Ein Rasen, der Geschichte geschrieben hat
Seit September 2020 liegt der Rasen der Schande im Saarbrücker Ludwigspark. Wir zeichnen seine Geschichte nach. Die erklärt ein wenig, warum er wurde, wie er ist: unbespielbar.
Männer kämpfen im böigen Regen gegen die Naturgewalt Wasser: Die Bilder der Stadtmitarbeiter, die am Mittwochabend unter Flutlicht mit Laubbläsern über den Ludwigspark-Rasen laufen, sind nahezu ikonisch. Immer wieder gehen die Männer in Reihe hin und her, blasen mit ihren Maschinen Wassernebel aus dem durchtränkten Spielfeld vor sich her. Und von oben kommt immer mehr Regen. Sie erinnern ein wenig an Sisyphos. Sie können es nicht ändern. Der Rasen im Ludwigsparkstadion ist abgesoffen. Das DFB-Pokal-Viertelfinalspiel des 1. FC Saarbrücken gegen Borussia Mönchengladbach kann nicht stattfinden. Ein „großer Imageschaden für die Stadt“, sagt Oberbürgermeister Uwe Conradt (CDU). Das Schlimme dabei: Der Imageschaden war absehbar.
Die Rasengeschichte beginnt grundsätzlich mit der Wahl von Conradt zu Saarbrückens Oberbürgermeister (OB) im Oktober 2019. „Baustopp-Uwe“– so nennen ihn die FCS-Fans damals, weil er als Fraktionsvorsitzender der Stadtrats-CDU mal eine Baumaßnahme im Ludwigspark stoppen wollte. Weil die Kosten aus dem Ruder liefen.
Nach der Wahl – aber noch vor seiner Amtsübernahme – erklärte er bereits im Sommer 2019 die Baustelle „zur Chefsache“, wie er damals sagt. Gleich an seinem zweiten Arbeitstag als Oberbürgermeister im Oktober 2020 hat er morgens am Stadion einen Termin. Aus „Baustopp-Uwe“soll „Fertigbau-Uwe“werden. Der Uwe, der den Stadion(um)bau zu Ende bringt.
Vier Jahre läuft der Umbau damals schon – auch aus dem Kostenruder. 16 Millionen Euro waren politisch veranschlagt, als Conradt 2019 die Baustelle als OB übernimmt, steht der Kostenzähler bereits auf 41 Mil
lionen Euro. Und er hat noch nicht zu Ende gerechnet. Zu viel läuft offenbar schief.
Zum Beispiel meldet die Stadt im Februar 2020, dass sie weitere 5,5 Millionen Euro brauche, unter anderem für einen neuen Rasen. Dabei könne man zudem eine Rasenheizung verbauen, die ist in der 3. Liga ohnehin vorgeschrieben. Der FCS spielte damals noch in Liga vier, der Regionalliga Südwest, und hatte den Aufstieg im Visier. Und sollte ihn auch schaffen.
Das erste Heimspiel der 3. Liga sollte im „Corona-Spielplan“erst Ende September 2020 stattfinden. Die SZ recherchiert damals einen vertraulichen Zeitplan der städtischen Entwicklungsgesellschaft GIU (Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung), die den Stadionbau betreut. Laut dem Papier soll die Stadionrenovierung erst Ende März 2021 komplett abgeschlossen sein.
Zu spät für Conradt? Er ernennt im Juli 2020 Martin Welker zum neuen Geschäftsführer der GIU – und damit zum Baustellenchef. „Bau nur das,
was du auch bauen kannst. Oder hol` dir Experten, die es dann zusammenhängend machen“, resümierte der Oberbürgermeister auf der Pressekonferenz. Welker ist Rechtsanwalt, gilt damals als enger Vertrauter des Oberbürgermeisters, arbeitete zuvor bereits über 20 Jahre als freier Bau-Experte für die GIU. Er ist inzwischen nicht mehr im Amt. Gegen ihn laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft (wir berichteten).
