Sucht auf Süßes macht dick und krank
Der Homburger Adipositas- Chirurg Dr. Sebastian Holländer gibt der Lebensmittelindustrie große Schuld an der globalen Adipositas-Epidemie. Auch im Saarland legen sich immer wieder übergewichtige Menschen für eine Magenverkleinerung unters Messer.
Im zertifizierten Zentrum für Adipositas-Chirurgie am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg operieren die Chirurgen pro Jahr etwa 100 stark übergewichtige Patienten. Ihnen wird der Magen verkleinert oder ein Magenbypass gelegt, weil alle anderen Maßnahmen zur Gewichtsreduktion erfolglos geblieben sind. Bei einem BMI (Body Mass Index) ab 30 spricht man von Adipositas, von Fettleibigkeit. Die Weltgesundheitsorganisation hat im Jahr 2000 erstmals vor einer „globalen Adipositas-Epidemie“gewarnt. „In Deutschland ist bereits jeder Vierte adipös“, sagt Dr. Sebastian Holländer, Oberarzt sowie Adipositas- und Viszeralchirurg am Uniklinikum.
„Die Ursachen einer Adipositas sind vielfältig. Teilweise verstehen wir die Zusammenhänge noch nicht vollständig“, sagt Holländer. „Sicherlich spielt eine genetische Veranlagung dabei auch eine Rolle, wir kennen aber mittlerweile auch Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen und Adipositas.“Zudem könnten hormonelle Störungen das Sättigungs- und Hungergefühl stören. „Sehr großen Einfluss hat der Lebensstil, vor allem unsere Ernährungsgewohnheiten“, sagt der Mediziner. Er lastet adipösen Menschen jedoch nicht an, ungezügelt zu viel zu essen, sondern sieht die Schuld bei der Ernährungsindustrie.
„In den 1970er Jahren begannen Lebensmittelfirmen zunächst in den USA, aus Mais ein billiges und sehr süßes Zuckerkonzentrat herzustellen, den sogenannten High-Fructose-Corn-Sirup. Er wurde schon bald vielen Lebensmitteln zugesetzt, zum Beispiel Keksen, Limonaden, Backwaren, Eiscreme, Joghurt und Fertiggerichten“, erläutert Holländer. „Der Pro-Kopf-Konsum von High-Fructose-Corn-Sirup hat sich seither um mehr als das 200-Fache erhöht. Es ist auffällig, dass mit zunehmender Verwendung von Maissirup auch die Zahl adipöser Menschen gestiegen ist. Der Anstieg beider Kurven ist nahezu parallel verlaufen.“
Es ist gut erforscht, dass HighFructose-Maissirup nicht satt macht, sondern sogar das Sättigungsgefühl ausschaltet und dadurch Übergewicht fördert. Zahlreiche Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass mit Maissirup gesüßte Produkte regelrecht süchtig machen können. Auch in Deutschland steckt Maissirup in vielen Lebensmitteln, selbst in Kinderprodukten. „Es mangelt an Prävention“, sagt Holländer. „Immer mehr Kinder werden adipös. Und adipöse Kinder bleiben im späteren Leben zumeist adipös. Außerdem entwickeln sie häufig sehr früh Diabetes. Die Vorsorge muss schon in der Kita beginnen. Die Kinder müssen ein Bewusstsein für gesunde Ernährung entwickeln. Und dafür müssen auch die Eltern sensibilisiert werden, denen die Zusammenhänge oft nicht klar sind.“Mit gesunder Ernährung sei die sogenannte mediterrane Kost gemeint: viel Gemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte, Olivenöl, Fisch, wenig Kohlenhydrate.
