Aus für Pestizid-Gesetz nach hitziger Debatte
Eine geplante Verordnung, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln halbieren sollte, ist im EU-Parlament gescheitert. GrünenPolitiker sind empört.
Sie konnte ihre Empörung kaum zurückhalten. Dies sei „ein schwarzer Tag für die Umwelt und für die Gesundheit der Gesellschaft – und für die Befreiung der Landwirte von der Agro-Industrie“, sagte die Europaabgeordnete Sarah Wiener mit bebender Stimme im Plenarsaal des Straßburger EU-Parlaments. Von einigen Kollegen erntete die frühere Fernseh-Köchin Buhrufe, andere wirkten wie die österreichische Grünen-Politikerin beinahe fassungslos. Nur Sekunden zuvor hatten sich die Gegner der geplanten neuen Pestizidverordnung durchgesetzt: „Abgelehnt“, lautete das Ergebnis der Abstimmung über eine gemeinsame
Position zum Gesetz zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Das sollte die Bauern dazu verpflichten, bis 2030 nur noch halb so viel Pestizide auf Ackerflächen, Grünstreifen und in Parks zu nutzen. Jetzt wurde es gekippt, auch weitere Verhandlungen lehnte das Parlament ab.
Wie aufgeheizt die Debatte um die Verwendung von Unkraut- und Schädlingsvernichtern in Europas Landwirtschaft ist, zeigte der verbale Schlagabtausch nach dem Votum. Als „absolut unbrauchbar“verurteilte etwa der CDU-Europaparlamentarier Peter Liese den ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission und sprach von einer „Chance“, in der nächsten Legislaturperiode „ein vernünftiges Konzept in Kooperation mit der Landwirtschaft“zu erarbeiten. Die Grünen-Abgeordnete Jutta Paulus kritisierte dagegen, die Konservativen setzten die Gesundheit von Landwirten und die Artenvielfalt aufs Spiel. „Der massive Einsatz von Pestiziden gefährdet die Biodiversität und damit unser Trinkwasser, saubere Luft und fruchtbare Böden.“Bei rund einem Drittel aller Bienen-, Schmetterlings- und Schwebfliegen
arten geht der Bestand nach wissenschaftlichen Studien stark zurück.
Während Naturschützer deshalb auf strengere Maßnahmen gepocht hatten, stieg der Unmut zahlreicher Bauern seit Wochen. Sie rebellierten mit Unterstützung der christdemokratisch-konservativen EVP-Fraktion vor allem gegen den Wunsch der EU-Kommission, den Einsatz von Pestiziden in sogenannten sensiblen Gebieten wie Vogel- oder Wasserschutzgebieten komplett zu verbieten. Dementsprechend heftig rangen
die europäischen Volksvertreter in den vergangenen Monaten um einen Kompromiss. Schlussendlich einigte sich der zuständige Umweltausschuss auf weniger strenge Vorgaben: Man wollte den Mitgliedstaaten etwa mehr Spielraum einräumen. Falls ein Winzer in einem ausgewiesenen Natura-2000-Gebiet aus Mangel an Alternativen zu chemischen Pestiziden eine Ausnahme gebraucht hätte, wäre es dem einzelnen Mitgliedstaat laut Wiener erlaubt gewesen, darüber zu verfügen. Chemische Pestizidesollten lediglich als letzte Möglichkeit betrachtet werden, nachdem alle Präventivmaßnahmen ausgeschöpft wurden, hatten Grünen-Politiker fast gebetsmühlenhaft betont. Außerdem wären weit weniger Schutzgebiete betroffen gewesen als zunächst geplant. Biologische Pestizide, das heißt jene für den Ökolandbau, wollte man darüber hinaus weiterhin zulassen.
Doch für die Kritiker reichten die Zugeständnisse offenbar nicht aus, vorneweg die Landwirte machten mobil. „In den so genannten sensiblen Gebieten wäre diese Verordnung das faktische Aus für den Obst-, Gemüse- und Weinbau sowie für den klassischen Ackerbau“, hatte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, gewarnt und auf Wissenschaftler verwiesen, nach denen die zu erwartenden durchschnittlichen Ertragsverluste bei Kartoffeln und Winterraps auf circa 40 Prozent summieren würden. Im konventionellen Gemüsebau käme es dem zitierten Gutachten zufolge zu „hohen Ertragsminderungen“von mindestens 30 Prozent. Der CDU-Abgeordnete Norbert Lins, Vorsitzender des Agrar-Ausschusses, zeigte sich nach dem Votum deshalb erleichtert: „Wir müssen Lösungengemeinsam mit und nicht gegen die Landwirtschaft finden.“Die Grüne Wiener bedauerte dagegen, dass der Entwurf in der Abstimmung „bis zur Unkenntlichkeit verwässert“wurde, sodass es nicht möglich gewesen sei, das Ergebnis mit gutem Gewissen zu unterstützen. „Bevor sie komplett auseinandergenommen wurde, war die Pestizid-Verordnung eine echte Chance, unsere Landwirtschaft vielfältiger, nachhaltiger und krisenfester zu gestalten“, sagte Wiener. „Übrig bleibt ein Scherbenhaufen“, kritisierte auch Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). „Die Verlierer sind Mensch und Natur sowie die Ernährungssicherheit.“
„Der massive Einsatz von Pestiziden gefährdet die Biodiversität und damit unser Trinkwasser, saubere Luft und fruchtbare Böden.“Jutta Paulus EU-Abgeordnete der Grünen