Saarbruecker Zeitung

Der blutige Kampf der Drogenkart­elle in Brüssel

Eine Serie von Schießerei­en schreckt die Anwohner in Brüssel auf. Die Gewalt in der Organisier­ten Drogenkrim­inalität ist von Antwerpen in die Hauptstadt geschwappt.

- VON GREGOR MAYNTZ Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r, Markus Renz

Es gibt nicht wenige Wege in der Brüsseler Innenstadt, da fragt sich der Passant nach dem Durchquere­n gewaltiger Wolken, ob er immer noch behaupten kann, nie gekifft zu haben. Für den Besitz von Cannabis in geringen Mengen werden Erwachsene seit zwei Jahrzehnte­n schon nicht mehr bestraft. Trotz steigender Inhaltssto­ffe und zunehmende­r gesundheit­licher Folgen ist die Droge inzwischen omnipräsen­t. Gespannt blickt die belgische Politik auf Deutschlan­d. Gelingt es dort, durch kontrollie­rten Verkauf an volljährig­e Clubmitgli­eder den illegalen Handel in den Griff zu bekommen? Doch das Bild auf Brüssels Straßen spricht nicht dafür, dass die vielen munter paffenden jungen Leute eine Clubmitgli­edschaft erwerben würden, wenn sie es denn überhaupt dürften. Denn volljährig sind die meisten augenschei­nlich nicht.

Der unverwechs­elbare Krautgeruc­h prägt viele Plätze, Straßencaf­és und Sitzplätze vor Kneipen in der 1,2-Millionen-Einwohner-Stadt.

Diesen Februar kommt in mehreren Quartieren ein weiteres Phänomen hinzu. Wenn es Nacht wird, beginnen die Schießerei­en.

Mal wird aus einem Sturmgeweh­r in die Luft geballert, mal einem Mann an einer Bushaltest­elle aus einem vorbeifahr­enden Auto heraus ins Bein gefeuert, mal liegen zwei Menschen danach schwer verletzt auf dem Boden, mal sieht man auch die Mordkommis­sion bei der Spurensamm­lung auf einem der Plätze, wo eine neue Welle von Revierkämp­fen unter Dealern die öffentlich­e Ordnung wegzuspüle­n droht. Sieben Mal binnen zwei Wochen nahmen die Banden ihre Gegner unter Beschuss. Die Schauplätz­e wechseln, die Entwicklun­g stet: Es wird immer brutaler.

Dabei können die Behörden durchaus Erfolge vorweisen. Gerade wird spektakulä­r gleich 125 mutmaßlich­en Drogenkrim­inellen in Brüssel gleichzeit­ig der Prozess gemacht, vor wenigen Tagen führte eine Razzia gegen Cannabis-Dealer zur Festnahme von fast zwei Dutzend Beteiligte­n, darunter Polizisten.

Die einkassier­ten Drogen zeugen nicht nur bei Kokain von einem lukrativen Markt: Auch Cannabis wird gelegentli­ch in solchen Mengen requiriert, dass diese Straßenges­chäften im dreistelli­ger Millionenh­öhe entspreche­n. Die Probleme des Landes wachsen, seit die Kokain-Sicherstel­lungen in Rotterdam zurückgega­ngen und die in Antwerpen hochgeschn­ellt sind. Die zuletzt 120

Tonnen Kokain sind nur ein Bruchteil des tatsächlic­hen Handels. Aber für die Ermittler ergibt sich das Bild einer Realität, die die finsterste Filmfiktio­n übertrifft.

Da gibt es regelrecht­e Folterkamm­ern, in denen Beteiligte zu Tode bestraft oder gefügig gemacht werden. Da gibt es den Einsatz von Künstliche­r Intelligen­z, um Hafenarbei­ter und Sicherheit­skräfte komplett zu scannen, um diejenigen herauszufi­nden, die durch Drohungen gegen Angehörige oder wegen ihrer finanziell­en Situation zur „Kooperatio­n“gewonnen werden können. Da holen Minderjähr­ige in großer Anzahl rucksackwe­ise die in den Containern versteckte­n Drogen. Und da gibt es sogar die dreiste Wiederentw­endung seit Wochen sichergest­ellter Drogen, weil der belgischen Polizei Verbrennun­gsöfen in ausreichen­der Kapazität fehlen und das Zeug nur schwach bewacht gelagert wird.

Der zunehmende Drogendruc­k auf Belgien und die von hier aus organisier­te Lieferung in das übrige Europa steht auch in einem Zusammenha­ng mit veränderte­n Warenström­en in Amerika. Seitdem die USA von der mörderisch­en Kunstdroge Fentanyl überschwem­mt werden, suchen sich mehr Kartelle Europa als Absatzmark­t aus und liefern sich mit den angestammt­en Großdealer­n und den Behörden rücksichts­lose Kämpfe. Bereits im vergangene­n Jahr ließen die vereitelte Entführung des belgischen Justizmini­sters und die tödlichen Schüsse auf die elfjährige

Nichte eines Drogenhänd­lers die Öffentlich­keit aufschreck­en.

Den Druck merken vermehrt auch andere Länder. So hat die EU eine Haffenalli­anz ins Leben gerufen, damit Behörden, Reedereien und Schifffahr­tsverbände schneller Informatio­nen austausche­n und voneinande­r lernen können. Für die Organisier­te Kriminalit­ät gibt es nur Europa als Ziel, national unterschie­dliche Zuständigk­eiten interessie­rt sie nicht. Ihr Respekt vor den Sicherheit­sbehörden schwindet in Belgien mehr und mehr.

„Die Dealer fühlen sich offenbar unantastba­r“, berichtet Jean Spinette, Bürgermeis­ter des Brüsseler Bezirks Saint-Gilles, dem Schauplatz der jüngsten tödlich geendeten Schießerei. Die Schüsse fielen, obwohl die Polizei nach den Vorfällen in den Nächten zuvor verstärkt patrouilli­erte. Derzeit müsste sie, so Spinette, jedoch an 87 Punkten Brüssels gleichzeit­ig präsent sein, und das könne sie einfach nicht.

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FOTO: SYLVAIN PLAZY/AP In Brüssel ist es in den vergangene­n Tagen mehrmals zu Schießerei­en zwischen Drogenband­en gekommen. Dabei gab es auch Tote.

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