Historische Fäden in St. Wendel
Im Rahmen der Ausstellung „Drunter und drüber“nähern sich Juliane Laitzsch und Gertrud Riethmüller historischen Textilien. Das künstlerische Doppel zeigt dabei erneut, wie gut die Werke beider Frauen miteinander harmonieren.
ST. WENDEL Das Museum St. Wendel überrascht immer wieder mit Ausstellungen, die sich dem aktuellen regionalen Kunstschaffen widmen und dabei gerne auch anspruchsvoll sein dürfen. So auch mit der neuen Ausstellung „drunter und drüber“, in der Juliane Laitzsch und Gertrud Riethmüller sich historischen Textilien annähern. Schon ein erster Blick in die hellen, weiten Ausstellungsräume offenbart, dass die Künstlerinnen ihren Arbeiten viel Raum gegeben haben.
Gertrud Riethmüller reduziert sich dabei auf eine große Installation, die jedoch eine ganze Wand einnimmt. Gertrud Riethmüller ist in der saarländischen Kunstszene eine feste Größe. Die in St. WendelDörrenbach lebende Künstlerin studierte einst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar „Neue künstlerische Medien“, gewann mehrere Preise und präsentiert ihre Skulpturen, Videos, Objekte und Installationen auch immer wieder in der Region. Im Sommer waren zwei Werke von ihr in der Modernen Galerie im Rahmen der „SaarArt 23“zu sehen.
Und auf eine dieser beiden Arbeiten bezieht sie sich in der Ausstellung in St. Wendel. Denn auch hier ist ein raumgreifendes Kunstwerk aus schwarzen Lautsprecherkabeln geklöppelt. Allerdings hat die überdimensionierte Spitze hier die Form eines geschwungenen, abgerundeten Kragens. Die Lautsprecherkabel, aus denen das Werk „Ein Kragen – Im Tanz der Verfechtung“besteht, führen vom geklöppelten Kunstwerk zum Boden und enden dort in 16 kleinen Lautsprechern, aus denen abwechselnd Geräusche und einzelne Sätze zu vernehmen sind. Die Geräusche entstehen beim Klöppeln, wenn die Spulen aneinanderschlagen. Bei den Sätzen spricht die Spitze selbst. In den Sätzen, die fast alle mit „ich bin“beginnen, berichtet die Spitze von ihrem früheren Wert und Ansehen – aber auch von den fast erblindeten Klöpplerinnen. Mit dieser Arbeit zeigt die Künstlerin nicht nur die Kunstfertigkeit des Klöppelns, die sie selbst perfekt beherrscht, sondern sie thematisiert auch die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen der Klöpplerinnen, stellt sie der gehobenen Lebensweise der Trägerinnen und Träger der Spitzen gegenüber.
Gertrud Riethmüller ergänzt dieses Kunstwerk mit einem stillen Video, in dem zwei Hände die Arbeit des Klöppelns verrichten, allerdings ganz ohne Garne und Spulen. Dazu sind noch sechs Holzplatten ausgestellt, die ihr als Mustervorlage, als Klöppelbrief, dienten, sowie Schriften zu den Lebensverhältnissen einer Klöpplerin. Dass sie auch den Kragen als feine, weiße, originalgroße Spitze anfertigte, kann man in einer Mappe entdecken, die in einer Leseecke mit weiterer Literatur ausliegt.
Das ist eine wunderbare Idee, denn gerade auch die Werke von Juliane Laitzsch vertragen etwas mehr Erklärungen. Denn die Künstlerin aus Nordwestmecklenburg widmet sich in ihren Projekten spätantiken Textilfragmenten, deren Webarten,
Mustern und deren Geschichte und Auffindung. Juliane Laitzsch studierte nicht nur Kunst, sie promovierte sogar an der Kunstuniversität Linz. Und ihr Thema war auch da die künstlerische Annäherung an spätantike Textilien.
Dazu setzt sich die Künstlerin mit den Funden archäologischer Ausgrabungen auseinander, zeichnet Fotografien der Funde nach, übernimmt in anderen Zeichnungen die Muster und Strukturen der Textilien, führt sie fort, oder interpretiert sie als „ornamentale Kritzeleien“frei weiter. Sogar alte Sekundärliteratur zum Thema wird von ihr zeichnerisch umgesetzt. Dabei herausgekommen sind verschiedene Werkgruppen, die in der Ausstellung mal an Wänden hängend, mal auf Tischen liegend, präsentiert werden. Und es ist beeindruckend, wie Juliane Laitzsch Fotografien von archäologischen Grabungen mittels Raster um ein Vielfaches vergrößert als genaue Bleistiftzeichnung umsetzt. Dabei gelingt es der Künstlerin, zwischen Dokumentation und freier Arbeit zu wechseln, manches ganz genau wiederzugeben, anderes frei zu erfinden. Und alles ist mit großer Akribie ausgeführt.
So nähern sich die beiden Künstlerinnen, Gertrud Riethmüller und Juliane Laitzsch, der historischen Textilkunst an, jede auf ihre Weise. Während Gertrud Riethmüller die Kunst des Klöppelns auf sehr moderne Weise neu gestaltet und gleichzeitig gesellschaftskritisch und emotional auflädt, zeichnet und interpretiert Juliane Laitzsch alte Textilfragmente auf unterschiedliche Weisen, nähert sich ihnen prozesshaft an. Dass dieses künstlerische Doppel gut funktioniert, konnte man schon im Jahr
2016 erleben. Denn da stellten die beiden Künstlerinnen, die mittlerweile auch befreundet sind, bereits gemeinsam im Saarländischen Künstlerhaus aus.
Weitere Informationen unter: https://museum-wnd.de/