„Wir mussten das entsexualisieren“
Beim Ophüls-Festival zeigt die Saarbrücker Regisseurin Alison Kuhn jetzt „WatchMe“. Wie dreht man eine Serie über Pornographisches, die selbst nicht pornographisch ist?
SAARBRÜCKEN „Es ist wirklich viel passiert“, sagt Alison Kuhn. Vor zwei Jahren stand ihr hintersinniger Kurzfilm „Fluffy Tales“über Hierarchie und Demütigung, über ein Fotoshooting und Hundefutter im Ophüls-Wettbewerb. Seitdem hat die Saarbrückerin ihren Abschlussfilm „Schwarmtiere“an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf gedreht, Regie in der achten Staffel der ZDF/funk-Jugendserie „Druck“geführt und ihren ersten Kinofilm geschrieben und inszeniert (dazu später mehr). Und nach Saarbrücken kommt sie nun mit der Mini-Serie „WatchMe“– die erste ZDFneo-Reihe, die frei ab 16 ist. Deshalb kann man sie in der Mediathek nur ab 22 Uhr sehen oder nach Anmeldung mit Altersbescheinigung.
Das verwundert nicht, denn die sechs Episoden (13 bis 22 Minuten lang) führen auf die fiktive Pornografie-Plattform WatchMe; dort lassen sich mehrere Menschen textilfrei filmen, aus unterschiedlichen Motiven: Die alleinerziehende Mutter Toni will per Nacktheit dringend nötiges Geld verdienen – und auch die Freude am eigenen Körper wiederentdecken; das Pärchen Tim und Josh will Pornokarriere machen; Malaika sieht sich als Körperaktivistin, die der allgegenwärtigen Sexualisierung ein Schnippchen schlagen will, indem sie die zu ihrem eigenen Zweck und Gehalt nutzen will. Doch gehen diese drei Konzepte auf? Oder ist es eher Selbstbetrug?
Der Kanal hatte bei Kuhn angefragt, ob sie Interesse habe – sie hatte. „Es handelt sich um ein spannendes Format namens ‚Instant Fiction`. Da sollen nur sechs Monate zwischen Idee und Ausstrahlung liegen“, sagt Kuhn. Eine Herausforderung. Am Ende wurden es dann doch neun Monate, nicht zuletzt weil das Thema die Dreharbeiten erschwerte. Denn wie dreht man eine Serie über Pornographisches, die selbst nicht pornographisch ist – aber auch nicht so absurd züchtig, dass sie dem Thema nicht beikommt? „Uns war klar, dass das in die Richtung FSK 16 geht“, sagt Kuhn. Um diese Altersgrenze aber zu halten, habe sie „diverse Dinge beachten müssen, die ich zuvor so nicht kannte“. Zum Beispiel? „Wir mussten uns genau überlegen, in welcher Kameraeinstellungsgröße welches Geschlechtsteil wie abgebildet wird.“Die dargestellte Erotik auf der fiktiven Pornoplattform sollte bildlich immer im Kontext gezeigt werden und nicht etwa in die UserPerspektive springen, „wir mussten das entsexualisieren, es sollte nie erotisierend wirken“.
