Wir brauchen die Renaissance des Reste-Essens!
Gastro-Experte Holger Gettmann berichtet über Trends und Klassiker der Gastronomie und gibt auch Tipps für Produkte, Gerichte und Restaurants.
Gegenwärtig wird fast ein Drittel aller Lebensmittel weggeworfen. Eine erschreckende Zahl, wenn man bedenkt, wie viele Menschen nicht genug zu essen haben. Riesige Felder verdorren, weil der Zugriff auf Wasser nicht geklärt ist. Plantagen werden nicht abgeerntet, da die Händler weniger zahlen als die Ernte kosten würde. Millionen von Früchten werden weggeworfen, bevor sie in den Handel gelangen. Sie entsprechen nicht der Norm oder sehen nicht schön genug aus. Da läuft einiges falsch in der Landwirtschaftspolitik dieser Welt.
Aber wir Verbraucher haben es selbst in der Hand. Vor einigen Jahren kam „Containern“auf. Überwiegend junge Menschen fischen Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten. Sie fördern Schätze zutage, die nicht mehr als „einwandfrei“gelten – aber noch prima schmecken. Das könnte ein probates Mittel gegen die Verschwendung sein, gilt aber meist als illegal. Auch private Haushalte in Deutschland werfen viel zu viel in die Tonne: schätzungsweise das Dreifache des Handels!
Was wir bräuchten, ist eine Renaissance des Reste-Essens und mehr Respekt gegenüber Lebensmitteln. Übrigens bedeutet das Mindesthaltbarkeitsdatum keineswegs das Verfallsdatum. Vertrauen wir unseren Sinnen: Riechen wir, sehen und schmecken, ob der Joghurt oder die Tomatensoße noch gut ist.
Und dann gibt es noch einen ganz anderen Weg, die Lebensmittelverschwendung direkt am Ursprung zu bekämpfen, damit sie erst gar nicht entsteht. In der Organisation „Crowd-Farming“bieten Bio-Landwirte aus 15 europäischen Ländern ihre Produkte an. Außerdem können Patenschaften für Bäume, Rebstöcke oder Tiere geschlossen werden. Die Idee dabei: Es wächst vieles, das nie geerntet wird, weil es nicht den Käufer findet oder traditionellen optischen Ansprüchen genügt. Mit dieser Verbindung zum Endkunden können sich Landwirte unabhängig von der Marktmacht der Handelsunternehmen allein von Qualitätskriterien leiten lassen und frische Waren bieten. Mich überzeugt die Idee!
Anregungen, Lob, Kritik? Sie erreichen den SZ-Kolumnisten Holger Gettmann per E-Mail: holger.gettmann@t-online.de.