Erster Geschichtsschreiber des „Blieslandes“
Franz Karl Dercum ( geboren 1763) sammelte leidenschaftlich historische Fundstücke und stellte sie in seinem Hanggarten am Stadtrand von Blieskastel effektvoll zur Schau.
Herkules im Kampfe mit dem Nemäischen Löwen und dessen Wegführung des Cerberus aus dem Hades – man fand diese Steintafel auf einer Allmende des Dorfes Bierbach. Von da ließ es der Friedensrichter Dercum in seinem Garten einmauern: Gleich mehrfach fällt dieser Name in jener 1852 erschienenen Dokumentation, die sich mit den Funden aus römischer Zeit im Königreich Bayern befasst. „Ein Achilles, der von Odysseus unter den Töchtern des Lycomedes aufgefunden“, „Diana im Bade, von Aktäon belauscht“sowie ein „Krieger mit seinem Köcher“– alle in Bierbach gefunden – stehen ebenfalls auf der Liste und werden als der „Dercumschen Sammlung zugehörig“genannt.
Franz Karl Dercum sammelte derlei „Alterthümer“nicht nur leidenschaftlich, er stellte sie in seinem Hanggarten am Stadtrand von Blieskastel zudem effektvoll zur Schau. Es war ihm daneben sehr daran gelegen, die antiken Fundstücke wie auch die Geschichte der Region kenntnis- und detailreich zu beschreiben. Ihn als Archäologen zu bezeichnen, der mit der Akribie dieser wissenschaftlichen Disziplin im heutigen Sinne systematisch nach den Spuren der Vergangenheit gegraben hat, geht sicherlich zu weit. Sein profundes Wissen, das einherging mit intuitivem Spürsinn und intensiver Kontaktpflege mit den Menschen auf dem Land, machen ihn aber zweifelsohne zu einem der Pioniere der Altertumskunde, wie sie vor mehr als 200 Jahren regelrecht in Mode kam. Seine zahlreichen Arbeiten brachten ihm den Ruf ein, einer der ersten „Geschichtsschreiber des Blieslandes“zu sein, wie es in einer 1929 erschienenen Biografie über ihn heißt.
Franz Karl Dercum wurde am 16. Mai 1763 auf Schloss Adendorf in der Eifel, 25 Kilometer südlich von Bonn gelegen, geboren. Sein Vater war Beamter in Diensten des Herrscherhauses von der Leyen. Nachdem der Leyenhof seine Residenz von Koblenz nach Blieskastel verlegt hatte, erhielt er dort 1788 als Kanzlei-Sekretär eine Anstellung im Verwaltungsdienst. Im Jahr darauf begann seine Tätigkeit im Archiv des Adelshauses, eine Beschäftigung, die in ihm vermutlich die Passion für die Geschichtsforschung weckte. 1792 wurde er offiziell zu Archivar befördert, wobei er sowohl bei
Reichsgräfin Marianne von Leyen als auch bei ihrem Sohn Prinz Philipp in hohem Ansehen stand. Die nun auf die saarpfälzische Region übergreifende Französische Revolution und die jahrzehntelangen Turbulenzen, die sie nach sich zog, bestimmten fortan das Leben von Dercum.
Von Westen her waren die Revolutionsarmeen bereits im Anmarsch, als er im Herbst 1792 die Order bekam, alle Papiere zu packen und für den Abtransport fertig zu machen, die für die Leyen-Herrschaft von rechtlicher Bedeutung waren. Während ein Teil der Akten bei Nacht und Nebel auf die Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz gebracht wurden, war Dercum damit befasst, für wichtige Schriftstücke an Ort und Stelle Verstecke zu finden. In vier verschiedenen Varianten wurden die Papiere gesichert – so wurde beispielsweise das „Geheimarchiv“zusammen mit dem wertvollen Tafelservice in einem ungenutzten Kamin eingemauert. Bei Bürgern in der Stadt wurden außerdem einige „extravagante Piecen“in Sicherheit gebracht. Nachdem die Revolutionstruppen in der Schlacht von Biesingen am 17. November 1793
endgültig die Oberhand gewonnen hatten und das Ende der Herrschaft von der Leyen nicht mehr abzuwenden war, ergriff Franz Carl Dercum die Flucht. In Heidelberg fand er mit seiner „hoffenden Frau“Anna Regina Weidmann Obdach bei einem Onkel. Erst im Mai 1796 konnte er nach Blieskastel zurückkehren, wo er sich in seinem ausgeplünderten Haus notdürftig einrichtete.
