Das Herz des modernen Istanbul
Romantische Gassen, elegante Einkaufsstraßen, Szene- Cafés, lässige Bars: Das Beyoglu-Viertel verdient einen längeren Besuch.
Jedes Mal wenn er in das quirlige Beyoglu-Viertel kommt, fühlt sich der Grieche Sakis Papadopoulos an seine Heimatstadt Thessaloniki erinnert. Kein Wunder, denn früher lebten hier viele Hellenen, sie waren es auch, die diesen Stadtteil mit dem Namen „Pera“tauften. Das bedeutet „drüben“, also genau gegenüber der Altstadt. Und die Türken verwenden diesen Namen bis heute.
Schon früh morgens pulsiert hier das Leben, insbesondere rund um den 67 Meter hohen Galata-Turm, einem der Wahrzeichen Istanbuls. Der Turm war einst Bestandteil einer Befestigungsmauer, die Kaufleute aus Genua im 14. Jahrhundert errichteten. Die 360-Grad-Aussichtsplattform im obersten Stock bietet einen herrlichen Blick auf die stetig wachsende Metropole, die schon jetzt mehr als 16 Millionen Einwohner hat und sich über zwei Kontinente erstreckt. Hier treffen Europa und Asien aufeinander, verbunden durch Hängebrücken über den tiefblauen Bosporus. Wer vom GalataTurm aus den Blick über die Silhouette der Altstadt schweifen lässt, erkennt unschwer die Hagia Sophia, die Blaue Moschee sowie den ehemaligen Sultanspalast Topkapi.
Kaum öffnen unten die Cafés, wie etwa das Viyaba Kahvesi, ihre Pforten, drängen sich schon die Menschen. Verkaufshit ist ein mit Schokolade überzogener Käsekuchen namens San Sebastian, der eigentlich aus dem Baskenland stammt. „Von jeher saugt man hier im europäischen Teil der Stadt alle neuen Trends auf, daher ist Pera das weltoffenste Viertel von ganz Istanbul“, sagt Papadopoulos, der oft hierher kommt. Ein Spaziergang durch die
Straßen, in denen sich neoklassische- und Jugendstilgebäude ebenso aneinanderreihen wie christliche Kirchen und Moscheen, zeigt die perfekte Symbiose von Orient und Okzident.
In wenigen Gehminuten erreicht man das altehrwürdige Pera Palace Hotel aus dem Jahr 1892, das schon während der Zeit der Ottomanen elektrischen Strom hatte und das erste Luxushotel der Stadt war. Gebaut wurde es, um die Passagiere des Orient Express von Paris nach Istanbul zu beherbergen, zuvor gab es nämlich nur recht unkomfortable Karawansereien. Schnell wurde das Grandhotel im Neorokoko-Stil bei den gut betuchten Gästen beliebt. Hier logierten Celebrities wie Greta Garbo oder Ernest Hemingway, aber auch Mustafa Kemal Atatürk, der nach dem ersten Weltkrieg die
moderne Republik Türkei gründete, verfiel dem Charme des Hotels. Wer heute durch den romantischen Ballsaal mit seinen Kronleuchtern schlendert, kann gut nachvollziehen, warum sich auch Agatha Christie für längere Zeit einmietete, um ihren „Mord im Orientexpress“zu schreiben. Ihr Zimmer 411, ein kleines Museum voller Fotos der Autorin, in dem noch ihre alte Schreibmaschine steht, kann nach Voranmeldung besucht werden. Doch es ist fast immer belegt, erklärt der Rezeptionist bedauernd.
Die Faszination, die man in Europa für den Orient empfand und umgekehrt, ist im Pera-Museum schräg gegenüber dokumentiert. Die Gemälde aus dem 17. bis zum 19. Jahrhundert sind so realistisch, dass sie wie Fotos wirken. Sie zeigen das osmanische Istanbul aus
der Sicht westlicher Botschafter, die von ihrem Einsatzort so hingerissen waren, dass sie vielfach türkische Künstler förderten. Hier hängt auch das berühmteste Gemälde der Türkei, „Der Schildkrötenerzieher“von Osman Hamdi Bey.
Flaniermeile des kosmopolitischen Viertels ist der breite Prachtboulevard Istiklal Cadessi mit vielen Cafés, Baklava-Läden, Bars, Theatern und Galerien. Hier verkehrt auch eine nostalgische Tram. Empfehlenswerter Haltepunkt ist das Filmmuseum, allein schon wegen seiner Unterbringung in der AtlasPassage, einem großbürgerlichen Bau aus dem Jahr 1877 mit spätosmanischer Innenarchitektur und herrlichen Fresken in den Gewölben. In der Istiklal Cadessi hat auch jede Generation von Zuwanderern ihre Spuren hinterlassen, etwa in der
Cicek-Passage (Blumen-Passage) mit ihrem berühmten JugendstilFenster an der Außenfassade. Früher hieß dieser Ort Blumenmarkt, weil russische Adelsdamen, die nach der Oktoberrevolution 1917 hier Zuflucht fanden, Geld verdienen mussten und daher Blumengestecke und Kränze verkauften.
Die Ottomanen kannten so etwas nicht und waren entzückt. Heute sind unter den Arkaden hauptsächlich Restaurants untergebracht. Und die zweitälteste U-Bahn der Welt hinter London, der so genannte „Tünel“aus dem Jahr 1875, entsprang der Idee eines französischen Ingenieurs. Mit einer Länge von rund 600 Metern ist sie die kürzeste U-Bahn der Welt und verbindet das alte Pera mit dem Ufer des Goldenen Horns. Hier wurde im letzten Jahr der neue Galataport fertig gestellt, aus einem heruntergekommenen Hafengelände entstand auf einer Länge von 1,2 Kilometern entlang des Bosporus ein neues Viertel mit edlen Läden, Büros und schicken Restaurants. Hier sieht man auch viele moderne Geschäftsfrauen, wie etwa die in der ganzen Türkei bekannte Star- und Fernsehköchin Pinar Ishakoglu, die hier arbeitet und deswegen berühmt ist, weil ihre Gerichte eine Synthese kulinarischer Stile aus Europa und der arabischen Welt sind. „Die gegenseitige Durchdringung von unterschiedlichen Kulturen bereichert uns alle “, sagt Ishakoglu.
Am neuen Hafen werden auch die Kreuzfahrtschiffe abgefertigt, ganz störungsfrei, weil die Passagiere in einem unterirdischen Terminal aussteigen. So gehört das Ufer den Passanten, die sich gegenseitig vor der Silhouette der gegenüber liegenden Altstadt mit ihren Kuppeln und Minaretten ablichten. Einer der Höhepunkte am Galataport ist auch das vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano entworfene moderne Kunstmuseum, durch dessen gläserne Fassade man direkt auf den Bosporus sehen kann.
An die multikulturelle Tradition von Beyoglu knüpft seit vier Jahren ein neues Festival mit einer Vielzahl von Jazz-, Pop- und klassischen Konzerten, Ausstellungen und Kunstmärkten an, das sogenannte Beyoglu Culture Route Festival, das immer im Oktober stattfindet. Die beiden Freundinnen und auf Kunsthandwerk spezialisierten Ladenbesitzerinnen Cigdem Yildiz und Serpil Caknak Karan nehmen jedes Jahr teil. „Unsere Stadt ist stets im Wandel, aber nirgendwo spürt man das so gut wie in Beyoglu“.