Im Metzer Labyrinth der Sinneseindrücke
90 000 Menschen haben Elmgreen & Dragset bisher in ihre Ausstellung im Centre Pompidou in Metz gelockt. Worin liegt das Faszinosum dieser Schau, die uns heiter in spannende Architekturen eintauchen lässt?
METZ Einen ostdeutschen Plattenbau, drei Stockwerke hoch, haben Elmgreen & Dragset in die Vorhalle des Metzer Centre Pompidou gestellt. Er ist originalgetreu nachgebaut bis hin zu den handgekritzelten Namensschildern an den Klingeln, den Graffiti-Schmierereien und Stickern. Genau so ein Bau, wie er neben dem Berliner Atelierhaus des skandinavischen Künstlerduos steht. Schlichteste Beton-Fertigbauweise für Arme in einem millionenschweren VorzeigeKunsttempel – größer könnte der Kontrast nicht sein. Dem nicht genug: In einem alten Mercedes-Kombi neben dem Plattenbau erblickt man zwei schlafende junge Männer, russische Wanderarbeiter, die sich selbst ein Zimmer nicht leisten können.
Mit ihren Installationen, die Architektur kritisch und mit Humor hinterfragen und verwandeln, sind Michael Elmgreen und Ingar Dragset weltweit bekannt und begehrt. Nicht in Paris, sondern in Metz sicherte man sich jetzt die erste institutionelle Einzelausstellung des Künstler-Duos innerhalb Frankreichs – und kam damit dem Musée d'Orsay knapp zuvor. „Bonne chance“heißt die von CPM-Direktorin Chiara Parisi kuratierte Schau, der man kein Glück mehr wünschen muss, denn selbst an Wochentagen ist das Besucherinteresse groß.
Und es lohnt sich, beileibe nicht nur für Kunstkenner, sondern für die ganze Familie. Gerade Kinder wandern begeistert durch die, nun ja, nicht gerade kindlichen, sondern dystopischen Räume. Wie das geht? Elmgreen & Dragset, die ursprünglich von der Performance-Kunst herkommen haben die Schau im großen, nach oben offenen Erdgeschoss (Grand Nef) wie ein Spiel aufgebaut, wie ein Labyrinth. Jeder kann hindurchwandern, wie er will, kann sich darin verlieren und hinter jeder Biegung staunen. Das hat manchmal etwas von Überwältigung und Geisterbahn.
Etwa wenn man drei harmlose Treppenstufen hochsteigt und sich plötzlich im grellen Rampenlicht auf einer Bühne vor einem Gesangs-Mikrofon wiederfindet, von Applaus umtost. Statt in Publikumsränge blickt man jedoch in leere Spiegel. Wollen wir nicht alle den großen Auftritt, aber niemand mehr zuhören? Und warum starrt man in einem anderen
Raum eigentlich so lange auf einen putzigen Terrier, der sich stumm und starr auf einem Karussel dreht? Augenzwinkernd nehmen Elmgreen & Dragset unser seltsames Verhalten im Zeitalter von Social-Media aufs Korn.
Wenn wir ein paar Schritte weiter über unseren Köpfen jedoch einen abgerutschten Seiltänzer sehen, der sich nur noch mit einer Hand am Seil festhält, auf seinem T-Shirt der Schriftzug „What's left?“, oder im Pathologie-Raum den Füßen einer Frauenleiche mit rot lackierten Nägeln gegenüber stehen, dann merken wir aber auch: Den beiden Skandinaviern ist es ernst, nun wird es existenziell. Das Gute an den beiden ist: Ihre Inszenierungen sind immer sehr anschaulich, jeder kann darüber philosophieren, auf welchem Niveau er will.
Wir schreiten vorbei an Lotto-Reklamen, an verspiegelten Glücksund Bingo-Rädern ohne Ziffern, wir können in einem Fernsehstudio Platz nehmen, das für eine Quizsendung „Bonne chance“präpariert zu sein scheint. Auch die Kritik an der „Gamification“, an einer Gesellschaft, die uns wie durch ein Computerspiel durchs Leben schicken will, in der alles von unserem Geschick und von purem Zufallsglück abhinge, ist ein heimliches Dauerthema der beiden Nordeuropäer.
Oder geht es nicht sogar um mehr, um Kapitalismuskritik? Da gelingen ihnen manchmal auf den Punkt gebrachte Szenerien, die das Blut gefrieren lassen: Vor einem Bankautomat hat jemand ein Baby in einer Tragetasche abgestellt. Da wir zu jeder Uhrzeit Geld brauchen, ist das Auffinden gewiss. Die starke Wirkung der Installationen ergibt sich vor allem auch aus dem Hyperrealismus. Die Silicon-Menschen des Künstlerduos wirken so echt, dass man sie jedes Mal anfassen möchte, um sicherzugehen, dass sie es nicht sind. Und die beiden Künstler achten auf jedes noch so kleine Detail.
Auf andere Weise verstörend sind ihre „Powerless Structures“: Kleine
Alltagsarchitekturen, die sich durch kleine Veränderungen ad absurdum führen: Da ist das Bildtelefon an der Haustür mit dem Wartenden davor, den wir nicht sprechen können, die Türklinke die durchdreht, der Handlauf der Spiralen in den Raum dreht, oder auch die Waschbeckenabflüsse, die sich untereinander verbinden. Das erinnert köstlich an die Surrealisten und wirkt doch frisch heutig.
Über 90 000 Menschen haben diese Ausstellung in Metz bisher schon gesehen. Damit hat das Centre Pompidou Metz erneut bewiesen, das es einen guten Spürsinn für interessante Künstler, auch der Gegenwart hat. Das bleibt auch in Paris und den frankreichweiten Medien nicht unbemerkt. Bis zum 1. April ist die Ausstellung noch in der lothringischen Hauptstadt zu sehen. Und nein, das könnte bei den beiden zwar der Fall sein, aber es ist kein Scherz.
Mit ihren Installationen, die Architektur kritisch und mit Humor hinterfragen und verwandeln, sind Michael Elmgreen und Ingar Dragset weltweit bekannt und begehrt.