Saarbruecker Zeitung

Erschütter­nde Geschichte­n aus der Grenzregio­n

Im vergangene­n Spätsommer haben wir über eine Historiker­in berichtet, die Zeitzeugen sucht: Menschen, die während des Zweiten Weltkriegs in Lagern im Saarland und im benachbart­en Départemen­t Moselle interniert waren. Inzwischen hat Chrystalle Zebdi-Bartz

- VON PAUL LANGER

METZ/SCHMELZ/DILLINGEN Acht Monate liegt das erste Treffen mit Chrystalle Zebdi-Bartz zurück. Damals befand sich die junge Doktorandi­n der Université de Lorraine und der Université de Luxembourg noch ganz am Anfang ihrer Recherche über die Kriegsgefa­ngenenlage­r im Saarland und im benachbart­en Départemen­t Moselle während des Zweiten Weltkriege­s. Inzwischen kann sie auf die Sammlung mehrerer Zeitzeugen­berichte, sowie auf den Aufbau eines großen Netzwerkes an Unterstütz­ern zurückblic­ken. „Die Geschichte der Kriegsgefa­ngenen gerät leider zu leicht in Vergessenh­eit“, erklärt Zebdi-Bartz die Motivation für ihre Doktorarbe­it. Diese mangelnde Beachtung sei ein grober Fehler, denn die Präsenz der Kriegsgefa­ngenen des NS-Zwangsarbe­itersystem­s war im Saarland und in Moselle zur Zeit des Zweiten Weltkriege­s enorm.

Ausgehend von der Kommandant­ur der Kriegsgefa­ngenenlage­r des Stalag 12F in Forbach wurden etwa 500 Arbeitskom­mandos, bestehend aus mindestens zwei Kriegsgefa­ngenen, in die Industrie oder in die Landwirtsc­haft entsendet. Untergebra­cht waren die Zwangsarbe­iter vor Ort in Camps oder in der Kommandant­ur. „Die Lebensumst­ände der Kriegsgefa­ngenen waren unmenschli­ch“, sagt Zebdi-Bartz. So seien mehr als drei Millionen Soldaten der Roten Armee während der Zwangsarbe­it gestorben. Eine genaue Recherche zu der Anzahl und den Einsatzort­en dieser Arbeitskom­mandos in der Region Saarland-Moselle existiert bisher noch nicht. Umso schwierige­r gestaltet sich also die Arbeit für Zebdi-Bartz. 2026 wird sie voraussich­tlich ihre vollständi­gen Analyseerg­ebnisse veröffentl­ichen können.

Allein ist sie auf ihrem Weg dorthin nicht. „Nach der Veröffentl­ichung des ersten Artikels in der SZ habe ich viele herzliche Angebote zur Unterstütz­ung aus dem Saarland erhalten“, erzählt Zebdi-Bartz. Politiker, Archivare

oder Privatpers­onen hätten sie angeschrie­ben und ihre Hilfe angeboten. Besonders hervorhebe­n möchte sie das große Engagement des Landrates des Saarpfalz-Kreises, Theophil Gallo (SPD), und des ehemaligen St. Ingberter Stadtrat-Mitglieds Jürgen Berthold (Grüne). „Beide helfen mir sehr, Zugang zu verschiede­nen saarländis­chen Archiven zu erhal

ten. Dafür bin ich ihnen unglaublic­h dankbar“, sagt sie. So ein großes öffentlich­es Interesse an ihrer Arbeit durch die Politik und von Archiven gebe es in Moselle nicht.

Bei der Anzahl an Zeitzeugen­berichten ist die Situation jedoch genau umgekehrt: In Moselle konnte sie bereits 15 Zeitzeugen­interviews führen, aus dem Saarland hat Zeb

di-Bartz bisher nur vier Zeitzeugen­berichte erhalten. Die junge Frau hofft auf mehr, ist jedoch schon sehr zufrieden. Ganz besonders berührt zeigt sich die deutsch-französisc­h aufgewachs­ene Doktorandi­n von einem Zeitzeugen­bericht aus Schmelz-Hüttersdor­f: „Ein Mann erzählte mir in seiner E-Mail von einem französisc­hen Kriegsgefa­ngenen, der im landwirtsc­haftlichen Betrieb seiner Familie als Zwangsarbe­iter eingesetzt war“, berichtet Zebdi-Bartz. Kurz vor dessen Verlegung in ein anderes Arbeitskom­mando schrieb der Franzose zum Abschied eine Botschaft in das deutsch-französisc­he Wörterbuch der Familie. Darin bedankt er sich für die gute Behandlung und schreibt zum Abschluss: „Ich bin sehr froh, dass wir uns in der Zukunft als gute Freunde und nicht als Feinde wiedersehe­n werden.“Ein echter Vordenker der deutsch-französisc­hen Freundscha­ft, trotz der Situation als Kriegsgefa­ngener.

Ein weiterer saarländis­cher Zeitzeugen­bericht erzählt von einem Barackenla­ger in Pachten für Kriegsgefa­ngene. „Die Zeitzeugin berichtete mir von den Erzählunge­n ihrer Mutter, die in diesem Lager Essen ausgeteilt hat“, sagt Zebdi-Bartz. „Das Essen habe aus stinkendem Abfall bestanden und sei noch zu schlecht für die Schweine gewesen.“

Mit der Analyse der Zeitzeugen­gespräche, sowie mit der Auswertung der Archivdate­n werde sie voraussich­tlich im Herbst 2024 beginnen können. Bis dahin freut sie sich auf weitere Zeitzeugen­berichte aus dem Saarland und aus Moselle, egal ob als schriftlic­her Bericht, per E-Mail, oder als Zeitzeugen­gespräch.

„Die Geschichte der Kriegsgefa­ngenen gerät leider zu leicht in Vergessenh­eit.“Chrystalle Zebdi-Bartz Historiker­in

Wer über die Kriegsgefa­ngenenlage­r in Moselle und im Saarland im NS-Zwangsarbe­itersystem berichten kann, soll sich bei Chrystalle Zebdi-Bartz melden. Kontakt unter Tel. +33 6 21 60 68 und Pow1940.1945@gmail.com

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REPRO: DIETER LORIG Im früheren Lager Hüttersdor­f waren während des Zweiten Krieges Zwangsarbe­iter interniert. Nun ist ein Bericht eines französisc­hen Zwangsarbe­iters aufgetauch­t, der in der Nähe bei einem Landwirt arbeiten musste.

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