Deutschland braucht eine große Reformagenda 2027/28
Erstmals seit 2019 soll der Bund im laufenden Jahr die Schuldenbremse wieder einhalten. Der Bundestag hat am Freitag den entsprechenden Bundeshaushalt nach langem Gezerre beschlossen.
Dass die Ampel-Koalition nach dem Verfassungsgerichtsurteil im November eine Lücke von 60 Milliarden Euro schließen konnte, ohne erneut die Schuldenbremse zu lösen und ohne an dieser schwierigen Aufgabe zu zerbrechen, war ein politischer Erfolg – so umstritten manche Etatkürzung und Mehrbelastung für Bürger und Unternehmen auch sind.
Doch dem Prestigegewinn, den daraus in erster Linie die FDP und ihr Finanzminister Christian Lindner ziehen, stehen hohe politische Kosten gegenüber:
Schon Einschnitte mit geringem fiskalischem Effekt wie etwa beim Agrardiesel lösen massiven Protest aus, verstärken die gesellschaftlichen Spannungen und verringern die Chancen der Ampel auf eine Wiederwahl.
Die Rückkehr zur Schuldenbremse im Bundeshaushalt 2024 war verfassungsrechtlich geboten und ökonomisch wie politisch richtig. Es durfte nicht sein, dass die Regierung nach einer Schlappe vor dem Verfassungsgericht die nächste Niederlage riskiert, indem sie den einfachsten Weg geht. Bei steigender Zinslast, hoher Inflation und der strukturell begründeten Wirtschaftsschwäche hatte die Koalition auch gute wirtschaftliche Argumente, die Schuldenbremse wieder einzuhalten. 2024 sind immer noch 39 Milliarden Euro Neuverschuldung vorgesehen, das ist kein Pappenstiel. Zugleich steigen die Investitionen auf das Rekordniveau von 70,5 Milliarden Euro.
Spätestens das Karlsruher Haushaltsurteil hat offengelegt, dass der Bund an seine finanziellen Grenzen stößt, wenn es um die Finanzierung entscheidender Zukunftsaufgaben wie Klimaschutz, Transformation und Aufrüstung geht. Zu hoch waren die Steueranteile, die der Bund in der Vergangenheit an die Länder abgegeben hat.
Während der Staat jahrelang zu wenig investiert hat, wurden die Ansprüche an den Sozialstaat zu stark ausgebaut. Deutschland braucht spätestens in der nächsten Wahlperiode eine große Reformagenda 2027/2028 ähnlich wie die, die Alt-Kanzler Gerhard Schröder 2003 angestoßen hatte.
Schon im nächsten Bundeshaushalt 2025 fehlen absehbar wieder 25 Milliarden Euro, weitere 15 Milliarden im Klimafonds KTF. Neue Kürzungen, höhere Steuern und Abgaben werden nötig, um die Lücken zu schließen. SPD und Grüne drängen auch deshalb weiter mit Macht auf das Aussetzen der Schuldenbremse und auf ihre Reform. Ihnen haben sich der Sachverständigenrat der so genannten Wirtschaftsweisen, Verbände und Gewerkschaften angeschlossen.
Ob die in Umfragen schlecht dastehende FDP und der unbeliebte Kanzler diesem Druck standhalten können, ist die vielleicht spannendste innenpolitische Frage des Jahres. Die Union verschärft die finanzielle Notlage der Ampel mit einer destruktiven Politik: Im Bundesrat hat sie jetzt das Haushaltsfinanzierungsgesetz bis Ende März verzögert.
Der Ampel stehen damit erneut wochenlange, unangenehme Diskussionen über Agrardiesel, Ticketsteuer und Bürgergeld bevor.