Expertin fordert Recycling-Pflicht für Bauschutt
Was muss passieren, damit schnell im großen Stil klimafreundlich gebaut wird? Radikale, aber umsetzbare Ansätze stellte eine Materialkunde-Expertin aus Wuppertal bei einer Info-Veranstaltung in Saarbrücken vor, organisiert vom Bund für Umwelt und Natursch
Rund 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland fallen bei der Errichtung, Nutzung und beim Betrieb von Gebäuden an, rund ein Fünftel davon allein bei der Herstellung der Baustoffe. „Das Bauen ist der Elefant im Klima-Raum.“Mit diesem treffenden Bild startete Annette Hillebrandt, Architektin und Professorin für Baukonstruktion und Materialkunde an der Bergischen Universität Wuppertal, ihren temperamentvollen Vortrag in Saarbrücken. Hillebrandt ist auch stellvertretende Vorsitzende der Kommission Nachhaltiges Bauen im Umweltbundesamt, also eine ausgewiesene Expertin. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass die Menschheit dabei ist, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln, sollte die Ressourcenverschwendung generell, aber vor allem beim Bauen, nicht beendet werden.
Hillebrandt zitierte zunächst ein paar wissenschaftlich belegte Zahlen, um zu zeigen, wie alarmierend die Situation ist – weltweit: Zink reiche nur noch für zehn Jahre, Kupfer noch für 34 Jahre. „Das bedeutet: Effizienz beim Bauen allein reicht nicht, wir brauchen Suffizienz!“, forderte die Architektin. „Wir müssen auch Dinge lassen!“Und umdenken. „Teilen und tauschen.“Einige von Hillebrandts Vorschlägen sind radikal, vor allem für die mächtige Lobby der deutschen mineralischen Bauindustrie. Der wirft sie vor, „echtes Recycling“zu verhindern und lieber weiter umweltschädliche Verbundbaustoffe zu verkaufen und zu verbauen. Das Ziel müsse hingegen sein, sortenrein und nachhaltig zu bauen, um bei einem (am besten zu vermeidenden) Abriss trennen und dann wieder verwerten zu können. Die Schweiz mache es beim Recycling-Beton vor, verwerte über 80 Prozent gegenüber einer Quote von unter einem Prozent in Deutschland. „Und dort krachen die Häuser auch nicht zusammen!“
Heute stammen 55 Prozent der Abfälle in Deutschland aus der Bauwirtschaft. Man setzt weiter auf mineralische, kaum komplett wiederverwertbare Baustoffe und vor allem auf Beton. Dabei gäbe es Alternativen, so die Materialkundlerin. Nur ein Bruchteil des Bauschutts wird in Deutschland derzeit tatsächlich zirkulär recycled, also vollständig im geschlossenen Kreislauf wiederverwertet. 90 Prozent des Materials dagegen würden lediglich „downcycled“, kritisierte Hillebrandt. Aus hochwertigen Baustoffen wird dann bestenfalls noch Schotter. Man baut nach wie vor, vor allem mit Verbundbaustoffen, die Materialien so vermischen, dass man sie nicht mehr getrennt bekommt. Holz mit Leim, Lehm mit Plastik – die Expertin nannte viele Beispiele. Und Alternativen aus nachwachsenden, nachhaltig produzierten Rohstoffen, zum Beispiel verschiedene Hölzer, aber auch vollständig wiederverwertbare Baustoffe wie Lehmbauplatten oder Gussasphaltestrich. „Wir müssen die Wiederverwertungs-Kreisläufe schließen und den Massenstrom umdrehen. Schluss mit der Baustoffvernichtung!“
Und am besten baue man gar nicht neu. Darin waren sich die Diskutanten auf dem anschließenden Podium einig: Die Leiterin der Obersten saarländischen Baubehörde Sandra Koch-Wagner, Jens Stahnke, Vize-Vorsitzender der SaarArchitektenkammer, der Vorsitzende des BUND, Christoph Hassel, und Hillebrandt. „Wir brauchen keine neuen Wohnungen, wir müssen nur Wohnraum anders verteilen!“, sagte die Professorin. Man könne 2,4 Millionen Wohneinheiten zusätzlich im Bestand schaffen. So steht es im Baukulturbericht (2023). Indem man clever und mutig Leerstände reaktiviert, Büroimmobilien zu Wohnraum umbaut. Wohnungstauschbörsen, wie es sie in einigen Städten schon gibt, könnten das Problem ebenfalls mildern. Wer älter und alleinstehend ist, hätte vielleicht Interesse, seine überdimensionierte Wohnung gegen eine adäquate kleinere zu tauschen,
so die Idee. Dass der Traum vom frei stehenden Einfamilienhaus, über das im Saarland eine Art „Kulturkampf“ausgebrochen sei (Hassel), auch zum energetischen und städtebaulichen Albtraum werden kann, wurde ebenfalls thematisiert. Analog dazu fordert Hillebrandt „Flächentauschbörsen“, um den immer noch viel zu hohen Flächenverbrauch zu stoppen. „Wer an einer Stelle baut und versiegelt, muss dafür an anderer Stelle eine versiegelte Fläche reaktivieren“, so ihr Vorschlag.
Alle waren sich einig: Die ökologische Bauwende kann nur gelingen, wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern, Bauen wieder einfacher und Vorschriften weniger umfangreich und restriktiv sind. Dazu hatte die Leiterin der obersten Baubehörde einiges zu sagen, ist die Landesregierung doch gerade damit beschäftigt, eine neue – hart umkämpfte – Landesbauordnung
auf den Weg zu bringen, die auch den Kommunen einiges abverlangt. Zum Beispiel Neubaugebiete nur noch als Ausnahmefall. Die Kommunen sollen künftig aber auch mehr regeln können, zum Beispiel flexible Stellplatzverordnungen erlassen oder Solaranlagen auf Neubauten verbindlich vorschreiben. „Die Landesverwaltung nimmt ihre Vorbildfunktion an und hat sich auch im neuen Klimaschutzgesetz verpflichtet, bis 2035 treibhausgasneutral zu werden“, versicherte Koch-Wagner. Landeseigene Gebäude energetisch zu ertüchtigen und/oder nachhaltig zu bauen gehört dazu. Ob der geplante Abriss des Finanzministeriums in Saarbrücken hier das richtige Signal ist?
Annette Hillebrandt jedenfalls lobte die Pläne des Bauministeriums für eine „schlanke Bauordnung“, die vor allem auch die Sanierung im Bestand erleichtern und fördern soll. Auch die
just am selben Tag verkündete Verlängerung der Bundes-Förderung (762 Millionen-Euro für 2024) für gut gedämmte und klimafreundliche Neubauten sorgte für Optimismus bei den Tagungs-Teilnehmern.
Das Fazit: Ökologisch statt konventionell zu bauen ist derzeit erst mal teurer und verschreckt viele Bauleute. Dass es sich langfristig aber lohnt, sei immer noch nicht angekommen bei den Leuten. Es braucht dazu eine massive Info-Kampagne, niedrigschwellige Beratungsangebote. Sonst scheitert die Bauwende. Statt wie bisher vor allem auf die unmittelbaren Baukosten zu schauen, müsse man die Kosten eines Bauwerks über dessen gesamten Lebenszyklus – also von der Entstehung über die Betriebsausgaben bis hin zur Recyclingfähigkeit – betrachten. „Wir müssen Bauschutt verbieten!“, formulierte es Hillebrandt zum Schluss noch einmal erfrischend radikal.