Im Dschungelbuch zu Gast
Sri Lanka punktet mit überbordendem tropischem Grün, verwunschenen Ruinen und tropischem Grün.
9531 Kilometer trennen Portugals Hauptstadt Lissabon auf direkter Flugroute von der Portugiesen-Festung Galle ganz im Süden der Insel Sri Lanka. Als Lourenço de Almeida, der Sohn des Vizekönigs von Portugiesisch-Indien, im Jahr 1505 mit seiner Flotte von einem fürchterlichen Monsunsturm in den Isthmus abgetrieben wird, haben die Männer noch einen weitaus längeren Weg rund um Afrika und das erst wenige Jahre zuvor entdeckte Kap der Guten Hoffnung hinter sich. Doch in nur wenigen Jahren schaffen sie in der weit entfernten Fremde Vertrautes: Eine Festungsstadt mit mächtigen Bastionen benannt nach Sonne, Mond und den Sternen. Die sieht man schließlich auch hier am Himmel. Und ein vielleicht mitgebrachter Hahn – portugiesisch „Gallo“– kräht auch auf der Tropeninsel vor Tau und Tag die Leute aus dem Bett und könnte der Stadt ihren Namen eingebracht haben.
Ein halbes Jahrhundert später wird ein Bummel durch die Moorse Kramerstraat, die Church und die Hospitalstreet mit ihrem Kopfsteinpflaster, den bunten Häusern der Offiziere und Händler, dem Platz mit den riesigen Banyanbäumen vor dem Gerichtsgebäude und der schneeweißen Groote Kerk zu einer Zeitreise durch die Kolonialgeschichte. Ganz am Ende am Point Utrecht weist seit 1938 ein Leuchtturm oberhalb des weißen Strandes Seeleuten den Weg in den Hafen. Fast wähnt man sich in Europa, wären da nicht die schwüle Hitze von selten weniger als 30 Grad und die vielen tropischen Früchte an den Marktständen. Die tropischen Schätze waren es auch, auf die erst
Portugiesen, später Holländer und Briten vor allem aus waren. Die Rinde des Zimtbaumes und die Körner des Pfefferstrauchs, Elfenbein der wilden Elefanten oder Edelsteine aus dem nahen Ratnapura versprachen reichen Gewinn. Heutige Besucher reizt vor allem die üppig-grüne Vielfalt der Insel, die sie auf Schritt und Tritt umgibt wie in einem riesigen liebenswert verwilderten Botanischen Garten.
Dazu gehörten allein 18 Bananensorten, schwärmt Sunil Haputhanthiri, der seit vielen Jahren deutschen Gruppen voller Stolz seine Insel zeigt. Außerdem wachsen Jackfrucht, Sternfrucht, Mangos, Papayas und die gelben Kokosnüsse. „Fast jeder hat ein paar Obstbäume im Garten“, sagt Sunil, „hungern muss hier niemand, auch wenn die
Wirtschaft schwächelt“. Statt eine Töpferei oder andere Kunsthandwerker zu besuchen, bleibt man da auch schon mal einfach draußen und beobachtet die Flughunde in den Kronen der tropischen Bäume oder die Ceylon-Hutaffen bei der morgendlichen Fellpflege. Vereinzelt stehen Bauern in den überfluteten Reisfeldern und mit etwas Glück schaut auch mal ein Elefant aus dem Unterholz an der Straße vorbei.
Im Yala Nationalpark östlich von Galle kommt dann endgültig „Dschungelbuch-Feeling auf. In den Monsunwäldern und Küstensümpfen grasen Wasserbüffel und Axishirsche. Im Wasser lauern Sumpfkrokodile und Bengalenwarane. Blaue Pfauen sitzen in abgestorbenen Ästen und ein grüngelber Bienenfresser posiert direkt neben der schlammigen Piste. Eine Autoschlange weist hingegen auf einen besonderen Bewohner hin: Nach 45 Minuten Wartezeit sprintet ein Ceylon-Leopard durch den Abgasnebel der Geländewagen über die Piste. 30 der scheuen Großkatzen soll es noch im Park geben.
Früher dürfte es wie auf dem indischen Subkontinent auch Löwen auf der Insel gegeben haben. Nur so erklärt sich, wieso König Kassapa im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine riesige Löwenskulptur in den Lavadom eines prähistorischen Vulkans meißeln ließ. Durch das Maul des Raubtiers mussten eingeschüchterte Besucher die Festung auf dem Plateau des markanten Felsens erklimmen. Eine größere Machtdemonstration ist kaum denkbar. Kassapa, dem un
ehelichen Sohn und Vatermörder, half aber selbst dieser Schutz nichts, erzählt Haputhanthiri, 18 Jahre nach seiner Flucht sei Kassapas Halbbruder Moggallana mit einer Armee aus dem Exil in Südindien zurückgekehrt und habe den Thronräuber zum Teufel gejagt.
Von der Löwenstatue sind nur die riesigen Hintertatzen geblieben, zwischen denen hindurch Touristen und Einheimische in einer endlosen Prozession über schwindelerregende Leitern und Eisenstege aufs Plateau der Ruinenstadt gelangen. Wie luxuriös das Leben hier oben auf dem Löwenfelsen Sigirya einst gewesen sein dürfte, zeigen die Fresken üppig geschmückter barbusiger Frauen. Einst sollen mehr als 500 dieser Wolkenmädchen, die auf Wolken hoch über dem Erdboden zu lagern scheinen, die Anlage bevölkert und die Fantasie der Männerwelt beflügelt haben. Heute sind noch 22 erhalten und werden streng bewacht.
Die tiefe Religiosität vieler Singhalesen hat sich im nahen Dambulla fast im Zentrum der Insel zu Stein manifestiert. Während im Norden bei den Tamilen der Hinduismus dominiert, sind in der Mittte und im Süden vor allem Buddhisten zu Hause, durchmischt mit muslimischen und christlichen Minderheiten. Wieder einmal hatte sich ein legitimer König vor einem Thronräuber verstecken müssen. Zum Dank für sein glückliches Exil in einer Höhle stiftete er ein buddhistisches Heiligtum. 80 Höhlen wurden vor 2000 Jahren in den Felsen getrieben und kunstvoll bemalt mit Szenen aus dem Leben des Erleuchteten.
Fünf sind noch zu sehen, vollgestopft mit erlesener Kunst und viel Blattgold, das im Halbdunkel geheimnisvoll schimmert. Am Fuß des 300 Meter hohen Berges leitet ein moderner Dagoba als stilisierter Weltberg in Form einer Käseglocke über einem Schrein die Energie des Universums auf die Buddhisten. Dahinter blickt ein goldener Buddha grimmig in die Welt von heute. „Buddha hat gesagt: Machen Sie lieber ihre schlechten Gedanken kaputt als die Bäume im Wald“, zitiert Sunil Haputhanthiri. Womöglich ist Buddha sauer, weil so wenige auf ihn hören. Immerhin hat der blutige Bürgerkrieg, der Sri Lanka über 25 Jahre lang lähmte, seit 2009 ein Ende und die Insel kann ihre tropischen Trümpfe voll ausspielen.