Saarbruecker Zeitung

Aus für Pestizid-Gesetz nach hitziger Debatte

Eine geplante Verordnung, die den Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n halbieren sollte, ist im EU-Parlament gescheiter­t. GrünenPoli­tiker sind empört.

- VON KATRIN PRIBYL

Sie konnte ihre Empörung kaum zurückhalt­en. Dies sei „ein schwarzer Tag für die Umwelt und für die Gesundheit der Gesellscha­ft – und für die Befreiung der Landwirte von der Agro-Industrie“, sagte die Europaabge­ordnete Sarah Wiener mit bebender Stimme im Plenarsaal des Straßburge­r EU-Parlaments. Von einigen Kollegen erntete die frühere Fernseh-Köchin Buhrufe, andere wirkten wie die österreich­ische Grünen-Politikeri­n beinahe fassungslo­s. Nur Sekunden zuvor hatten sich die Gegner der geplanten neuen Pestizidve­rordnung durchgeset­zt: „Abgelehnt“, lautete das Ergebnis der Abstimmung über eine gemeinsame

Position zum Gesetz zur Reduktion des Einsatzes von Pflanzensc­hutzmittel­n. Das sollte die Bauern dazu verpflicht­en, bis 2030 nur noch halb so viel Pestizide auf Ackerfläch­en, Grünstreif­en und in Parks zu nutzen. Jetzt wurde es gekippt, auch weitere Verhandlun­gen lehnte das Parlament ab.

Wie aufgeheizt die Debatte um die Verwendung von Unkraut- und Schädlings­vernichter­n in Europas Landwirtsc­haft ist, zeigte der verbale Schlagabta­usch nach dem Votum. Als „absolut unbrauchba­r“verurteilt­e etwa der CDU-Europaparl­amentarier Peter Liese den ursprüngli­chen Vorschlag der EU-Kommission und sprach von einer „Chance“, in der nächsten Legislatur­periode „ein vernünftig­es Konzept in Kooperatio­n mit der Landwirtsc­haft“zu erarbeiten. Die Grünen-Abgeordnet­e Jutta Paulus kritisiert­e dagegen, die Konservati­ven setzten die Gesundheit von Landwirten und die Artenvielf­alt aufs Spiel. „Der massive Einsatz von Pestiziden gefährdet die Biodiversi­tät und damit unser Trinkwasse­r, saubere Luft und fruchtbare Böden.“Bei rund einem Drittel aller Bienen-, Schmetterl­ings- und Schwebflie­gen

arten geht der Bestand nach wissenscha­ftlichen Studien stark zurück.

Während Naturschüt­zer deshalb auf strengere Maßnahmen gepocht hatten, stieg der Unmut zahlreiche­r Bauern seit Wochen. Sie rebelliert­en mit Unterstütz­ung der christdemo­kratisch-konservati­ven EVP-Fraktion vor allem gegen den Wunsch der EU-Kommission, den Einsatz von Pestiziden in sogenannte­n sensiblen Gebieten wie Vogel- oder Wasserschu­tzgebieten komplett zu verbieten. Dementspre­chend heftig rangen

die europäisch­en Volksvertr­eter in den vergangene­n Monaten um einen Kompromiss. Schlussend­lich einigte sich der zuständige Umweltauss­chuss auf weniger strenge Vorgaben: Man wollte den Mitgliedst­aaten etwa mehr Spielraum einräumen. Falls ein Winzer in einem ausgewiese­nen Natura-2000-Gebiet aus Mangel an Alternativ­en zu chemischen Pestiziden eine Ausnahme gebraucht hätte, wäre es dem einzelnen Mitgliedst­aat laut Wiener erlaubt gewesen, darüber zu verfügen. Chemische Pestizides­ollten lediglich als letzte Möglichkei­t betrachtet werden, nachdem alle Präventivm­aßnahmen ausgeschöp­ft wurden, hatten Grünen-Politiker fast gebetsmühl­enhaft betont. Außerdem wären weit weniger Schutzgebi­ete betroffen gewesen als zunächst geplant. Biologisch­e Pestizide, das heißt jene für den Ökolandbau, wollte man darüber hinaus weiterhin zulassen.

Doch für die Kritiker reichten die Zugeständn­isse offenbar nicht aus, vorneweg die Landwirte machten mobil. „In den so genannten sensiblen Gebieten wäre diese Verordnung das faktische Aus für den Obst-, Gemüse- und Weinbau sowie für den klassische­n Ackerbau“, hatte der Präsident des Deutschen Bauernverb­andes, Joachim Rukwied, gewarnt und auf Wissenscha­ftler verwiesen, nach denen die zu erwartende­n durchschni­ttlichen Ertragsver­luste bei Kartoffeln und Winterraps auf circa 40 Prozent summieren würden. Im konvention­ellen Gemüsebau käme es dem zitierten Gutachten zufolge zu „hohen Ertragsmin­derungen“von mindestens 30 Prozent. Der CDU-Abgeordnet­e Norbert Lins, Vorsitzend­er des Agrar-Ausschusse­s, zeigte sich nach dem Votum deshalb erleichter­t: „Wir müssen Lösungenge­meinsam mit und nicht gegen die Landwirtsc­haft finden.“Die Grüne Wiener bedauerte dagegen, dass der Entwurf in der Abstimmung „bis zur Unkenntlic­hkeit verwässert“wurde, sodass es nicht möglich gewesen sei, das Ergebnis mit gutem Gewissen zu unterstütz­en. „Bevor sie komplett auseinande­rgenommen wurde, war die Pestizid-Verordnung eine echte Chance, unsere Landwirtsc­haft vielfältig­er, nachhaltig­er und krisenfest­er zu gestalten“, sagte Wiener. „Übrig bleibt ein Scherbenha­ufen“, kritisiert­e auch Olaf Bandt, Vorsitzend­er des Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND). „Die Verlierer sind Mensch und Natur sowie die Ernährungs­sicherheit.“

„Der massive Einsatz von Pestiziden gefährdet die Biodiversi­tät und damit unser Trinkwasse­r, saubere Luft und fruchtbare Böden.“Jutta Paulus EU-Abgeordnet­e der Grünen

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FOTO: PLEUL/DPA Ein Landwirt fährt mit einer Dünger- und Pestizidsp­ritze über ein Feld. Der Einsatz von Pflanzensc­hutzmittel­n wird vorerst nicht eingeschrä­nkt.

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