Um das zu erreichen und um die Dreharbeiten zu erleichtern, war eine „Intimitäts-Koordinatorin“dabei, die das Projekt schon im Anfangsstadium begleitet hat „und bei jeder intimen Szene dabei war“, erklärt Kuhn. Eine Aufgabe war es, „darauf zu achten, dass alles so abläuft wie abgesprochen, dass sich alle wohlfühlen. Und bei den expliziten Szene hat sie schon bei den Proben mitgearbeitet“. Mit manchen Schauspielerinnen und Schauspieler hätten sie in den Szenen jede Geste, jede Berührung genau festgelegt. Nur wenige haben sich Improvisation gewünscht. „Bei manchen Szenen etwa haben wir die Länge eines Kusses festgelegt und beim Dreh die Sekunden heruntergezählt. Das war schon fast wie eine Choreografie.“Wichtig sei auch gewesen, nie den Kontext zu vergessen, in dem die erotischen Szenen entstehen – „man sieht diese Szenen nicht losgelöst, immer wird klar gemacht, dass wir uns in einem filmischen Setting befinden. Man sieht Kamera, Mikrofone – auch damit man aus der Serie keine Fotos oder Szenen herausziehen kann, die im Netz mit tatsächlichen pornografischen Aufnahmen zu verwechseln wären.“Ob nun etwa die Idee der Figur Malaika des Aktivismus auf einer Pornoplattform letztlich naiv ist oder doch eine Form von eigener Ermächtigung, will Kuhn nicht entscheiden. „Uns ging es vor allem darum, eine Vielfalt von Charakteren zu zeigen – ich glaube, eine einzige definitive Haltung dazu kann es nicht geben.“Eine interessante Arbeit – und eine schnelle: 12 Drehtage hatte sie für die sechs Episoden, etwas abgefedert aber von Proben vorab.
Im Januar 2023 war das – den Rest des Jahres hat Kuhn ihrem ersten langen Kinospielfilm gewidmet (ihr 2020er Film „The Case You“war eine Doku): „Holy Meat“hat, wie Kuhn erzählt, „seinen Anfang im Saarland genommen. 2016 bekam ich von den Saarland Medien eine Stoffentwicklungsförderung, damals hieß das Projekt aber noch ‚Das Schwindelgefühl beim Betrachten der Sterne`“. Eine „absurde Komödie über Einsamkeit“verspricht Kuhn. Ihr Drehbuch verschlägt eine junge schwäbische Metzgerin in die alte dörfliche und von ihr ungeliebte Heimat; dort versucht ein Pater mit fragwürdigen Mitteln die Gemeinde zu retten, während ein in Berlin geschasster Theaterregisseur hier einen neuen Anfang machen will – unter anderem mit einer eigenwilligen Version der „Passion Christi“.
Die Hauptrollen spielen Homa
Faghiri („Elaha“), Pit Bukowski („Der Fuchs, „Das Boot“) und, als dänischer Pater, der dänische Schauspieler Jens Albinus – unter anderem bekannt für seine Rollen in Filmen von Lars von Trier wie „Dancer in the Dark“und „Nymphomaniac“. Einen Verleih hat der Film schon (Camino) – es steht aber noch einige Arbeit an, Kuhn ist gerade am Feinschnitt. Ab Mitte des Jahres hofft sie auf Festivals, und der Kinostart ist etwa Anfang 2025 geplant.
Ein weiterer langer Spielfilm ist in Vorbereitung, „zu dem kann ich aber leider noch nichts sagen“. Es läuft also gut bei Alison Kuhn. Mittlerweile wird sie von der Agentur Players vertreten, die etwa auch Christoph Waltz, Maria Schrader oder Matthias Schweighöfer betreut. „Sie vernetzen mich, verhandeln meine Verträge, wir besprechen meine nächsten Karriereschritte.“Wie weit kann man die planen? Zum Beispiel mit einem Saarbrücker „Tatort“den Fuß in die Abendprogramm-Tür zu bekommen? „Einen Saarbrücker ‚Tatort` würde ich natürlich gerne irgendwann mal machen“, sagt Kuhn, „in jedem Fall ist es gut, zu wissen, was man als nächstes vor hat“. Kuhn lebt seit einigen Jahren in Berlin, kommt um die vier Mal im Jahr zurück ins Saarland. Ideal ist es, sagt sie, wenn sie das mit Arbeit verbinden kann – wie jetzt bei Ophüls, „wenn die ganze Branche in meiner alten Heimat ist“.
„Das war schon fast wie eine Choreografie.“Regisseurin Alison Kuhn über die Dreharbeiten zu „WatchMe“
Die erste Hälfte von „WatchMe“läuft am Mittwoch ab 17 Uhr im Cinestar 2, die zweite dort am Donnerstag ab 16.30 Uhr.
in der ARD-Mediathek.
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