Seine Aufgabe ist es damals auch, die Arbeiten am Rasen zu koordinieren. Nur die obersten Schichten sind neben der Rasenheizung damals in der Ausschreibung. Das Grünamt der Stadtverwaltung geht nach SZ-Infos damals davon aus, dass bei der letzten Rasengrundsanierung im Jahre
2000 eine Rohr-Drainage verbaut worden sei. Diese Annahme sollte sich später als falsch herausstellen.
Nur einen Monat später, an einem Freitag im August 2020, kündigt Conradt an: „Der 1. FC Saarbrücken ist nicht mehr heimatlos. Wir werden noch in diesem Jahr Spiele im Ludwigsparkstadion sehen.“Am Montag, 14. September 2020, wiederholt er dies, erklärt, dass der FCS zu seinem ersten Heimspiel am 26. September in der 3. Liga gegen Hansa Rostock in den Ludwigspark zurückkehren kann.
Da liegt aber noch kein Rasen im Stadion. Und es gibt einen Rechtsstreit mit der Rasenbaufirma, die die Arbeiten niederlegt. Doch Welker besorgt eine neue Firma, sie schaffen es, ein paar Tage vor Anpfiff des Heimspiels gegen Hansa Rostock liegt der Rasen und sieht top aus. Noch. Das Spiel hat wegen Corona nur 900 Zuschauer. Darunter auch Uwe Conradt. Sein Versprechen hat er gehalten.
Doch nach nur vier Spielen säuft der Rasen zum ersten Mal ab. Baustellen-Chef Martin Welker lässt damals über eine Pressemitteilung der Stadt Saarbrücken mitteilen: „Die Beregnungsanlage funktioniere nur teilweise, die Rasenheizung gar nicht.“Und die Entwässerung des Platzes sei funktionsuntüchtig. Welker wirft damals der zuerst beauftragten Gartenbaufirma grobe Fehler beim Verlegen vor.
Ein Gutachter schaut sich damals den Rasen an, bestätigt, dass das Wasser auf Teilen des Platzes nicht so versickert, wie es sollte. Der Verdichtungsgrad sei zu hoch. Das könnte auch vom Einsatz von schwerem Gerät kommen, heißt es damals. Und: Die vermeintlichen Drainage-Leitungen unterhalb des neuen Rasenplatzes sind nicht vollständig vorhanden, reichen lediglich 1,5 Meter ins Spielfeld hinein. Normalerweise laufen sie bis zur Mitte des Feldes.
Die Stadt beschließt damals – angeblich entgegen dem Rat von Welker – keine Rohre zu verbauen, sondern Lanzen in den Platz zu rammen, die die wasserundurchlässige Schicht durchlöchern, so dass das Wasser in die unteren Schichten komme. Ergebnis: „Nach der Sanierung mit der Hochdruck-Lanze hatten wir nun 2,5 Jahre auch nach starken Regenfällen keine Ausfälle“, erklärte Stadtsprecher Thomas Blug.
Bis zum vergangenen Oktober, als das Drittligaspiel gegen Dresden nach zwei Wochen Dauerregen in der Halbzeit abgebrochen werden musste, der Pokalkracher gegen Bayern München drei Tage später auf der Kippe stand. Auch damals lanzte die Stadt. Mit offenbar weniger Erfolg.
Am Mittwoch fielen nur zwölf Liter. Da geht kein Dorfsportplatz in die Knie. „Trotz aller Maßnahmen, wird der Rasen offensichtlich immer schlechter“, sagt Blug. „Er ist in einem nicht akzeptablen Zustand.“Und soll weg. Das hat der Stadtrat am Dienstag beschlossen, hat die Finanzierung mit bis zu zwei Millionen Euro abgesichert. Inzwischen ist auch das Drittligaspiel gegen Unterhaching am kommenden Sonntag im Ludwigspark vom DFB abgesagt worden. Wegen Unbespielbarkeit des Rasens. Spätestens im Sommer soll der bisherige Rasen und was davon übrig ist, Geschichte sein.