„Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen“
Der Bundesarbeitsminister wirbt für eine stete Unterstützung der Ukraine, bewertet die AfD als Risiko für Deutschland und sagt, dass sich Arbeit lohnt.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat lange zum Zustand der Regierung geschwiegen, doch jetzt findet er in seinem ersten Interview des Jahres deutliche Worte. Der SPD-Politiker über die Aussichten bei der Rente, das Bürgergeld, und die wesentlichen Aufgaben der Regierung bis zum Ende der Legislatur.
Herr Heil, das Jahr beginnt überaus unruhig, die Bauern und weitere Berufsgruppen sind auf der Straße. Wie erklären Sie sich diese große Unzufriedenheit?
HEIL Die Gesellschaft ist in den letzten Jahren stark unter Druck geraten. Der russische Angriffskrieg hat zu hoher Inflation geführt, die viele Menschen belastet. Und der Bundespräsident hat Recht: Die Regierung gab in den letzten Monaten öffentlich keine gute Figur ab. Das ärgert mich, weil wir vieles richtig gemacht haben: Wir haben zwei Winter lang Gas-Notlagen verhindert, wir haben den Mindestlohn erhöht und ein Riesen-Paket zur Fachkräftesicherung verabschiedet. All das ist in den Hintergrund getreten, weil sich einzelne in der Koalition kleinteilig um sich selbst gedreht und sich öffentlich beharkt haben. Ich will, dass das jetzt besser wird, wenn wir den Haushalt verabschiedet haben. Dass
wir uns dann auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren, um den Menschen wieder mehr Sicherheit zu geben.
Was sind denn die wesentlichen Aufgaben der Regierung in der übrigen Legislaturperiode?
HEIL Ganz wichtig ist, dass wir die Ukraine weiterhin im Krieg gegen Russland unterstützen. Deutschland leistet viel, jetzt gilt es auch unsere europäischen Partner zu mehr Engagement zu bewegen. Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. Zweitens müssen wir die wirtschaftliche Modernisierung vorantreiben, damit Deutschland ein starkes Land bleibt. Drittens müssen wir weiter Politik für die arbeitenden Menschen machen. Deshalb sorgen wir jetzt mit einem Tariftreuegesetz für mehr Tariflöhne und wir stabilisieren die Rente langfristig. Viertens müssen wir unsere
Demokratie gegen Feinde verteidigen, die mit Hass und Hetze das Land spalten wollen. Ich bin froh, dass gegen die widerlichen Vertreibungs- und Deportationsfantasien von Neonazis in dieser Gesellschaft jetzt ein Aufwachen stattfindet. Die vernünftige Mehrheit der Bundesbürger wird lauter.
Was für ein Signal geht von dem AfD-Höhenflug aus – nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland?
HEIL Als Demokraten werden wir nicht zulassen, dass Rechtsradikale unsere Demokratie kaputt machen. Wer versucht Bürgerinnen und Bürger mit Einwanderungsgeschichte Angst zu machen, muss auf den klaren Widerstand der Anständigen treffen. Jedem muss klar sein, was die AfD ist: Ein Standortrisiko, eine Partei, die nicht nur unsere Demokratie angreift, sondern unserem Land auch wirtschaftlich und sozial schadet. Qualifizierte Fachkräfte, die wir für Deutschland dringend gewinnen müssen, werden nur dann kommen, wenn sie sicher sein können, dass sie hier nicht ausgegrenzt oder gar bedroht werden.
Der Finanzminister hat angekündigt, dass es in dieser Legislaturperiode kein Klimageld geben wird. Ist das eine Botschaft in Ihrem Sinne?
HEIL Klar ist, dass wir einen sozialen Ausgleich für die notwendige Klimaschutzpolitik brauchen.
…und warum kommt es nicht schon 2025?
HEIL Offensichtlich sieht der Finanzminister derzeit die finanziellen Spielräume nicht. Es muss schnell entschieden werden, wie wir sozialen Ausgleich für Menschen mit unterem und mittlerem Einkommen schaffen, wenn der CO2-Preis deutlich steigt. Ich setze auf soziale Klimapolitik.
Beim Bürgergeld wollen Sie Sanktionen wieder einführen, die die Ampel zuvor nahezu abgeschafft hatte. Warum diese Kehrtwende?
HEIL Beim Bürgergeld geht es darum, Menschen in Arbeit zu bringen. Dabei setzen wir auf Weiterbildung und gute Betreuung bei der Arbeitssuche. Aber wer wiederholt Arbeitsangebote ausschlägt, wird die Konsequenzen spüren. Das ist eine sehr kleine Gruppe, die nicht das gesamte System in Verruf bringen darf. Keinen Beitrag zur Lösung leisten allerdings Konservative wie Jens Spahn, die alle Bürgergeld-Empfänger unter den Generalverdacht stellen, faul zu sein. Das ist grundfalsch. Wir reden hier auch über Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Alleinerziehende, die auf Unterstützung angewiesen sind.
Eine Studie des Ifo-Instituts hat ergeben, dass der Lohnabstand in
bestimmten Fällen zwischen Selbstverdientem und Bürgergeld sehr gering ist. Wann wollen Sie für mehr Lohnabstand sorgen?
HEIL Arbeit macht nach wie vor einen Unterschied, das hat das Ifo-Institut bestätigt. Seit 2015 ist der Mindestlohn stärker gestiegen als die Grundsicherung. Wir brauchen mehr gute Arbeit, die nach Tariflöhnen bezahlt wird, das erhöht den Lohnabstand wirksam.
Wenn der Haushalt Anfang Februar verabschiedet ist, kommt dann endlich das Rentenpaket II?
HEIL Ja, das ist in der Koalition fest vereinbart. Der Gesetzentwurf liegt vor und soll nach dem Haushaltsbeschluss zügig auf den Weg kommen. Wir stabilisieren die Rente und sichern das Rentenniveau ab. Das ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit, denn es profitieren die Menschen, die heute arbeiten und fleißig sind.
Aber das müssen die Leistungsträger bezahlen, denen Sie zusätzliche Belastungen doch gerade nicht zumuten wollen.
HEIL Damit die Beiträge nicht so schnell steigen, müssen wir weiter für hohe Beschäftigung sorgen. Auch künftige Rentnerinnen und Rentner – und das sind ja die heutigen Leistungsträger – müssen die Sicherheit haben, dass sie später noch eine ordentliche Rente bekommen. Ohne unser Gesetz würde das Rentenniveau schon in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts absacken.
Welchen Ausblick können Sie für 2024 den Rentnerinnen und Rentnern geben?
HEIL Genaue Zahlen liegen im März vor, aber der Rentenversicherungsbericht geht davon aus, dass in diesem Jahr die Rentenerhöhung wieder über der Inflationsrate liegen wird.
Die Antragszahlen bei der Rente mit 63 liegen weiterhin deutlich über der Prognose der Regierung. Warum schaffen Sie sie nicht ab?
HEIL Es gibt gar keine Rente mit 63 mehr, das Eintrittsalter für besonders langjährig Versicherte liegt bei über 64 und wird auf 65 Jahre steigen. Und wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, hat dann ein Recht darauf, früher abschlagsfrei in Rente zu gehen. Eine Rente mit 70, wie es viele Konservative wollen, wird es mit mir nicht geben. Das wäre eine Verschlechterung für alle jüngeren, die nach den Babyboomern geboren sind und heute mit ihren Beiträgen die Rente finanzieren. Viel wichtiger ist, dass wir die Beschäftigungsquote der 60bis 64-Jährigen deutlich gesteigert haben.