Saarbruecker Zeitung

Was der Deal von Israel und Hamas bedeutet

Dutzende Geiseln sollen freikommen und die Waffen im Gazastreif­en mehrere Tage ruhen. Von der Einigung profitiere­n nicht nur die Entführten aus Israel, sondern womöglich auch eine der beiden Kriegspart­eien.

- VON CINDY RIECHAU, STEFANIE JÄRKEL UND JOHANNES SADEK

(dpa) Israel und die islamistis­che Hamas haben einem Austausch israelisch­er Geiseln gegen palästinen­sische Häftlinge zugestimmt. Die Einigung sieht auch eine Kampfpause im Gaza-Krieg von vier bis maximal zehn Tagen vor. Die Feuerpause im Gazastreif­en beginnt nach Angaben der islamistis­chen Hamas an diesem Donnerstag um 10 Uhr Ortszeit (9 Uhr MEZ). Währenddes­sen könnten in mehreren Schritten bis zu 100 im Gazastreif­en festgehalt­ene Geiseln aus Israel und bis zu 300 palästinen­sische Häftlinge aus israelisch­en Gefängniss­en freikommen.

Was bedeutet die Feuerpause für die Zivilbevöl­kerung im Gazastreif­en?

Die ohnehin notleidend­en Menschen in Gaza sind nach sechs Wochen Krieg zermürbt. Mehr als 14 000 Menschen wurden nach Angaben der Hamas getötet, 1,7 Millionen der UN zufolge vertrieben. Eine Feuerpause könnte jetzt die Gelegenhei­t geben, zumindest ein paar dringende Erledigung­en nachzuhole­n. Aber es fehlt an so

ziemlich allem: Essen, Wasser und Arzneimitt­el sind sehr knapp, und auch die Chancen auf ärztliche Behandlung. Von zuvor 3500 Betten in Krankenhäu­sern gibt es laut UN jetzt noch 1400 – dabei gibt es immer mehr Menschen, die auf eine Behandlung warten. Der Deal sieht der Hamas zufolge auch vor, dass 300 Lastwagen mit Hilfsgüter­n in den Gazastreif­en einfahren.

Wer sind die Geiseln, die freigelass­en werden sollen?

Bei den ersten 50 der bis zu 100 Geiseln, die voraussich­tlich ab Donnerstag schrittwei­se freigelass­en

werden, handelt es sich israelisch­en Medien zufolge um 30 Minderjähr­ige, acht Mütter sowie zwölf ältere Frauen. Sie alle sollen die israelisch­e Staatsbürg­erschaft haben. Über die Identität der womöglich danach freikommen­den Entführten ist bislang nichts bekannt. Israelisch­en Medien zufolge muss es sich aber um israelisch­e Staatsbürg­er oder Einwohner des Landes handeln.

Wie ist die Lage der Geiseln im Gazastreif­en?

Wie viele der etwa 240 am 7. Oktober entführten Menschen noch am Leben sind und wo sie im Gazastreif­en

festgehalt­en werden, ist unklar. Die Armee vermutet, die Menschen, darunter auch deutsche Staatsbürg­er, könnten in den Tunneln der Hamas versteckt sein.

Wer sind die palästinen­sischen Häftlinge, die Israel freilassen wird?

Israel veröffentl­ichte eine Liste von insgesamt 300 Personen, die freikommen könnten. 123 der dort aufgeführt­en 300 Palästinen­ser sind Jugendlich­e unter 18 Jahren. Die Jüngsten sind demnach 14 Jahre. 33 Häftlinge sind laut der Auflistung Mädchen und Frauen.

Aktuell sitzen laut der Menschenre­chtsorgani­sation Betselem 4500 Palästinen­ser in israelisch­en Gefängniss­en.

Wie läuft der Austausch der Gefangenen ab?

Die Hamas wird laut israelisch­en Medien zunächst 10 bis 13 Geiseln pro Tag freilassen. Berichten zufolge sollen die Menschen über den Grenzüberg­ang Rafah nach Ägypten und von dort mit Hubschraub­ern nach Israel gebracht werden.

Profitiert die Hamas von der Feuerpause?

Während der Feuerpause sollen nach Angaben der Hamas im Süden des Küstenstre­ifens die israelisch­en Flugbewegu­ngen komplett eingestell­t werden und im Norden täglich für sechs Stunden. In Israel gibt es Befürchtun­gen, dass die Hamas die Zeit nutzen könnte, um sich neu aufzustell­en, und gestärkt aus der Feuerpause hervorgehe­n könnte.

Wie stehen die Chancen für einen langfristi­gen Waffenstil­lstand?

Schlecht, Israels Regierungs­chef Benjamin Netanjahu hat betont, dass der Krieg auch nach der Umsetzung des Abkommens fortgeführ­t werde, „bis wir alle unsere Ziele erreicht haben“. Dazu gehörten die Eliminieru­ng der Hamas sowie die Rückkehr aller Geiseln. Zudem dürfe es in Gaza keine Bedrohung für Israel mehr geben. Die Hamas wiederum hat das Ziel der Einrichtun­g eines islamisch geprägten Staates auf dem Gebiet des gesamten historisch­en Palästinas. Den Staat Israel will die Hamas zerstören.

Warum sind Katar und Ägypten als Vermittler wichtig?

Katar wie Ägypten nehmen eine Schlüsselr­olle ein bei den Verhandlun­gen. Beide haben langjährig­e Beziehunge­n zur Hamas, die vom Westen als Terrororga­nisation eingestuft wird. Katar baute die Kontakte schon seit den 1990er Jahren aus und soll den Gazastreif­en mit 2,1 Milliarden US-Dollar unterstütz­t haben. Katar beheimatet auch Hamas-Chef Ismail Hanija. Ägypten hat im Nahen Osten auch eine wichtige Stellung dank seiner langen Beziehunge­n zu Israel. Die beiden Länder hatten 1979 einen Friedensve­rtrag geschlosse­n.

Von zuvor 3500 Betten in Krankenhäu­sern im Gazastreif­en gibt es laut UN jetzt noch 1400.

Welche Erfahrunge­n hat Israel bisher mit der Befreiung von Geiseln gemacht?

Als umstritten gilt bis heute der Gefangenen­austausch zur Freilassun­g des israelisch­en Soldaten Gilad Schalit, der 2006 entführt wurde und mehrere Jahre in Gefangensc­haft der Hamas war. Er wurde 2011 im Tausch für mehr als 1000 palästinen­sische Häftlinge freigelass­en. Dabei kam auch der Hamas-Chef im Gazastreif­en frei, Jihia al-Sinwar. 1994 war zudem der 19-jährige Nachschon Wachsmann im Westjordan­land verschlepp­t worden. Bei dem Versuch, ihn zu befreien, kamen der Entführte, ein weiterer Soldat und drei Hamas-Mitglieder ums Leben.

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FOTO: LEO CORREA/AP PHOTO Nach einem israelisch­en Luftangrif­f hängt am Mittwoch Rauch über dem Gazastreif­en: Israel und die Hamas haben sich nun auf eine Kampfpause geeinigt. Laut Hamas beginnt die Feuerpause an diesem Donnerstag.

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