„Im Saarland hat das Bewusstsein gefehlt“
Der saarländische Sozialminister erklärt, wie er die Situation von Pflegebedürftigen unter 65 Jahren verbessern will.
Lange Zeit war die so genannte „Junge Pflege“kein Thema im Saarland. Nachdem die Consens1-Studie ermittelt hatte, dass 573 Menschen unter 65 Jahren in Altenheimen leben, weil es keine geeigneten Wohnformen für sie gibt, begann die öffentliche Diskussion. Schon jetzt ist klar, dass der Fachkräftemangel auch die „Junge Pflege“erschwert. Ilka Desgranges hat mit Sozialminister Magnus Jung (SPD) über die Möglichkeiten im Saarland gesprochen.
Herr Minister, Ende 2023 gab es in den saarländischen Landkreisen und im Regionalverband Gespräche zur „Jungen Pflege“. Was war das Ergebnis?
JUNG Bei der Thematik „Junge Pflege“muss grundsätzlich zwischen der Pflege von erkrankten Menschen und der Pflege beziehungsweise Betreuung von Menschen mit Behinderungen unterschieden werden. Bei Letzterem haben wir im Saarland bereits in allen Landkreisen Einrichtungen und Angebote, die auch auf die Pflege jüngerer Personen ausgerichtet sind. Für die Schaffung von Angeboten sind die Träger und Leistungsanbieter zuständig. Eine Reglementierung der Angebote gibt es nicht. Das Sozialministerium hat hier im letzten Jahr die Moderation des Prozesses rund um die „Junge Pflege“übernommen, um die Situation im Land zu verbessern. In der Vergangenheit hatte das Ministerium keine konkreten Bedarfszahlen zur „Jungen Pflege“. Diese werden von meinem Ministerium derzeit gesammelt; wir befragen Träger und Einrichtungen. Ziel der Regionalkonferenzen ist es, in einen aktiven Austausch mit den Beteiligten zu treten und die Träger zur Schaffung von Angeboten zu motivieren. In den Gesprächen mit den Landkreisen und dem Regionalverband Saarbrücken wird immer wieder die Frage nach der Finanzierung gestellt. Thema in allen Gesprächen ist auch die Personalknappheit. Die Gespräche haben gezeigt, dass eine große Notwendigkeit besteht, das Thema anzugehen. Nach der Auswertung der Bedarfszahlen werden wir zu weiteren Gesprächen einladen.
Eine neue Studie soll den Bedarf an Wohnmöglichkeiten für jüngere Menschen mit Unterstützungsbedarf bis 2035 ermitteln. Müssen wir befürchten, dass es bald einige Studien gibt, aber immer noch keine neuen Wohnformen?
JUNG Um ein passendes Angebot implementieren zu können, bedarf es einer aussagekräftigen und differenzierten Datengrundlage. Für den Bereich der Eingliederungshilfe wird es eine Nachfolgestudie zu Consens1 geben. Im Pflegeinfrastrukturbericht, der aktuell ausgewertet wird, wurden Zahlen zur Situation in der Pflege erhoben. Aus ehemaligen Statistiken und Erhebungen wissen wir, dass ein Großteil der jungen zu Pflegenden im Saarland zwischen 50 und 65 Jahre alt ist. Auch diese Erkenntnis ist wichtig für die weitere Planung. Mit den Erkenntnissen des Berichtes sowie der aktuellen Trägerabfrage wird sich ab Februar eine Arbeitsgruppe des Landespflegeausschusses beschäftigen. Wir kommen also voran.
Wie ist es zu erklären, dass es im Saarland – im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg oder Bayern – keine eigenen Wohn- und somit Unterstützungsmöglichkeiten für Menschen unter 65 Jahren gibt – nehmen wir die ein oder andere private Initiative mal aus?
JUNG Bevor sich der Landespflegebeauftragte und der Landesbehindertenbeauftragte wegen dieser Problematik an das Sozialministerium gewandt haben, waren lediglich Einzelfälle bekannt. Bei den genannten Bundesländern handelt es sich um Flächenländer mit einer anderen und umfangreicheren Bedarfslage. Im Saarland hat allerdings in der Vergangenheit auch das Bewusstsein für die Problematik gefehlt. Da sich in der aktuellen Legislaturperiode nun alle Akteure im Saar
land mit dieser Thematik befassen, erhoffen wir uns, das Ziel der Verbesserung der Unterbringung und Unterstützung von jungen Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen bald zu erreichen.
Die Dunkelziffer im Bereich „Junge Pflege“ist sehr hoch. Viele Eltern, die ihre Kinder daheim betreuen, sind inzwischen alt, krank und möglicherweise selbst pflegebedürftig. Die Zahl der zu Betreuenden wird also steigen. Wie bereitet sich das Land darauf vor?
JUNG Die steigende Anzahl der Pflegebedürftigen sowie das sinkende familiäre Potenzial machen es nötig, die ambulante Versorgung zu stärken und Strukturen der stationären Versorgung zu sichern. Wegen des bestehenden Fachkräftemangels im Pflegebereich favorisieren wir, in
bereits bestehenden Einrichtungen Abteilungen für „Junge Pflege“einzurichten. Doch das sind nur erste Überlegungen. Wir sind hier offen für kreative Konzeptvorschläge und bieten Einrichtungsträgern bereits jetzt Beratungsgespräche an. Notwendig ist die Schaffung neuer Angebote.
Was planen Sie nach den Gesprächen mit den Landkreisen und möglichen Trägern?
JUNG Derzeit läuft ja noch die Bedarfsabfrage bei Alten- und Pflegeeinrichtungen, bei besonderen Wohnformen der Eingliederungshilfe, dem selbstbestimmten Wohnen und bei den ambulanten Pflegediensten. Die Ergebnisse werden im März analysiert. Wir werten zudem Konzeptionen von Trägern aus anderen Bundesländern aus. Schon jetzt ist ein Spitzengespräch mit den Einrichtungsträgern im Saarland geplant, um Lösungsmöglichkeiten für die Problematik der jungen Pflege zu finden und diese gemeinsam umzusetzen.
Es gibt inzwischen einige private Initiativen für alternative Wohnformen, auch inklusive. Dürfen sie mit der Unterstützung des Landes rechnen? JUNG
Das Angebot von Beratungsgesprächen gilt selbstverständlich auch für private Initiativen. Mit zwei Akteuren stehen wir bereits seit einigen Wochen in Kontakt.