Forschung auf den Spuren der Unrechtsjustiz
Der Rechtsanwalt Simon Dörrenbächer hat über das Wirken des Sondergerichts Saarbrücken im Zweiten Weltkrieg geforscht. Sein Buch „ NSStrafjustiz an der Saar“zeigt die regionalen Auswüchse einer menschenverachtenden Justiz.
SAARBRÜCKEN Neue Erkenntnisse über die Machenschaften der SaarJustiz während der Zeit des Nationalsozialismus haben wir einem Sinneswandel zu verdanken: Der 32-jährige Saarländer Simon Dörrenbächer studierte zuerst Politik und Geschichte in Berlin, kehrte aber schließlich als Jurastudent in die Heimat zurück. Nur deshalb stieß er als angehender Doktorand auf die Akten des Sondergerichts Saarbrücken – und auf Professor Hannes Ludyga, der die Rechtsgeschichte an der juristischen Fakultät der Saarbrücker Universität betreut. „Er fand das Thema direkt toll“, erinnert sich Dörrenbächer.
Das Ergebnis der vielen Stunden, die der Jurist in seine Doktorarbeit investiert hat: Ein 412 Seiten langes Werk mit erschreckenden Erkenntnissen über ein dunkles Kapitel der Saar-Justiz. Zum Beispiel hat das für das Saarland und weite Teile von Rheinland-Pfalz zuständige Sondergericht Saarbrücken nur am Rande über Verbrechen und deren Schwere geurteilt. Man sei stattdessen davon ausgegangen, dass Menschen geborene Verbrecher sein könnten und versuchte diese Veranlagung im Angeklagten zu finden, erklärt Dörrenbächer. Dafür wurde die gesamte Lebensführung unter die Lupe genommen. Als Beleg konnte schon reichen, dass man nicht dem gesellschaftlichen Ideal der Nationalsozialisten entsprach. „Der Rechtsbruch wurde zum Anlass zur Überprüfung der Gesellschaftstauglichkeit des Menschen“, fasst Dörrenbächer zusammen.
Um die sogenannte Heimatfront im Zweiten Weltkrieg stabil zu halten, erklärte das Sondergericht Saarbrücken Angeklagte zu „Volksschädlingen“. Wenn Verbrechen auch nur ansatzweise als Bedrohung der heimatlichen Kriegsbemühungen betrachtet werden konnten, drohte das Todesurteil.
Dabei ging es dem Sondergericht vor allem um die Reaktion der Gesellschaft. „Die breite Bevölkerung sollte abgeschreckt werden und an geordnete Verhältnisse in der Heimat glauben“, bemerkt Dörrenbächer und fügt hinzu „man hat die Angeklagten unter Ausklammerung aller entlastenden Umstände instrumentalisiert“.
Aus den von Dörrenbächer untersuchten Akten geht hervor, dass das Sondergericht Saarbrücken zwischen 1939 und 1945 insgesamt 34 Todesurteile ausgesprochen hat. So auch im Fall des 17-jährigen Nikolai
Scheljuk. Der aus der Ukraine stammende Zwangsarbeiter war nach einem Luftangriff auf Saarbrücken in der Nacht zum 30. Juli 1942 Teil der Gleis- und Aufräumarbeiten. Dabei entdeckte er einen mit Schuhen beladenen, zerstörten Eisenbahnwaggon. Da er seit über zwei Monaten keine Schuhe mehr besaß, nahm der Teenager einen aus dem Waggon gefallenen Schuhkarton an sich. Das Sondergericht begründete sein Urteil mit der „besonderen Verwerflichkeit“dieser Tat. Von der Umwandlung der Todesstrafe auf dem Gnadenweg in eine zehnjährige Haft sollte die Bevölkerung bezeichnenderweise nichts wissen.
Damit das Sondergericht Saarbrücken Urteile im Sinne des Nationalsozialismus sprechen konnte, waren hitlertreue Juristen notwendig. Daran herrschte kein Mangel. Nahezu alle Mitglieder des Sondergerichts seien Parteimitglieder der NSDAP gewesen, sagt Dörrenbächer.
Vor allem der Vorsitzende des Gerichts war ein eifriger Befürworter des Nationalsozialismus: „Karl Freudenberg hatte sich schon vor dem Anschluss des Saarlandes für die NSDAP engagiert“, betont Dörrenbächer. Seine politische Zuverlässigkeit wurde ihm anschließend mit dem
Posten als Vorsitzender vergolten.
Die Biografie Freudenbergs dient auch als Beispiel für die schleppende Aufarbeitung der nationalsozialistischen Rechtsprechung im Saarland. Nach einer kurzen Internierung kam der Vorsitzende des Sondergerichts wieder auf freien Fuß. Einzige Konsequenz aus Jahren an Unrechtsprechung: Die noch im Jahr 1944 vollzogene Beförderung des Juristen zum Präsidenten des Landesgerichts Saargemünd wurde rückgängig gemacht. Es wäre zu dieser Zeit auch niemand auf die Idee gekommen, einschneidende personelle Konsequenzen zu fordern. „Dadurch, dass wenige Juristen ihrer Stellung enthoben worden sind, galt es als Netzbeschmutzung, sich diesem Thema zu widmen. Es drohten Reputationsverlust und gesellschaftliche Konsequenzen“, merkt Dörrenbächer an. Daher begannen erst in den 1980er Jahren ernsthafte Bemühungen, die Urteile des Sondergerichts Saarbrücken aufzuarbeiten.
Auch die Rechtsvorstellungen aus der Zeit des Nationalsozialismus sind nicht von heute auf morgen verschwunden. Die Idee vom geborenen Verbrechern suchte beispielsweise weiter die universitäre Lehre heim. Im Saarland wurde der österreichische Kriminologe Ernst Seelig an die frisch gegründete Universität berufen. In dessen 1951 erschienenem Lehrbuch zur Kriminologie finden sich noch Verweise auf ein biologisches Berufsverbrechertum und die besondere Kriminalität der Juden, wie Dörrenbächer in einem noch nicht veröffentlichten Beitrag schreibt.
Was nach der Lektüre von Dörrenbächers Doktorarbeit bleibt, ist die Frage, wie man künftig eine ideologisch motivierte Unrechtsprechung verhindern kann. Darauf gibt es keine einfache Antwort. „Auch die Gesetze eines Rechtsstaats benötigen der Auslegung. Man muss Gesetze erklären und ergänzen. Das erfolgt durch Juristen. Aber selbst Juristen sind nicht gegen Ideologie und Populismus immun“, erklärt Dörrenbächer das Problem. Man könne also bloß für das Thema sensibilisieren: „Denn nur Juristinnen und Juristen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und sich zu den Werten bekennen, die das Grundgesetz vorsieht, sind ein Schutzwall gegen Rechtsmissbrauch.“