Kneipe „Odeon“muss nach 35 Jahren schließen
Die Saarbrücker KneipenSzene verliert eine Institution. Das „Odeon“am St. Johanner Markt schließt bereits an diesem Samstag.
Am frühen Dienstagabend herrscht eine wunderbare Stimmung im Odeon am St. Johanner Markt. Der kleine Laden, halb Kneipe, halb Café, ist gut besucht, alle Tische sind besetzt. Stimmengewirr, Musik, Gläser klirren. Am Fenster gönnt sich ein Paar eine Flasche Champagner, weit hinten unterhalten sich zwei Studentinnen angeregt. Nichts deutet darauf hin, dass hier bald Schluss sein könnte. Schluss mit lustig. Schluss mit einem Lebenswerk. Sehr bald schon. Diese Woche noch!
Am Samstag, so erzählt es Chef Michael Bäumer, ist der letzte Tag des Odeon. Der allerletzte Tag nach 35 Jahren! Am 1. Mai wären es 36 geworden. Im Laufe unseres Gesprächs hat einer der dienstältesten Wirte am Markt Tränen in den Augen. Der nahe Abschied setzt ihm zu. Und die äußerst ungewöhnlichen Umstände. „Letztendlich sind wir Opfer von Habgier geworden. Anders kann man es nicht ausdrücken“, sagt Bäumer. Dass das Aus vorwiegend auf schwierige familiäre Verhältnisse zurückzuführen sei, sei „das Schlimmste und Enttäuschendste“.
Das Haus, in dem das Odeon be
heimatet ist, so erzählt es Bäumer, habe seinen Eltern gehört. Eigentlich habe es eine Regelung gegeben, dass er nach ihrem Tod ein Vorkaufsrecht darauf hat. Die Eltern leben noch, und es habe bis zuletzt gute Gründe gegeben, davon auszugehen, dass das Haus in Familienbe
sitz bleiben wird. Dann aber seien Investoren aufgetaucht, die den Eltern ein „lukratives Angebot“gemacht hätten.
Ohne Rücksprache mit ihm, so erzählt es Michael Bäumer, sei das Haus dann tatsächlich verkauft worden. Damit gingen auch alle frühe
ren Vereinbarungen über Bord. „Wir konnten den Verkauf nicht verhindern“, betont Bäumers Sohn Niclas, der im Odeon aufgewachsen ist, zehn Jahre jünger ist als die Kneipe und „schon als Vierjähriger hinterm Tresen rumturnte“.
Der Sohn sagt, man sei „ins offene
Messer gelaufen, weil wir uns nicht abgesichert haben“. Weil man gedacht habe, sich gegen die eigene Familie nicht absichern zu müssen. Mitte Dezember sei man dann vor vollendete Tatsachen gestellt worden, sagt Michael Bäumer, jüngst 60 geworden: „Das war extrem kurzfristig. Wir wussten, dass uns nur noch zehn Wochen bleiben.“Es sei fast wie die Diagnose einer schlimmen Krankheit gewesen, man sei mitten aus dem Leben gerissen worden.
Dass sie weitermachen können, war sehr schnell vom Tisch. Die neuen Eigentümer, angeblich Investoren aus dem Nordsaarland, hätten eine „vollkommen unrealistische Miete“aufgerufen für die rund 50 Quadratmeter (in die womöglich eine Cocktailbar einziehen wird). Deshalb geht am Markt nun eine Ära zu Ende. Nicht wegen Corona, nicht, weil der Laden nicht läuft, nicht, weil in Saarbrücken nix mehr los wäre – sondern wegen familiärer Streitigkeiten. Bäumer betont: „Wir sind gezwungen, aufzuhören. Das ist nicht freiwillig oder weil wir einen goldenen Handschlag bekommen haben.“
Die vielen Stammgäste seien „fassungslos und traurig“, sagt Bäumer. Sein Sohn ergänzt: „Für viele war das Odeon eine Institution, ein zweites Wohnzimmer. Man merkt den Gästen an, wie wir die Leute berührt haben, das war hier auch ein sozialer Dreh- und Angelpunkt, hier war jeder willkommen.“Karsten, ein Stammgast, sagt auf Nachfrage, es sei „wirklich schade, dass zugemacht werden muss“. Für ihn gebe es am Markt nicht viel, „wo man hingehen kann“.
Ins Odeon mit seiner antiken Theke aus Paris und dem typischen Schachbrettmuster-Boden gingen viele gern hin in den vergangenen Jahrzehnten. Erst war es eine reine BierKneipe, dann eine Wein-Bar, das Bier kam wieder, das Publikum wandelte sich mehrfach. „Es sind noch einige Uralte da aus den Anfangsjahren“, sagt Bäumer und lächelt: „Und natürlich viel junges Publikum.“Viele Höhen und Tiefen habe es gegeben, im Odeon seien Ehen geschlossen und geschieden worden. Alles vorbei.
Was geschieht jetzt? Die gesamte Einrichtung werde abgebaut, jede Leuchte, jedes Regal, es werde nichts verscherbelt, sondern alles eingelagert. „Was damit passiert, wissen wir noch nicht.“Bis Samstag ist noch geöffnet, am letzten Tag soll „open end“Abschied gefeiert werden. Man hoffe natürlich, dass nochmal viele Leute kommen, sagt Bäumer und gesteht: „Vielleicht werden auch Tränen fließen.“
„Wir sind gezwungen, aufzuhören. Das ist nicht freiwillig oder weil wir einen goldenen Handschlag bekommen haben.“Michael Bäumer Chef des Odeon