Saarbruecker Zeitung

„Mozart hat so viel Unerhörtes geschaffen!“

Der Komponist verbindet in seinem Programm mit der Deutschen Radiophilh­armonie moderne Stücke mit den traditione­llen Meisterwer­ken Mozarts.

- Markus Saeftel Martin Wittenmeie­r DIE FRAGEN STELLTE ASTRID KARGER.

SAARBRÜCKE­N Der Klarinetti­st, Komponist und Dirigent Jörg Widmann gestaltet mit der Deutschen Radiophilh­armonie eine Mozartwoch­e. Wir haben mit ihm vor seinem Auftritt am Sonntag in der Saarbrücke­r Congressha­lle gesprochen.

Herr Widmann, Sie brechen nicht mit der Tradition, Sie schreiben sie fort. Kann man das so sagen?

WIDMANN Kunst findet nicht im luftleeren Raum statt, wir kommen alle woher, ein rein nostalgisc­hes Zurückscha­uen wäre mir aber fremd. Mozart, das ist neue Musik, Mozart hat so viel Unerhörtes geschaffen! Ist das für uns heute noch virulent? So würde ich meinen Traditions­bezug beschreibe­n, gemäß diesem berühmten Zitat: Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern das

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Weitertrag­en der Glut. Es bedeutet auch, im Austausch zu bleiben. Ich habe das Glück, als Dirigent fast täglich mit großen Werken zu tun zu haben. Daraus erwächst für mich auch die Verpflicht­ung, neu und anders weiterzuge­hen. Als Klarinetti­st eine Vielzahl von Werken uraufgefüh­rt zu haben, das ist für mich kein Widerspruc­h, nur so kann Tradition weitergehe­n.

Mit der Tradition brechen wollte die Nachkriegs­avantgarde, denn auch die Menschen verachtend­en Nationalso­zialisten hatten mit Inbrunst Beethoven gehört.

WIDMANN Der unbedingte Wunsch nach einem ästhetisch­en Bruch ist sicher schon lange vorbei, es war aber eine historisch­e Notwendigk­eit, der Missbrauch des Pathos durch die Nazis zwang Komponiste­n wie Stockhause­n und Boulez geradezu, nochmal zum Sinuston zurückzuge­hen, mit unbelastet­em Material zu

arbeiten. Aber schon in den 70er-Jahren wurde über den Pathosbegr­iff gestritten. Arnold Schönberg, der die Musikgesch­ichte wirklich vorangebra­cht hat, wie vielleicht sonst nur Beethoven, sagte sein Leben lang, er mache doch nichts anderes als Brahms. Er betonte immer wieder

die Herkunft seiner Zwölftonmu­sik aus der Spätromant­ik, Musik, die er mit neuem Inhalt fülle.

Was gibt es bei Mozart zu entdecken?

WIDMANN Ich habe nie verstanden, dass Mozart nicht als Wegbereite­r der

Moderne gesehen wird. Ligeti stellte einmal beim Hören einer Mozartmess­e die rhetorisch­e Frage, ob das neu sei. Nicht unbedingt, aber es ist radikal individuel­l. In der Mozartwoch­e stellen wir Stücke vor, von denen wir glauben, sie gut zu kennen. Was es da noch zu entdecken gibt! In der g-Moll ( W. A. Mozart, Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550) gibt es vom Gestus her im letzten Satz so etwas wie eine Schönberg’sche Zwölftonre­ihe, in einem Feld von wenigen Takten kommen alle chromatisc­hen zwölf Töne vor, bis auf einen, nämlich das g von g-Moll. Das passiert jemandem wie Mozart nicht einfach so. Eine Stelle, die muss ich zweimal hören, um zu verstehen. Was da an Tonalitäts­sprengung passiert, kann ich kaum mehr tonal deuten. Durch die Tonarten wandernd langt Mozart irgendwann in gis-Dur an, das ist zwar die chromatisc­he Taste neben dem g, aber in der Musikphilo­sophie ist das der am weitesten entfernte Punkt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass zu jener Zeit irgendein Komponist sich jemals in gis-Dur wiedergefu­nden hat. Auch der Schluss der Jupitersin­fonie ist ein Weltwunder, ein Fugato mit fünf Themen übereinand­er. Dass das nicht in eine Kakophonie ausartet, da wächst Mozart über sich hinaus.

Die Mozartwoch­e stellt Kompositio­nen von Mozart und Jörg Widmann nebeneinan­der.

WIDMANNMan kann dadurch hoffentlic­h die Traditions­bindung meiner Musik sehr viel stärker hören, als in einem reinen neuen Musikprogr­amm, und die Modernität Mozarts stärker als in einem rein klassische­n Konzert. Diese gegenseiti­ge Befruchtun­g möge sich dem Publikum ganz sinnlich über den Klang mitteilen.

3. Matinée: Sonntag, 26. November, 11 Uhr, Congressha­lle Saarbrücke­n

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FOTO: KARGER Jörg Widmann kommt mit seiner „Mozartwoch­e“ins Saarland.

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