„Mozart hat so viel Unerhörtes geschaffen!“
Der Komponist verbindet in seinem Programm mit der Deutschen Radiophilharmonie moderne Stücke mit den traditionellen Meisterwerken Mozarts.
SAARBRÜCKEN Der Klarinettist, Komponist und Dirigent Jörg Widmann gestaltet mit der Deutschen Radiophilharmonie eine Mozartwoche. Wir haben mit ihm vor seinem Auftritt am Sonntag in der Saarbrücker Congresshalle gesprochen.
Herr Widmann, Sie brechen nicht mit der Tradition, Sie schreiben sie fort. Kann man das so sagen?
WIDMANN Kunst findet nicht im luftleeren Raum statt, wir kommen alle woher, ein rein nostalgisches Zurückschauen wäre mir aber fremd. Mozart, das ist neue Musik, Mozart hat so viel Unerhörtes geschaffen! Ist das für uns heute noch virulent? So würde ich meinen Traditionsbezug beschreiben, gemäß diesem berühmten Zitat: Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern das
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Weitertragen der Glut. Es bedeutet auch, im Austausch zu bleiben. Ich habe das Glück, als Dirigent fast täglich mit großen Werken zu tun zu haben. Daraus erwächst für mich auch die Verpflichtung, neu und anders weiterzugehen. Als Klarinettist eine Vielzahl von Werken uraufgeführt zu haben, das ist für mich kein Widerspruch, nur so kann Tradition weitergehen.
Mit der Tradition brechen wollte die Nachkriegsavantgarde, denn auch die Menschen verachtenden Nationalsozialisten hatten mit Inbrunst Beethoven gehört.
WIDMANN Der unbedingte Wunsch nach einem ästhetischen Bruch ist sicher schon lange vorbei, es war aber eine historische Notwendigkeit, der Missbrauch des Pathos durch die Nazis zwang Komponisten wie Stockhausen und Boulez geradezu, nochmal zum Sinuston zurückzugehen, mit unbelastetem Material zu
arbeiten. Aber schon in den 70er-Jahren wurde über den Pathosbegriff gestritten. Arnold Schönberg, der die Musikgeschichte wirklich vorangebracht hat, wie vielleicht sonst nur Beethoven, sagte sein Leben lang, er mache doch nichts anderes als Brahms. Er betonte immer wieder
die Herkunft seiner Zwölftonmusik aus der Spätromantik, Musik, die er mit neuem Inhalt fülle.
Was gibt es bei Mozart zu entdecken?
WIDMANN Ich habe nie verstanden, dass Mozart nicht als Wegbereiter der
Moderne gesehen wird. Ligeti stellte einmal beim Hören einer Mozartmesse die rhetorische Frage, ob das neu sei. Nicht unbedingt, aber es ist radikal individuell. In der Mozartwoche stellen wir Stücke vor, von denen wir glauben, sie gut zu kennen. Was es da noch zu entdecken gibt! In der g-Moll ( W. A. Mozart, Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550) gibt es vom Gestus her im letzten Satz so etwas wie eine Schönberg’sche Zwölftonreihe, in einem Feld von wenigen Takten kommen alle chromatischen zwölf Töne vor, bis auf einen, nämlich das g von g-Moll. Das passiert jemandem wie Mozart nicht einfach so. Eine Stelle, die muss ich zweimal hören, um zu verstehen. Was da an Tonalitätssprengung passiert, kann ich kaum mehr tonal deuten. Durch die Tonarten wandernd langt Mozart irgendwann in gis-Dur an, das ist zwar die chromatische Taste neben dem g, aber in der Musikphilosophie ist das der am weitesten entfernte Punkt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass zu jener Zeit irgendein Komponist sich jemals in gis-Dur wiedergefunden hat. Auch der Schluss der Jupitersinfonie ist ein Weltwunder, ein Fugato mit fünf Themen übereinander. Dass das nicht in eine Kakophonie ausartet, da wächst Mozart über sich hinaus.
Die Mozartwoche stellt Kompositionen von Mozart und Jörg Widmann nebeneinander.
WIDMANNMan kann dadurch hoffentlich die Traditionsbindung meiner Musik sehr viel stärker hören, als in einem reinen neuen Musikprogramm, und die Modernität Mozarts stärker als in einem rein klassischen Konzert. Diese gegenseitige Befruchtung möge sich dem Publikum ganz sinnlich über den Klang mitteilen.
3. Matinée: Sonntag, 26. November, 11 Uhr, Congresshalle Saarbrücken