Konservative feiern Rücktritt der Harvard-Präsidentin
WASHINGTON Am Ende ging es nur am Rande um die kurze, unglückliche Amtszeit der ersten schwarzen Präsidentin in der 387 Jahre langen Geschichte der vielleicht berühmtesten Universität der Welt. So jedenfalls sieht es der Harvard-Historiker Khalil Gibran Muhammad, der den Rücktritt Claudine Gays für problematisch hält. Er ist fest davon überzeugt, dass die Plagiatvorwürfe bald vergessen sein werden. Und kaum jemand ernsthaft glaubt, dass die Afroamerikanerin antisemitische Ansichten oder Sympathien hegt.
„Die Republikaner haben Krieg gegen die Unabhängigkeit von Colleges und Universitäten erklärt“, ordnet der Professor die „Causa Gay“ein. Den Verdacht äußerte die Betroffene selbst nach ihrem Rücktritt in einem Meinungsbeitrag für die New York Times. Darin schildert sie, wie sie über vier Wochen durch die Hölle aus öffentlichem Mobbing, rassistischen Beschimpfungen und persönlichen Drohungen ging, bevor sie am 2. Januar nach nur einem halben Jahr an der Spitze Harvards ihre Demission einreichte.
Niemand weiß besser als sie selbst, wie desaströs ihr Auftritt bei einer Anhörung am 5. Dezember vor dem Kongress war. Auf die Ja-oderNein-Frage der Republikanerin Elise Stefanik, ob der Aufruf zum Völkermord an Juden gegen die Regeln in Harvard verstoße, gab die Politologin eine technokratische Antwort. Dies hänge vom „Kontext“verwies Gay auf das in der Verfassung verankerte Grundrecht auf Redefreiheit.
Sie hätte sagen sollen, „dass Gewaltaufrufe gegen unsere jüdische Gemeinde – Drohungen gegen jüdische Studenten – keinen Platz an Harvard haben“, streute Gay sich in einem Interview mit der Universitätszeitung „Harvard Crimson“Asche auf ihr Haupt. Doch der Geist war aus der Flasche. Alle Versuche, ihn wieder einzufangen, scheiterten angesichts des enormen öffentlichen Drucks.
Die Stimmung im Aufsichtsrat der Harvard Corporation, der Gay ursprünglich unterstützt hatte, drehte sich, als kurz vor Weihnachten Plagiatsvorwürfe hinzukamen. Der rechte Aktivist Christopher Rufo, der sich in Florida als akademische Abrissbirne Gouverneur Ron DeSantis profiliert hat, publizierte auf der Webseite des The Washington Free Beacon Beispiele von mutmaßlich abgekupferten Passagen aus ihren akademischen Arbeiten.
Eine unabhängige Überprüfung der wissenschaftlichen Arbeiten Gays durch ein von Harvard bestelltes Gremium stellte Unsauberkeiten beim Zitieren fest. „Aber kein wissenschaftliches Fehlverhalten“. Harvard-Schatzmeister Timothy
R. Barakett überzeugte das nicht. Er nutzte seine Position im Aufsichtsrat, um Stimmung gegen den Verbleib Gays zu machen. Kurz vor der Jahreswende überbrachte ihr die Vorsitzende Penny Pritzker die Hiobsbotschaft.
Gay sah keinen Ausweg und trat am 2. Januar zurück. Doch öffentlich machte sie keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. „Bei der Kampagne gegen mich ging es um mehr als eine Universität und eine Führerin“, schrieb sie in dem Meinungsbeitrag. Es beginne so, aber ende nicht damit.
Darauf deutet das Jubelgeheul hin, das nach ihrem Rücktritt ausgebrochen ist. „Die öffentliche Meinung hat sich geändert und für Bewegung in den Institutionen gesorgt“, feiert Rufo den Erfolg seiner Kampagne. Republikanische Denkfabriken haben Universitäten schon vor langer Zeit als Brutstätten für als „Wokeness“verschrienes liberales Gedankengut ausgemacht.
Der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, und sein texanischer Kollege Gregg Abbott, setzten sich an die Spitze der Bewegung. Per Gesetz verboten sie und fünf andere republikanische geführte Staaten sogenannte „DEI-Programme“, die auf Vielfalt, Teilhabe und Inklusion setzen. Die
Staaten versuchen, die Lehre und kritische Auseinandersetzung mit Teilen der amerikanischen Geschichte zu unterbinden, die vorwiegend mit Rasse und Sklaverei zu tun haben. Sie verbannten Bücher aus Lehrplänen und Bibliotheken und nehmen direkten Einfluss auf die Curricula.
Dass es um weit mehr als eine Personalie geht, räumt auch Trumps Speerspitze im Repräsentantenhaus ein. Der Tag der Abrechnung rücke näher, orakelt Stefanik. „Wir haben erst damit begonnen, zu enthüllen, wie verrottet unsere prestigereichsten Einrichtungen der höheren Bildung sind.“
Genau das fürchtet der HarvardGelehrte Khalil Gibran Muhammad, der eine systematische Kampagne ausmacht, die Fähigkeit der USA zu beenden, sich kritisch mit strukturellem Rassismus oder systematischer Ungleichheit zu befassen. Die Trump-Republikaner seien auf einem Siegeszug. „Und der Rücktritt Gays wird sie nur ermutigen“.