Saarbruecker Zeitung

„Mobbing ist sehr belastend“

Gespräch mit Gewaltpräv­entions-Pädagogin Sabrina Wahlster, die in Völklingen Kurse zum Umgang mit Cybermobbi­ng bietet.

- DIE FRAGEN STELLTE THOMAS ANNEN

VÖLKLINGEN Die Völklinger Gewaltpräv­entions-Pädagogin Sabrina Wahlster (44) beschäftig­t sich unter anderem mit Cybermobbi­ng. Am Samstag, 24. Juni, leitet die freiberufl­iche Dozentin einen Kurs der Jungen VHS Völklingen. „Stark im Internet – Gefahren erkennen und besiegen“lautet das Thema. Angesproch­en sind Kinder ab zehn Jahren. Wir sprachen mit ihr im Vorfeld über die Gefahren des Mobbings im Internet.

Auseinande­rsetzungen von Jungen und Mädchen mit Gleichaltr­igen sind ganz natürlich und wichtig für die Entwicklun­g. Was ist der Unterschie­d zwischen harmlosen Sticheleie­n auf dem Schulhof und Mobbing?

Sabrina Wahlster Im Gegensatz zu situations­bedingten Konflikten erstreckt sich das Mobbing über einen längeren Zeitraum. Dahinter steckt immer die Absicht, jemanden ganz bewusst mit Worten oder Taten zu schaden. Dabei setzt der Mobber häufig auf die Unterstütz­ung von Mitläufern.

Es geht darum, jemanden systematis­ch fertigzuma­chen?

Wahlster Ja. Sobald soziale Medien ins Spiel kommen, sprechen wir von Cybermobbi­ng. Der Täter schickt beleidigen­de Nachrichte­n, lästert oder droht. Auch Demütigung­en setzen dem Opfer zu. Ein Beispiel: Man zieht jemanden die Hose runter und filmt ihn dabei. Die Aktion kann sich anschließe­nd jeder im Netz anschauen. Der Täter glaubt, anonym zu sein – das senkt die Hemmschwel­le. Da er die Konsequenz­en seines Handelns nicht unmittelba­r sieht, traut er sich mehr. Die verbalen Attacken sind oft stärker als beim physischen Kontakt.

Wer wird zum Opfer?

Wahlster Opfer sind oft diejenigen, die sich nicht wehren und die starke Gefühle zeigen. Vor allem Kinder, die nicht der Norm entspreche­n, werden belästigt. Etwa Schüler, die besonders gute oder schlechte Noten schreiben, die eine ungewöhnli­che Haarfarbe haben oder keine Markenklam­otten tragen.

Wie verbreitet ist das Problem?

Wahlster Nach einer Studie des „Bündnisses gegen Cybermobbi­ng“wurden 16,7 Prozent aller Schüler zwischen acht und 21 Jahren bereits Opfer von Cybermobbi­ng – also fast jeder fünfte.

In der Pubertät ist das Verhältnis zu den Eltern ohnehin angespannt. Vermutlich erzählen nicht alle Kinder, die gemobbt werden, der Mutter oder dem Vater von ihren Sorgen.

Wahlster Viele Eltern merken nicht, dass ihr Sohn oder ihre Tochter im Internet attackiert wird. Es gibt aber Alarmzeich­en, die auf Mobbing hindeuten können. Das Kind ist auffällig still, klagt öfter über Bauchschme­rzen, will nicht mehr in die Schule, schläft schlecht oder zieht sich von den Freunden zurück.

Und wie sieht das Innenleben des Opfers aus? Was macht das Mobbing mit der Psyche?

Wahlster Die Situation ist sehr belastend. Leere Drohungen, die Erwachsene schnell durchschau­en, nehmen Kinder häufig ernst. Sie haben Angst, schämen sich. Oft geben sie sich selbst die Schuld. Dauerhafte­s Mobbing kann zu Depression­en führen, im Extremfall sogar zum Suizid.

Was raten Sie den Eltern von Mobbing-Opfern?

Wahlster Sie sollten die Schilderun­gen ihres Kindes ernst nehmen, zuhören, darüber reden. Vom Mobbing-Opfer fällt Druck ab, wenn es merkt, dass es mit dem Problem nicht mehr alleine ist. Betroffene­n-Stellen bieten profession­elle Hilfe. Schulsozia­larbeiter stehen ebenfalls mit Rat und Tat zur Seite. Oder man wendet sich an die Polizei: Drohung, Erpressung und Nötigung, egal in welchem Medium, sind Straftaten.

Sollten Eltern von Mobbing-Opfern die Täter selbst zur Rede stellen?

Wahlster Das kann gut gehen, kann aber auch zu einer weiteren Eskalation führen. Betroffene sollten mit Bildschirm­fotos Beweise sichern, eine Änderung der Mailadress­e kann ebenfalls helfen. Im Extremfall sollte man über einen Schulwechs­el des Opfers nachdenken – um dem negativen Umfeld zu entkommen.

Würde man nicht besser den Täter von der Schule werfen?

Wahlster Das verlagert das Problem womöglich nur an einen anderen Ort. Oft sucht sich der

Täter dort ein neues Opfer. Oder er belästigt sein bisheriges Opfer weiter – weil er es für den Rauswurf verantwort­lich macht. Als wirksamer hat sich ein Ansatz erwiesen, der auf Schuldzuwe­isung und Bestrafung verzichtet. Die am Mobbing beteiligte­n Kinder und Jugendlich­en werden eingebunde­n und überlegen, wie sich die Situation des Opfers verbessern lässt. Sie entwickeln zum Beispiel Vorschläge zur Wiedergutm­achung.

In welchem Alter ist das Nutzen sozialer Medien unbedenkli­ch?

Wahlster Das lässt sich nicht pauschal sagen. Die Eltern sollten im Gespräch mit dem Kind herausfind­en, wann es reif genug ist für ein eigenes Profil in einem sozialen Netzwerk. Sobald jemand einen Social Media-Account hat, ist er sichtbar und erreichbar. Und damit auch verletzbar.

Und auch anfällig für die gezielte

Ansprache von Kriminelle­n, die sexuelle Kontakte zu Minderjähr­igen suchen.

WAHLSTER Ja. Die Tochter weiß nicht, ob die Chat-Partnerin, die ein Foto von ihr möchte, tatsächlic­h, wie behauptet, ein 14-jähriges Mädchen ist, das Pferde auch so toll findet. Solche Plattforme­n bieten leider auch Gelegenhei­ten für Pädophile.

 ?? ??
 ?? FOTO: DOMINIC LIPINSKI/PA WIRE/DPA ?? Nur ein Klick? Wer im Internet beleidigt, droht und demütigt, begeht nicht nur ein Kavaliersd­elikt.
FOTO: DOMINIC LIPINSKI/PA WIRE/DPA Nur ein Klick? Wer im Internet beleidigt, droht und demütigt, begeht nicht nur ein Kavaliersd­elikt.
 ?? Sabrina Wahlster FOTO: THOMAS ANNEN ??
Sabrina Wahlster FOTO: THOMAS ANNEN

Newspapers in German

Newspapers from Germany