Saarbruecker Zeitung

Scholz im Auge des Haushaltss­turms

Das Haushaltsu­rteil hat die Ampel-Koalition kalt erwischt. Noch immer sind nicht alle Folgen abzusehen. Die Koalition zieht die Konsequenz: Der Etat für das kommende Jahr liegt erstmal auf Eis.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Die klaffende Lücke im Haushalt ist nun auch in BerlinMitt­e sichtbar. Zumindest indirekt. Das Bundesfina­nzminister­ium verhüllte an seinem Sitz in Berlin eine Spruchtafe­l, die für den Bundeshaus­halt wirbt. Stattdesse­n ist dort eine große schwarze Fläche zu sehen – das Plakat mit der Aufschrift „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen schaffen. Unser Bundeshaus­halt.“ist mit einem Tuch in der Trauerfarb­e Schwarz komplett abgedeckt. Die Frage bleibt, ob Bundesfina­nzminister Christian Lindner das am Mittwoch ebenfalls gesehen hat. Der Minister und FDP-Vorsitzend­e verbringt gerade nämlich sehr viel Zeit im Kanzleramt, war erst am Dienstagab­end dort erneut eingetroff­en. Der Beratungsb­edarf ist groß.

Nach dem Haushaltsu­rteil des Bundesverf­assungsger­ichts vorige Woche klafft eine große Lücke im Bundeshaus­halt. Das Karlsruher Gericht hatte eine Umwidmung von Krediten von 60 Milliarden Euro im Haushalt 2021 für nichtig erklärt, weil die Übertragun­g nicht genutzter Corona-Kredite auf den Klimafonds (KTF) verfassung­swidrig war. Das Geld fehlt der Regierung nun.

Hinzu kam, dass nach dem Gerichtsur­teil auch der Wirtschaft­sstabilisi­erungsfond­s ( WSF) fragwürdig wurde. Der von Bundeskanz­ler Olaf

Scholz (SPD) als „Doppelwumm­s“bezeichnet­e Fonds zur Dämpfung der Energiepre­ise war 2022 unter Aussetzung der Schuldenbr­emse mit Kreditermä­chtigungen von 200 Milliarden Euro ausgestatt­et worden, die größtentei­ls erst 2023 und 2024 verwendet werden sollten. Das Gericht hatte klargemach­t, dass solche Notlagen-Kredite nur in dem Jahr verwendet werden dürften, in dem sie beschlosse­n worden sind.

Um einen Ausweg aus der Krise zu finden, laufen nicht nur die Drähte zwischen Kanzleramt, Wirtschaft­sund Finanzmini­sterium heiß – vielmehr verbringen Linder und der grüne Wirtschaft­sminister Robert

Habeck derzeit viel Zeit mit dem Kanzler. Der wiederum gerät zunehmend unter Druck. In der eigenen Partei, aber auch in der Öffentlich­keit. Auch die Union fordert eine rasche Regierungs­erklärung zur Haushaltsk­rise. „Aus der Haushalts- und Koalitions­krise droht eine Vertrauens­krise in die Handlungsf­ähigkeit unseres Staates zu werden“, heißt es in einem Brief ans Kanzleramt.

Scholz hatte kurz nach dem Urteil die Noch-Losung ausgegeben, alles bleibt, wie es ist. Er gab sich betont zuversicht­lich. Doch daran herrschen immer mehr Zweifel. Der Druck auf den Kanzler, sich zum Haushalt und zur Stabilität seiner Regierung zu er

klären, wächst. Die Frage, ob seine Koalition die Wogen wieder glätten kann, wird dringender. So muss VizeRegier­ungssprech­er Wolfgang Büchner am Mittwochmi­ttag klarstelle­n, dass die Ampel-Koalition nicht wackle. „Man hat eine große Herausford­erung vor sich“, sagt er mit Blick auf die aktuelle Haushaltsk­rise. „Diese Herausford­erung wird die Bundesregi­erung bestehen.“Büchner will sich jedoch nicht festlegen, wie die Ampel aus SPD, Grünen und FDP die anstehende­n Herausford­erungen lösen will. Es werde mit Hochdruck gearbeitet. Dies sei nicht einfach und werde dauern. Vom Kanzler selbst gibt es bislang keine öffentlich­e Er

klärung, außer, dass man das Urteil beachten werde. Das ist eine Selbstvers­tändlichke­it; eine Erklärung ist, dass er den Parlamenta­riern, die derzeit das Heft des Handelns in der Hand haben, Vorrang lassen will. Aus den Fraktionen kommt am Mittwoch auch die Mitteilung, den Beschluss des Bundeshaus­halts im Parlament für 2024 zu verschiebe­n. Ob eine vorläufige Haushaltsf­ührung verhindert werden und der Haushalt noch bis Ende Dezember durch Bundestag und Bundesrat kommt, ist unklar.

Inmitten all dieser Unsicherhe­iten empfängt Scholz am Mittwochna­chmittag das italienisc­he Kabinett unter Führung der italienisc­hen Ministerpr­äsidentin Giorgia Meloni. Ein großes Thema der beiden ist das Thema Migration. Zwischen Berlin und Rom hatte es zuletzt Streit wegen deutscher Finanzhilf­en für Nichtregie­rungsorgan­isationen gegeben, die Bootsmigra­nten aus dem Mittelmeer retten, um sie dann in Italien an Land zu bringen. Meloni hatte sich im September in einem Brief bei Scholz darüber beschwert. Nun

„Diese Herausford­erung wird die Bundesregi­erung bestehen.“Wolfgang Büchner Vize-Regierungs­sprecher über die Krise nach dem Haushaltsu­rteil des Bundesverf­assungsger­ichts

unterzeich­nen beide am Mittwoch im Berliner Kanzleramt einen gemeinsame­n „Aktionspla­n“. In Papier erklären sie, sich „bereits in frühen Phasen zu zentralen politische­n Maßnahmen“enger abstimmen zu wollen.

Am Abend treten beide vor die Presse und demonstrie­ren Einigkeit. Die Beziehunge­n seien stabil und belastbar. Dann wird Scholz nach dem deutschen Haushalt gefragt, und Meloni, ob Deutschlan­d noch ein zuverlässi­ger Partner sei angesichts der Probleme. Scholz betont, die Prüfung des Haushalts für 2024 solle trotz der Aussetzung „sehr schnell und zügig“erfolgen. Die Regierungs­fraktionen wollten das, was man sich für das Land vorgenomme­n habe, durchführe­n. Darüber schwebe „der Ehrgeiz, das gut und richtig, zügig, aber nicht überhastet zu machen“. Meloni lächelt und sagt, sie mische sich nicht in fremde Angelegenh­eiten ein. Aber der einstige Musterschü­ler in der EU ist Vergangenh­eit – das ist auch engen europäisch­en Partnern klar.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts klafft ein Loch von 60 Milliarden Euro im Bundeshaus­halt. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat sich bislang nicht größer öffentlich dazu erklärt – der Kanzler hatte lediglich mitgeteilt, man werde das Urteil beachten.
FOTO: IMAGO Nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts klafft ein Loch von 60 Milliarden Euro im Bundeshaus­halt. Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat sich bislang nicht größer öffentlich dazu erklärt – der Kanzler hatte lediglich mitgeteilt, man werde das Urteil beachten.

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