Saarbruecker Zeitung

Ein bitterer Vorgeschma­ck für Europa

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Die EU bewährt sich in der Regel immer wieder als riesengroß­e Kompromiss­maschine. Die ungefähre Richtung heißen die meisten gut, wie weit es dann aber auf welchen Wegen konkret gehen soll, muss erst in langen Verhandlun­gen geklärt werden. Am Ende macht sich die EU dann auf, wieder ein paar Schritte zu einem besseren, klimafreun­dlicheren, robusteren, gesünderen Europa in Angriff zu nehmen.

Doch die geplanten Verschärfu­ngen für den Pestizid-Einsatz entwickelt­en sich zu einer nicht nur ideologisc­h, sondern auch moralisch aufgeladen­en Grundsatza­ngelegenhe­it.

Und so stand am Ende des parlamenta­rischen Prozesses nicht nur das Aufeinande­rprallen gegensätzl­icher Konzepte von EU-Umweltauss­chuss und EU-Agraraussc­huss, sondern auch ein Nein zum kompletten Projekt. Beide Seiten lehnten das durchlöche­rte Kompromiss­paket ab.

Damit ist die Wahrschein­lichkeit groß, dass es mit dem ehrgeizige­n Ziel, bis zum Ende des Jahrzehnte­s den Einsatz von Pestiziden zu halbieren, nichts mehr wird. Auch der Ministerra­t als zweites Gesetzgebu­ngsorgan der EU tut sich immens schwer, zu einer gemeinsame­n Position zu kommen, die konkrete Vorgaben macht.

Angesichts alarmieren­der Daten von der Klimaentwi­cklung war der Green Deal, das Projekt, Europa so schnell wie möglich klimaneutr­al zu machen, in den Mittelpunk­t dieser Legislatur­periode gestellt worden. Und er wurde auch Paket für Paket von einer Mehrheit getragen, die mal die Energieerz­eugung, mal die Naturentwi­cklung, mal die Autoabgase in den Blick nahm. Diese Aufzählung scheint nun zu einem vorzeitige­n Ende gekommen zu sein.

Das hat auch damit zu tun, dass die Europäisch­e Volksparte­i zu spüren begann, dass die europäisch­en Völker nicht mehr mitkamen, sich überforder­t fühlten und dem Kurs grundsätzl­ich immer mehr misstraute­n. So kam es dazu, dass die grüne Überzeugun­g, mit einer ambitionie­rten Pestizidve­rordnung Bauern aus den Fesseln der Agrarchemi­e befreien, die Gesundheit der Menschen schützen und Bienen und Schmetterl­inge retten zu müssen, an Grenzen stieß.

Natürlich will die überwältig­ende Mehrheit vor Schadstoff­en im Essen geschützt werden. Aber wenn die EU die Landwirtsc­haft Europas derart drangsalie­rt, dass mehr Lebensmitt­el dann aus dem Ausland kommen, werden dort Bauern, Gesundheit und Artenvielf­alt umso mehr gefährdet – und bleiben die Rückstände auch in den Lebensmitt­eln der Europäer.

Es ist ein Vorgeschma­ck auf den bevorstehe­nden Wahlkampf, in dem es aus EU-Perspektiv­e doch eigentlich darum gehen sollte, eine arbeits- und kompromiss­fähige Mehrheit für die Parteien der demokratis­chen Mitte zu stärken. Sie ist angesichts der wachsenden Verbitteru­ng über kaum noch beherrscht­e Migrations­ströme ohnehin unter dem Druck, von populistis­chen und anti-europäisch­en Kräften verkleiner­t oder gar abgelöst zu werden.

So gesehen ist es ein denkbar schlechtes Zeichen, dass sich die demokratis­chen Kräfte nun auch in der Frage ihrer Kernkompet­enz bei Ökologie, Ökonomie und Klima derart polarisier­en lassen, dass sie ihre Handlungsf­ähigkeit aufgeben.

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