Holländer berichtet, dass Fettleibigkeit mit zahlreichen chronischen Erkrankungen einhergeht, darunter Diabetes, Bluthochdruck, Atherosklerose, Schlafapnoe, Inkontinenz, Unfruchtbarkeit, Gelenkverschleiß, Gehirnschwellungen und einige
Krebsarten. Auch die Fettleber gehört zu den Begleiterkrankungen. „Fruktose wird nach der Mahlzeit aus dem Darm über die Pfortader direkt in die Leber geleitet und dort zu Fett umgebaut. Hoch konzentrierte Fruktose lässt die Leber, andere Organe und den gesamten Körper schnell verfetten“, erläutert der Chirurg. „In der Fettleber reichern sich zunehmend sogenannte freie Radikale an, aggressive Sauerstoffmoleküle, welche zu Gewebeschäden und einem dauerhaften Entzündungszustand des Körpers führen können. Diese bereiten lange Zeit keine Schmerzen, deshalb spricht man von stillen Entzündungen.“
Auch die Leber könne sich chronisch entzünden, es entstehe eine Hepatitis. „Daraus kann sich eine Leberfibrose, eine Vermehrung des Bindegewebes, entwickeln, die wiederum eine Leberzirrhose, eine Vernarbung der Leber, zur Folge haben kann. Hepatitis beziehungsweise Zirrhose erhöhen zudem das Risiko für Leberkrebs“, sagt Holländer.
Nicht zuletzt stamme aus der Fettleber das schädliche LDL-Cholesterin, das in größeren Mengen das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigen lässt.
Ob die Adipositas-Chirurgen am Uniklinikum des Saarlandes einem Patienten den Magen verkleinern, entscheidet die Adipositas-Konferenz, der Fachärzte verschiedener Disziplinen angehören. Bei einer Operation wird entweder ein Schlauchmagen gebildet, wobei 90 Prozent des Magens entfernt werden, oder es wird ein Magenbypass gelegt. Dazu wird der Magen in zwei Teile getrennt, einen kleinen Vormagen, der mit einer Dünndarmschlinge verbunden wird, und den größeren Restmagen. Nur der kleinere Teil nimmt über die angeschlossene Dünndarmschlinge noch Nahrung auf. Der Restmagen bleibt im Körper, ist jedoch nicht mehr an der Verdauung beteiligt.
„In der Regel ist bei adipösen Patienten die Operation jeder herkömmlichen Therapie überlegen.
Die Patienten verlieren danach deutlich an Gewicht, und bei etwas jüngeren Patienten bringt die OP im Schnitt zehn Jahre mehr Lebenserwartung“, sagt Holländer. Auch Patienten über 70 würden noch operiert. Hier gehe es vor allem darum, ihre Mobilität wiederherzustellen und zu erhalten. Durch die Magen-OP werde auch das Risiko für Begleiterkrankungen deutlich gesenkt. „Der Diabetes geht zum Beispiel in 80 bis 90 Prozent der Fälle so stark zurück, dass keine Medikamente mehr erforderlich sind.“Nach einer Magenverkleinerung werden die Patienten ein Leben lang nachversorgt; in den ersten beiden Jahren nach OP mehrfach im Jahr, danach jährlich.
Nach einer Adipositas-Operation profitiert der Großteil der Patienten dauerhaft von der Gewichtsreduktion. Medizinisch vorrangig ist jedoch die Verbesserung des Stoffwechsels. Damit sinkt das Risiko für Begleiterkrankungen deutlich. „Eine Operation ist bei einem BMI ab 35 angebracht“, sagt Holländer.
Zuvor muss aber mindestens sechs Monate lang mit einer herkömmlichen Therapie versucht werden, das Gewicht zu reduzieren: mit Ernährungsumstellung, regelmäßiger körperlicher Bewegung und psychischer Beratung. „Nur, wenn dieses sogenannte multimodale Konzept scheitert und der adipöse Patient unter Begleiterkrankungen leidet, sollte gemäß der gültigen medizinischen Leitlinie operiert werden“, erläutert Holländer. „Adipositaschirurgie wird von den gesetzlichen Krankenversicherungen bezahlt.“
Bei einem BMI zwischen 40 und 50 muss sich der Patient zunächst ebenfalls der multimodalen Therapie unterziehen, danach ist eine Operation möglich, auch wenn noch keine Begleiterkrankungen vorliegen. Liegt jedoch ein Diabetes mellitus vor, ist in diesem BMIBereich das multimodale Konzept nicht mehr verpflichtend. Ab einem BMI von 50 kann der Magen ohne vorherige konservative Therapie verkleinert werden.