Gaza-Krieg – Pläne für den „Tag danach“
Die Differenzen zwischen den Kriegsparteien und ihren Partnern sind weiterhin groß. Aber der Iran könnte einlenken.
TEL AVIV Im Krieg zwischen Israel und der Hamas zeichnen sich Vorschläge für die Zukunft von Gaza nach dem Krieg ab: Die Kriegsparteien, aber auch die PalästinenserRegierung im Westjordanland, die USA, arabische Staaten, Europa sowie der Iran arbeiten an Plänen für den „Tag danach“. Insbesondere bei der Haltung des Iran könnte es Überraschungen geben. Eine Einigung wird jedoch schwierig, denn die Vorstellungen, wie es nach dem Krieg weitergehen soll, sind sehr unterschiedlich und widersprechen sich teilweise.
Die Differenzen sind enorm. Manche Fachleute bezweifeln, dass es in Gaza überhaupt einen „Tag danach“geben wird. Nathan Brown von der George-Washington-Universität in der US-Hauptstadt zeichnete kurz nach dem Hamas-Angriff auf Israel und dem Beginn der israelischen Gegenoffensive im Herbst ein düsteres Bild von einer Gaza-Zukunft: Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, Bandenherrschaft und ständige israelische Angriffe. „Zerfall und Verzweiflung“seien wahrscheinlicher als ein Neuanfang.
Damals sei ihm seine pessimistische Vorhersage noch gewagt vorgekommen, sagte Brown jetzt unserer Zeitung. Inzwischen werde seine Position von vielen geteilt. Tatsächlich machen die tiefen Gräben zwischen den verschiedenen Akteuren eine Einigung schwierig. Ein Überblick über die Situation:
Feuerpause und Kriegsende: Israels Premier Benjamin Netanjahu will den Krieg erst beenden, wenn die Hamas vernichtet ist. Nach drei Monaten Krieg ist Experten zufolge jedoch klar, dass dieses Ziel nicht erreicht wird. Zudem verlangt Israel von der Hamas, sie müsse vor einem Ende der Gefechte alle verbliebenen 130 Geiseln freilassen. Die palästinensische Terrororganisation lehnt das ab. Sie will zunächst nur 40 Geiseln im Gegenzug für eine einmonatige Feuerpause freilassen. Danach sollen weitere Geiseln freikommen, während Israel seine Truppen abzieht.
Eine erste, von Katar vermittelte Feuerpause hielt Ende November nur eine Woche. Nun laufen Versuche, eine neue Waffenruhe auszuhandeln, doch die jüngste NahostReise von US-Außenminister Antony Blinken brachte keine neuen Impulse. Vermittler Katar erklärte, der israelische Mordanschlag auf Hamas-Vize Saleh al-Aruri vorige Woche habe die Gespräche erschwert.
Zukunft von Gaza: Israelische Nachkriegspläne sehen vor, die HamasRegierung in Gaza durch eine gemäßigte palästinensische Verwaltung in dem Gebiet mit zwei Millionen Menschen zu ersetzen. Doch Israel sagt nicht, wie diese aussehen soll. Israel will sich zudem das Recht sichern, nach dem Krieg jederzeit wieder in den Gaza-Streifen einrücken zu können. Rechtsgerichtete Politiker in Israel fordern gar die Vertreibung der Palästinenser aus Gaza. Die USA, die arabischen Staaten und Europa lehnen das ab.
Die Hamas, die Gaza seit dem Jahr 2007 regiert, will auch künftig an der Macht dort beteiligt sein. Die Gruppe ist grundsätzlich zu einer Gemeinschaftsregierung mit der vom Westen favorisierten Palästinenser-Verwaltung von Präsident Mahmud Abbas bereit, doch ähnliche Pläne für eine Machtteilung zwischen der Hamas und Abbas` Fatah-Bewegung waren in den vergangenen Jahren stets gescheitert.
Wiederaufbau: Nach israelischen Vorstellungen sollen arabische und westliche Staaten den Wiederaufbau des kriegszerstörten Küstenstreifens finanzieren. Blinken sagte nach seiner jüngsten Rundreise durch die arabischen Länder, viele Staaten in der Region seien bereit, in die Zukunft von Gaza zu investieren. Allerdings müsse Israel dafür den Weg zu einem Palästinenser-Staat freimachen.
Friedenslösung: Die USA, Europa und die arabischen Staaten betrachten die so genannte Zwei-StaatenLösung – die Koexistenz von Israel und einem unabhängigen Palästinenser-Staat – als besten Weg zum Frieden im Nahen Osten. Die Kriegsparteien in Gaza sehen das anders: Netanjahu will keinen Palästinenser-Staat, und die Hamas spricht Israel das Existenzrecht ab. Palästinenser-Präsident Abbas schlägt eine internationale Nahost-Konferenz vor, um das Verhältnis zwischen Israel und den Palästinensern dauerhaft zu regeln. Bei Verhandlungen in den vergangenen Jahrzehnten scheiterte dieser Versuch allerdings.
Um eine neue Konferenz zum Erfolg zu machen, müsste sich nach Einschätzung des Nahost-Experten Marwan Muasher etwas Grundsätzliches ändern: Anders als bei früheren Anläufen müsse zu Beginn neuer Gespräche das verbindliche Ziel formuliert werden, innerhalb von höchstens fünf Jahren die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete zu beenden und den Palästinenser-Staat zu gründen, meint Muasher, der bei der US-Denkfabrik Carnegie Middle East Center arbeitet. Dann werde nur noch über die Schritte hin zu diesem Ziel verhandelt, nicht mehr über das Ziel selbst, schrieb Muasher in einer Analyse.
Dass die Hamas und ihr Hauptunterstützer, der Iran, Verhandlungen mit Israel akzeptieren würden, erscheint auf den ersten Blick unwahrscheinlich, denn sie wollen den jüdischen Staat von der Landkarte tilgen. Doch die harte Linie sei für die iranische Führung nicht in Stein gemeißelt, meint der iranische Nahost-Experte Javad HeiranNia. In den vergangenen Monaten stimmte der Iran in der UNO und der Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) mit Vorbehalt Entschließungen zu, die für die Zwei-Staaten-Lösung plädierten und damit indirekt das Existenzrecht Israels anerkannten.
Iran finde bei anderen islamischen Staaten keinen Rückhalt für radikale Positionen gegenüber Israel und wolle sich nicht selbst ins Abseits manövrieren, schrieb Heiran-Nia in einer Analyse für die US-Denkfabrik Stimson. Auch habe die iranische Elite erkannt, dass ihre Partner China und Russland an ihren Beziehungen zu Israel festhalten wollten. Unter diesem Druck bewege sich der Iran „auf einen regionalen Konsens gegen eine Ausweitung des Krieges und für die Zwei-Staaten-Lösung“zu. Die Entwicklung ist ein kleiner Hoffnungsschimmer in einer sonst finsteren Lage.