Mehr Hilfen im Start-up-Schlusslicht Saarland
Die saarländische Szene der jungen, innovativen und oft technologieorientierten Unternehmen – der Start-ups – steht unter Druck. Eine unsichere Wirtschaftslage und steigende Zinsen schrecken Investoren mit Risikokapital ab. Der Start-up-Verband Saar fordert deshalb eine neue und auskömmlichere Finanzierung.
SAARBRÜCKEN Trotz der widrigen Umstände einer unsicheren Wirtschaftslage und steigender Zinsen müsse gerade jetzt neuer Schwung für Dynamik und ( Wieder-)Belebung sorgen. Davon sind Bernd Pohl und Carolin Ackermann, die Sprecher des Start-up-Verbandes Saarland, überzeugt. „Das Saarland könnte einer der Start-up-freundlichsten Standorte Europas werden“, so ihre Auffassung. Wie das geschehen könnte, haben sie und ihre Verbands-Mitstreiter in einem Positionspapier zusammengefasst, das für sie die Grundlage des weiteren Vorgehens ist. „Start-ups von heute sind der Mittelstand von morgen“, sagt Pohl. „Das Saarland hatte zwar als erstes Bundesland eine Innovationsstrategie eingeführt, doch was die Anzahl der Start-ups und ihre Finanzierung betrifft, sind wir Schlusslicht“, ergänzt Ackermann.
Einige Start-ups waren bereits ein Fall für den Insolvenzverwalter; hier drei Beispiele (ohne Namen, um Neustarts zu ermöglichen). Die einen wollten die Teilnehmer von Telefon- oder Videokonferenzen ohne Kabelsalat oder Adapter-Wirrwarr, sondern über ein abgeschirmtes und beliebig erweiterbares Internet-Netzwerk zusammenbringen. Andere junge Leute hatten während der Corona-Pandemie einen digitalen Türsteher entwickelt, der darauf achtete, dass die Anzahl der Personen in einem Raum den Vorgaben entsprach. Ein dritte Firma, die hoffnungsvoll an den Start ging, wollte Leute, die im Internet etwas bei Amazon bestellen wollten, auf Händler vor Ort umleiten.
Bundesweit sieht es ähnlich aus. Im vergangenen Jahr sind laut Datendienst Superdetector in Deutschland 297 wachstumsorientierte Jungfirmen pleitegegangen – so viele wie nie zuvor und 65 Prozent mehr als 2022. Auf der anderen Seite sind im vergangenen Jahr „trotz schwächelnder Wirtschaft und vieler Unsicherheiten“fast 2500 Startups gegründet worden, fünf Prozent weniger als 2022. Das teilte am Freitag der Start-up-Verband in Berlin mit. Im Saarland wurden 17 Startups aus der Taufe gehoben ( Vorjahr 18). Bei den Neugründungen pro 100 000 Einwohner liegt Berlin
„Start-ups von heute sind der Mittelstand von morgen.“Bernd Pohl Sprecher des Start-up-Verbandes
mit 12,5 vorne. Im Saarland beträgt diese Quote 1,7, im Bundesschnitt 3,0. Damit liegt das Saarland noch vor Rheinland-Pfalz (1,5), Mecklenburg-Vorpommern (1,2), SachsenAnhalt (0,8) und Thüringen (0,6), aber hinter allen anderen Bundesländern.
Die zentrale Forderung von Pohl und Ackermann an die Landesregierung ist, dass „sie ein neues Instrument zur Start-up-Finanzierung schaffen soll“. Rund 250 Millionen Euro sollten zu diesem Zweck aus dem drei Milliarden Euro schweren Transformationsfonds abgezweigt werden, den das Land aufgelegt hat, um den Wandel der Saar-Wirtschaft hin zur Klimaneutralität zu unterstützen. Aus diesem Topf sollten 90 Prozent – also 225 Millionen Euro – als Eigenkapital direkt bei den Start-ups angelegt werden. Die restlichen 25 Millionen Euro „sollten als unbürokratisches Förderinstrument ausgestaltet werden“, heißt es in dem Papier.
Die 225 Millionen Euro sollten die jungen Firmen als offene Beteiligungen erhalten. Als Vorbild schwebt Pohl und Ackermann unter anderen der Hightech-Gründerfonds (HTGF) vor. Seit 2005 hat der HTGF vier Fonds aufgelegt und betreut derzeit 1,4 Milliarden Euro. Bisher hat er mehr als 700 Start-ups finanziert. Das Geld kommt in erster Linie von großen und mittleren deutschen Unternehmen, aber auch das Bundeswirtschaftsministerium und die bundeseigene Strukturbank KfW haben Kapital zur Verfügung gestellt. Das Vorbild HTGF „könnte wertvolle strategische Impulse geben“, sagen die Verbandssprecher.
Der Saarland-Fonds müsse auf jeden Fall „von einem hochqualifizierten Team „mit einschlägiger Erfahrung und Expertise betreut werden“, heißt es weiter. Alle Anträge müssten binnen zwei Wochen entschieden werden; Personal in Schlüsselstellungen „müssen mit einer entsprechenden Entscheidungskompetenz ausgestattet sein“. Gefördert werden sollten ausschließlich Unternehmen im Saarland und solche, die planen, sich im Land anzusiedeln.
Die Autoren des Papiers sehen, dass die saarländischen Hochschulen „eine profunde Basis für die Ausgründung von technologieorientierten Start-ups sind“. Dennoch sollte der Fonds „branchen- und technologieoffen“ausgestaltet sein. Außerdem müssten die Beteiligungen des Fonds langfristig angelegt sein, da viele Gründungen manchmal länger als zehn Jahre „nicht profitabel sind, bevor der gebildete Hebel entsprechend einsetzt“.
Pohl und Ackermann kritisieren, dass die saarländische Förderlandschaft derzeit sehr heterogen und kleinteilig ist. So unterstützt das Starter Stipendium Saar innovative Jungunternehmen mit 3000 Euro monatlich für ein Jahr. Der saarländische Wagnisfinanzierungsgesellschaft (SWG) stehen nur 14 Millionen Euro zur Verfügung, mit denen sie Start-ups finanzieren kann. „Das reicht hinten und vorne nicht mehr“, klagte bei seinem Ausscheiden der frühere SWG-Aufsichtsratsvorsitzende Max Häring. Andere würden eigene Fonds auflegen. So hat das Cispa HelmholtzZentrum für Informationssicherheit zusammen mit Frankfurter Investmentgesellschaft Sustainable & Invest den Cispa Venture Capital Fonds aufgelegt, der aber nur jungen Unternehmen aus dem Bereich der Cybersicherheit zur Verfügung steht.
„Außerdem müssen die Kräfte im Land gebündelt werden“, sagen die Verbandssprecher. An der Universität des Saarlandes seien die Gründungsaktivitäten zwar jetzt unter der Dachmarke Triathlon gebündelt und auch die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) habe mit der Zuordnung des Gründungsbereichs zu ihrem Institut Fitt weitgehend für Transparenz gesorgt. „Doch so richtig greifen die Räder noch nicht ineinander.“
Der Verband geht in seinem Papier davon aus, dass in den kommenden zehn Jahren rund 310 Start-ups neu entstehen könnten, wenn die 250 Millionen Euro zielgerichtet und sinnvoll eingesetzt werden.