Von seinem vorherigen Dienstherrn Philipp von der Leyen erhielt er aus dem Exil wieder die Aufgabe, die verbliebenen Archivalien zu ordnen, was er in Zusammenarbeit mit den neuen französischen Machthabern Zug um Zug erledigte. Da er von seinem spärlichen Salär und seinem schwindenden Vermögen allein nicht leben konnte, versuchte er, mit Viehzucht, Ackerund Gartenbau über die Runden zu kommen. Erst als 1798 die linksrheinischen Gebiete offiziell Teil von Frankreich wurden und Dercum bei
der Wahl der „juges de paix“, der Friedensrichter, als Beamter in den französischen Staatsdienst wechselte, besserte sich die Situation.
Sein Verhältnis zu den knapp über 10 000 Bewohnern in den 22 Ortschaften des neuen Kantons Blieskastel im „Departement de la Sarre“wird als gut beschrieben, selbst wenn er von Fall zu Fall bisweilen strenge Urteile fällte – etwa bei Diebstählen, die ehemals gräfliches Eigentum betrafen. Aus den so entstehenden Kontakten zu den „einfachen Leuten“auf den Bliesgau-Dörfern und dem Wissen um deren Probleme entstanden aus seiner Feder eine Reihe von Ratgebern: „Das Baumbuch, oder Zusammenstellung der heimatlichen Obstbäume und Beerensträucher“(1796), „Gedanken über Verbesserung des Frucht- und GrundbirnBrandweins“oder „Fortlaufende Bepflanzung der Äcker mit Früchten, welche auf dem leicht gemischten mittleren Boden stat haben kann“(beide 1809) waren solche Anleitungen. Aufgrund dieses Engagements wurde Dercum als Mitglied der „Gesellschaft für nützliche Forschungen im Saar-Departement“berufen.
War Dercum bis lange nach der Revolution ein ergebener Diener der adeligen Leyen-Herrschaft gewesen, so arrangierte er sich alsbald mit den neuen Verhältnissen, zumal er mit seiner Erfahrung und seinem Wissen für die französische Verwaltung unverzichtbar war. Er wurde sogar zum Anhänger Napoleons, die Reden des „Kaisers der Franzosen“soll er allesamt regelrecht verschlungen haben. In diese Zeit fällt 1803 der Bau des Schlangenbrunnens zu Ehren Napoleons in Blieskastel.
Welche Rolle dem Friedensrichter dabei zukam, ist nicht untersucht. Und nun begann er mit der Anlage seines Antikengartens unterhalb der Anhöhe „Auf der Agd“. An diesem Steilhang, über dem heute die evangelische Kirche thront, inszenierte er die Funde aus der Römerzeit, die er selber gemacht hatte oder die ihm gebracht worden waren. Auch spektakuläre Mineralien präsentierte Dercum dort. Der Garten, der zuvor zum reichsgräflich leyenschen Besitz gehört hatte, stand Interessierten jederzeit zum Besuch und zur Besichtigung zur Verfügung – „dem Freunde offen“steht entsprechend auf einem Sandsteinquader zu lesen, der sich in der verwunschenen Anlage erhalten hat.
Zwei schmucke Sitzbänke aus Buntsandstein stehen heute, hübsch unter Glyzinien-Laubengängen platziert, im Barockgarten hinter dem Edelhaus in Schwarzenacker. Zudem war ihm daran gelegen, seine Erkenntnisse zu dokumentieren, wie seine zahlreichen Aufzeichnungen – etwa die „Sammlung deren Vaterländischen Denkmälern im Kanton Blieskastel Saar-Departement“– zeigt. Darin skizziert Dercum detailliert die römischen Relikte,
Ruinen und die noch vorhandenen Überbleibsel früherer Zeiten in der Region: die Menhire Gollenstein und Spellenstein, die Entwicklung des Blieskasteler Schlosses. Die Klöster in Ensheim, Gräfinthal und Wörschweiler hielt er mit sicherer Hand zeichnerisch fest.
Nach dem Ende der napoleonischen Epoche und dem Anschluss der Pfalz an das Königreich Bayern blieb Franz Carl Dercum auch für das neue Gemeinwesen ein unverzichtbarer Staatsdiener. Dass er unter den abermals geänderten Vorzeichen gefügig seinen Dienst verrichtete, etwa als Bürgermeister von Ensheim, stieß freilich auf Unmut. Er sah sich mancherlei Anfeindungen ausgesetzt, sein Antikengarten wurde 1821 verwüstet. Er starb – verbittert – am 3. Mai 1825 als „königlich-bayerischer Friedensrichter“und wurde auf dem Blieskasteler Friedhof beerdigt. Sein bald 200 Jahre alter Grabstein hat sich dort bis heute erhalten, allerdings ist die einstige Inschrift verwittert und nicht mehr zu entziffern.