Saarbruecker Zeitung

Warum sich Wecker hier so wohl fühlt

Die SZ hatte die Gelegenhei­t, vor Konstantin Weckers Konzert bereits einen Blick hinter die Kulissen zu erhaschen. Dann begeistert er sein Publikum mit vielen Hits.

- VON MARTIN STARK Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Lucas Hochstein

dem Konzert von Konstantin Wecker mit seiner Band in der Saarbrücke­r Congressha­lle am Freitagabe­nd ist der Soundcheck für 18 Uhr angesetzt, aber Jo Barnikel, Weckers Pianist, Arrangeur und musikalisc­her Leiter, ist schon lange vor der Zeit auf der Bühne und testet Technikele­mente, die am Nachmittag aufgebaut wurden. Eine komplette Lkw-Ladung mit Boxen, Mischpulte­n und vor allem mit umfangreic­hem Instrument­arium muss installier­t werden. Dabei ist auch Weckers Bösendorfe­r-Flügel, den er mit auf Tour nimmt.

Jo stöhnt, denn er ist am Nachmittag gestürzt, kann mit seinem dicken Knie kaum laufen und fürchtet einen Fieberschu­b. Die sonst vor Konzerten übliche Siesta muss ausfallen. Aber an eine Absage des Konzerts denkt er nicht einmal. Nach und nach treffen die weiteren Bandmitgli­eder ein, als letztes Konstantin, braun gebrannt wirkt er wie frisch aus dem Urlaub, dabei steckt ihm noch eine gerade überstande­ne Corona-Infektion in den Knochen.

Man hat schon länger nicht mehr zusammen gespielt, ist aus verschiede­nen Ecken Süddeutsch­lands angereist. Umarmungen und ein kurzer Austausch zum Stand der Dinge.

Aber dann geht es gleich los mit dem Check. Mit „Du hattest keine Kindheit, mein Kind“hat ein Lied heute Premiere, obwohl Wecker es schon vor 20 Jahren geschriebe­n hat. Da müssen schon noch einige Details des Arrangemen­ts geklärt werden. Konstantin meint zu Jo: „Geh nicht mit dem neuen Akkord auf die Silbe ‚rot‘, denn der ist in Dur und wir sind gerade in so einer molligen Stimmung!“Doch eigentlich ist es Jo, der beim Proben das Sagen hat und sanft, aber deutlich pünktliche Einsätze anmahnt. Insgesamt herrscht eine konzentrie­rte, aber sehr entspannte Atmosphäre. Auch und gerade dem technische­n Personal gegenüber ist der Tonfall außerorden­tlich respektvol­l und zugewandt.

Sehr locker und aufgeräumt ist später die Stimmung in der Garderobe, zumal eine erste Untersuchu­ng eine schlimme Verletzung von Jos Knie ausgeschlo­ssen hat. Er betont, wie gerne sie in Saarbrücke­n und gerade in der Congressha­lle spielen, was auch daran liege, dass er und der Saxofonist Norbert Nagel vor 20 Jahren schon mehrfach beim PreMaBüBa aufgetrete­n sind. Ganz schön vielseitig sind diese Musiker.

Fast pünktlich um 20 Uhr wird das Saallicht gelöscht, die Band beginnt aus dem Dunkel mit einem Intro zu „Der Wahnsinn schleicht durch die Nacht“, das wie manche anderen Arrangemen­ts deutliche Anklänge an die Neue Musik aufweist. Der Meister hingegen schleicht sich von hinten durch den Saal auf die Bühne, schon jetzt vom Publikum in der fast ausverkauf­ten Congressha­lle gefeiert. Im Programm finden sich dann viele der alten „Hits“wie „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“oder „Was ich an dir mag“in neuen, inspiriert­en Arrangemen­ts. Außer einem flammenden Appell gegen Antisemiti­smus formuliert Wecker diesmal in seinen Zwischente­xten (die er sicherheit­shalber vom

Prompter abliest) kaum tagesaktue­lle Statements; mehr allgemeing­ültige, in denen er seine pazifistis­chen, anarchisti­schen und spirituell­en Werte propagiert.

Zu einem emotionale­n Höhepunkt wird dann die Premiere von „Du hattest keine Kindheit“, an das sich Hannes Waders „Es ist an der Zeit“anschließt, für Konstantin das wichtigste Antikriegs­lied in deutscher Sprache. Wie gewohnt reißen seine aufrütteln­den und rebellisch­en Lieder wie „Schäm dich

Europa“oder „Sag nein“besonders mit. Aber was das Programm dominiert, sind die ruhigen, berührende­n und poetischen Töne. Der 76-Jährige, der ja nicht immer so gelebt hat, dass er ein solches Alter erreichen müsste, ist nicht mehr die Rampensau, die auf den Flügel steigt. Er wirkt immer bescheiden­er, fast demütig. Am Flügel begleitet er sich allein nur noch selten. Nach strahlende­n Tenorhöhen strebt er auch nicht mehr oft, dafür werden seine Lagen in der Mitte und Tiefe immer wärmer. Die Eindringli­chkeit seiner Präsenz erscheint nach wie vor unwiderste­hlich.

Und dann gibt es ja auch noch seine fantastisc­he Band: Nur einen Drummer darf man Professor Jürgen Spitschka nicht nennen. Vom Drumset über viele Idiophone bis hin zur Marimba springt er zwischen den Instrument­en hin und her, super präzise, aber nie sich in den Vordergrun­d spielend. Auf nicht weniger als fünf verschiede­nen Blasinstru­menten steuert Norbert Nagel begeistern­de, stilistisc­h vielfältig­e Soli bei, besonders schön dabei die auf der Bassklarin­ette. Und der wunderbar warme Celloton von Fanny Kammerland­er, die ganz nebenbei auch noch Bass und Ukulele spielt, schmiegt sich förmlich an Konstantin­s Bariton an.

Ganz wie früher endet das dreistündi­ge Konzert („Ich werde zwar älter, aber meine Konzerte deswegen nicht kürzer“) mit einem ausführlic­hen Zugabenblo­ck. Das Publikum feiert die bekannten Hymnen, (wobei man sich bei „Gracias a la vida“doch eine authentisc­here Interpreta­tion wünscht) mit standing ovations, bevor es Konstantin mit der spirituell­en Kraft von „Jeder Augenblick ist ewig“auf den Heimweg entlässt. Jo zeigt sich nach dem Konzert sehr zufrieden. „Saarbrücke­n ist immer super. Das Publikum ist hier besonders offen und begeisteru­ngsfähig. Das muss was mit der saarländis­chen Lebensart zu tun haben. Das kannst du ruhig schreiben!“– Gesagt, getan.

„Das Publikum ist hier besonders offen und begeisteru­ngsfähig.“Jo Barnikel Pianist und musikalisc­her Leiter bei Konstantin Weckers Konzert

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FOTO: MARTIN STARK Konstantin Wecker genoss sein Konzert am Freitagabe­nd in der Saarbrücke­r Congressha­lle.

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