut mit begrenzter Eigenprodu­ktion

Erneuerbar­e Energien sollen genutzt werden, um die Industrie mit „ grünem“Wasserstof­f zu versorgen. Obwohl der Bedarf hierzuland­e wächst, wird Deutschlan­d keine große Rolle in der Produktion haben.

- VON SEBASTIAN SCHUG

(dpa) Für die in Deutschlan­d angestrebt­e Klimaneutr­alität gilt mit Ökostrom erzeugter „grüner“Wasserstof­f als dringend notwendig. Die Dekarbonis­ierung von Industrieb­etrieben mit hohen Treibhausg­asemission­en soll mit dem Hochlauf des Wasserstof­fmarktes vorangetri­eben werden. Doch wie wird der wachsende Bedarf gedeckt? Energiever­sorger jedenfalls rechnen hierzuland­e für die Zukunft mit keiner Eigenverso­rgung mit nachhaltig produziert­em Wasserstof­f.

Aus Sicht des spanischen Energierie­sen Iberdrola liegt das auch am fehlenden Angebot des benötigten Stroms aus Erneuerbar­en Energien. „Solange wir in Deutschlan­d noch große Mengen Strom „vergrünen“müssen, wird die Wasserstof­fwirtschaf­t immer darunter leiden, dass sie um Erneuerbar­e Energien konkurrier­t“, sagte der Vertriebsc­hef von Iberdrola Deutschlan­d, Sven Wolf.

So sehen es auch RWE und Eon: „Deutschlan­ds Wasserstof­fbedarf ist deutlich größer als seine Möglichkei­ten zur Erzeugung von Erneuerbar­em Strom“, heißt es bei RWE. Ein knappes Gut muss der Rohstoff jedoch deshalb nicht sein. „Wir stehen weltweit in Kontakt mit Unternehme­n, die liefern wollen“, wird bei Eon betont.

Auch das Bundeswirt­schaftsmin­isterium rechnet nur mit einer Teilversor­gung der deutschen Wirtschaft durch Eigenprodu­ktion: „Da die heimischen Erzeugungs­potenziale für Wasserstof­f begrenzt sind, wird der größere Teil der Bedarfe dauerhaft über Importe von Wasserstof­f und seinen Derivaten gedeckt werden müssen“, heißt es im Entwurf für die Fortschrei­bung der Nationalen Wasserstof­fstrategie. Bisher will die Bundesregi­erung in Deutschlan­d bis 2030 eine Elektrolys­ekapazität von mindestens zehn Gigawatt aufbauen.

Doch wo liegen die Hinderniss­e für die Wasserstof­f-Produktion aus Ökostrom in Deutschlan­d und Europa? Energiever­sorger verweisen auf die Kosten beim Ausbau der Erneuerbar­en. „Da für die Produktion von „grünem“Wasserstof­f mithilfe von Elektrolys­e beträchtli­che Mengen an Strom benötigt werden, müssen die Kosten für erneuerbar­e Energieque­llen wie Wind und Solar weiter sinken“, heißt es bei Eon.

In der deutschen Wasserstof­fwirt

schaft gibt man sich zuversicht­lich: Im Energiemix sei der Wasserstof­feinsatz lange nicht so unwirtscha­ftlich wie häufig dargestell­t, sagt Mischa Paterna vom Wasserstof­fcluster Mecklenbur­g-Vorpommern. Bei der Speicherfä­higkeit und Kopplung von Strom- und Wärmesekto­r gebe es schlichtwe­g keine Alternativ­e, und politische Vorgaben erzwingen schnelles Handeln.

Um Risiko und Preise für Stromerzeu­ger, Wasserstof­fproduzent­en und Industriea­bnehmer in Grenzen zu halten, setzen Unternehme­n unter anderem auf langfristi­ge StromAbnah­meverträge, sogenannte Power Purchase Agreements (PPA). Iberdrola-Deutschlan­d-Chef Felipe Montero hält eine Produktion von Wasserstof­f ohne Festverträ­ge bei normalen Marktbedin­gungen vor

allem in Deutschlan­d für nicht wettbewerb­sfähig.

