Der Fußball verliert eine seiner schillerndsten Figuren
Großmaul, Fußball-„Gott“, Weltstar: Schwede Zlatan Ibrahimovic beendet nach etlichen Titeln und Toren mit 41 Jahren seine Karriere.
(sid) Zlatan Ibrahimovic erblickte den grauen Himmel über Mailand und verstand. „Auch Gott ist traurig“, sagte der große Exzentriker über die Morgenstunden jenes 4. Juni, der als letzter Tag in der Karriere des Fußballers Zlatan Ibrahimovic in die Geschichte eingehen würde. Und an dessen spätem Abend sich ein wahres Tränenmeer über das San-Siro-Stadion ergoss.
„Zu schwer, zu viele Emotionen“, sagte Ibrahimovic mit wässrigen Augen und stockender Stimme, als er sich von „seinen“Fans verabschiedete. Mit „König“Zlatan weinten Ehefrau Helena, die Spieler der AC Mailand sowie Tausende Anhänger. Und als die Gästefans von Hellas Verona es wagten, die heilige Abschiedsmesse zu stören, wies Ibrahimovic sie in typischer Art zurecht. „Buht ruhig“, zischte er, „mich sehen zu dürfen, ist der größte Moment eurer Saison“.
Es waren bei Milans 3:1-Sieg passende letzte Worte für einen, der sein Herz stets auf der Zunge trug. Der sich großmäulig zum „König“krönte und „Gott“nannte. Das vielleicht berühmteste Zitat ist aus seiner Zeit in Barcelona überliefert, als er feststellte: Den „Philosophen“Pep
Guardiola brauche es nicht, Lionel Messi und Ibrahimovic, „der Zwerg und ich reichen vollkommen“.
Hinter seinen kessen Sprüchen verbarg sich eine verletzte Seele. Er wuchs auf als Sohn bosnisch-kroatischer Einwanderer in Malmös Problembezirk Rosengaard, Vater
Alkoholiker, Mutter Putzfrau, Alltag: Fahrraddiebstähle, Hunger, Prügeleien. Als er vom Problemkind zum Weltstar aufgestiegen war, bauten sie ihm in Malmö ein Denkmal. Das Verb „zlatanera“(jemanden klar dominieren) ging in die schwedische Sprache ein.
Mit Ibrahimovic verliere der Fußball einen Menschen, wie es ihn einmal unter einer Milliarde gebe, schrieb die Zeitung Aftonbladet über den „bedeutsamsten Schweden dieses Jahrtausends“. In fast 1000 Profispielen für neun Vereine in sieben Ländern auf zwei Kontinenten zählen die Statistiker mehr als 500 Tore. Ibrahimovic wurde Meister in Italien (Inter, Milan), Spanien (Barcelona), Frankreich (Paris Saint-Germain) und den Niederlanden (Ajax), gewann mit Manchester United die Europa League und mit Barcelona den europäischen Supercup sowie die Club-WM. Er holte 32 Titel, bestritt 122 Länderspiele für Schweden mit der Rekordzahl von 62 Toren, darunter jener legendäre Fallrückzieher gegen England aus 25 Metern. Doch „Ibrakadabra“war mehr als ein Ausnahmestürmer, er war und ist Kulturgut nicht nur in Schweden.
Milan verabschiedete den ganz in Schwarz gekleideten 41-Jährigen als „Leggenda“und mit einer passenden Choreographie („God-bye“). Das „Arrivederci“sei unvermeidlich, sagte der verletzungsgeplagte Star. Und jetzt? Der schwedische Nationalcoach Janne Andersson machte ihm ein Jobangebot, in der Heimat ist er Anteilseigner an Hammarby IF, zudem Filmstar („Asterix & Obelix im Reich der Mitte“). Trainer oder Manager? Nichts für ihn, da könne er ja „nicht in einem Ferrari zum Trainingsplatz fahren“. Vielleicht, sinnierte er, „kann Ibra die Regeln ändern“. Gebeugt hat er sie schließlich oft genug.