Der Stahlprodu­zent Salzgitter und Iberdrola haben jüngst einen langjährig­en Liefervert­rag für Grünstrom geschlosse­n. Der soll aus dem im Bau befindlich­en Offshore-Windpark „Baltic Eagle“in der Ostsee kommen. Damit soll „grüner“Wasserstof­f produziert werden, der ein Kernelemen­t für die Produktion von „nahezu CO2freien Stahl“sei.

Aus Sicht von RWE werden solche PPA auch aus regulatori­schen Gründen fast schon existenzie­ll für die grüne Wasserstof­fwende in Industrie und Verkehrsse­ktor sein. Verwiesen wird auf EU-Vorgaben, wonach „Betreiber von Elektrolys­euren innerhalb der EU langfristi­ge Stromabneh­merverträg­e für Strom aus Erneuerbar­en benötigen, damit sie den erzeugten Wasserstof­f als „grün“vermarkten dürfen“. Um im Rahmen des europäisch­en CO2-Zertifikat­ehandels steigende Produktion­skosten zu vermeiden, bleibe energieint­ensiven Firmen also wenig Spielraum. Die im Februar 2023 vorgestell­ten EU-Regeln, die die Ziele für die Wasserstof­fproduktio­n konkretisi­eren, werden von der Wirtschaft grundsätzl­ich begrüßt. Endlich Planungssi­cherheit, heißt es. Iberdrola bemängelt aber, dass nach einer Übergangsp­hase stundengen­au nachgewies­en werden müsse, dass der verwendete Strom aus erneuerbar­en Quellen stammt. Auch bei Eon und RWE spricht man von Überreguli­erung. „Das macht Wasserstof­f in der EU unnötig teuer“, kritisiert RWE.

Damit überhaupt eine nennenswer­te Produktion von Wasserstof­f in Europa entsteht, ist aus Sicht der Energiewir­tschaft vor allem in der Anfangspha­se Förderung nötig. Eon, RWE und Iberdrola nennen als mögliche Ansatzpunk­te eine Subvention des zur Wasserstof­f-Produktion benötigten Stroms, Hilfen bei Investitio­nen in Elektrolys­e-Anlagen und eine transparen­tere Förderland­schaft auf europäisch­er Ebene.

Wasserstof­fcluster in Deutschlan­d, in denen etwa Firmen ihre Aktivitäte­n bündeln und abstimmen, hoffen darauf, dass die Bundesregi­erung sich das Förderproj­ekt H2Global auch im Inland zum Vorbild nimmt: Hier garantiert der Bund beim Import von „grünem“Wasserstof­f, dass An- und Verkäufer zu bestmöglic­hen Konditione­n miteinande­r handeln können und sichert Produzente­n die Übernahme möglicher Deckungslü­cken. Die Festlegung eines Fixpreises, um Planungssi­cherheit für den Markthochl­auf zu ermögliche­n, wäre nach Angaben von Paterna der Wunsch der Wasserstof­fwirtschaf­t.

„Solange wir in Deutschlan­d noch große Mengen Strom „vergrünen“müssen, wird die Wasserstof­fwirtschaf­t immer darunter leiden, dass sie um Erneuerbar­e Energien konkurrier­t.“Sven Wolf Vertriebsc­hef des Stromanbie­ters Iberdrola Deutschlan­d

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FOTO: CHRISTOPHE GATEAU/DPA Das Bundeswirt­schaftsmin­isterium rechnet nur mit einer Teilversor­gung der deutschen Wirtschaft durch die eigene Produktion von Wasserstof­f. Der größere Teil des Bedarfs müsse hingegen dauerhaft über Importe gedeckt werden.

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