„Konservative gucken sehr wohl nach rechts“
Katarina Barley aus Trier führt die SPD in die EUWahl. Im SZ-Redaktionsgespräch erklärte sie, welche Vorteile die EU den Menschen bietet, mit welchen Argumenten ihre Partei bis zum 9. Juni Wähler mobilisieren will und was sie von EU-Atomwaffen hält.
Wenn Katarina Barley durch Deutschland und Europa reist, hat die Vizepräsidentin des EU-Parlaments ständig ein kleines Säckchen mit unterschiedlichen Ladekabeln dabei. Dass es bis Ende 2024 ein EU-einheitliches StandardKabel für alle Handys, Kameras und Kopfhörer geben wird, dafür hat die Europäische Union mit ihrer Funkanlagen-Richtlinie gesorgt.
Für Barley, die als Spitzenkandidatin der Bundes-SPD in den EUWahlkampf zieht und am Mittwoch unter anderem in der Saarbrücker Staatskanzlei und in der Stiftung Demokratie Saarland zu Gast war, ist das ein kleines Beispiel dafür, wie die EU das Leben der Menschen vereinfachen und verbessern kann. Im Redaktionsgespräch bei der Saarbrücker Zeitung zählt die 55-jährige Juristin aus Trier weitere auf: die Abschaffung der Roaming-Gebühren beim Telefonieren ins Ausland oder – ganz aktuell – das Verbot von Gebühren für Sofortüberweisungen.
Die Vorurteile über Brüssel würden hingegen von den nationalen Politikerinnen und Politikern gerne gepflegt. So werde die Bürokratie oft gar nicht von Brüssel verursacht, sondern bei der Ausführung von EUVorschriften durch Bund, Länder und Kommunen. Die vielkritisierte Datenschutzgrundverordnung zum Beispiel sei nach Ansicht der Experten ein „ausgezeichnetes Gesetz“, doch leider sei Deutschland auf die Idee gekommen, die Umsetzung 16 Datenschutzbeauftragten zu überlassen. „Daran ist aber nicht Europa schuld“, sagt Barley.
Bei der Frage, warum Menschen am 9. Juni zur Europawahl gehen sollten, wird die Deutsch-Britin kurz emotional. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU sei die Situation dort „schlimmer, als man es ja dargestellt bekommt“, berichtet die ehemalige Bundesfamilienund Bundesjustizministerin. „Sie können teilweise die Strände nicht mehr benutzen, weil europäische Umweltvorschriften weggefallen sind.“
Es gebe in Europa sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber, was die EU sein soll. „Wir wollen, dass Europa ein wichtiger globaler Player ist, den Menschen aber auch konkrete Vorteile bietet“, sagt Barley. Wenn gesagt werde, dass Europa nur ein Wirtschaftsraum sein solle, sei das schon historisch falsch. „Gleicher Lohn für Männer und Frauen ist schon in den Römischen Verträgen von 1957 verankert“, sagt Barley. „Es war von Anfang ein soziales Projekt.“
Deshalb muss es sie es erst recht stören, wenn die AfD ein „Europa der Vaterländer“propagiert. „Wenn jedes Land nationale Alleingänge durchziehen würde“, sagt Barley, „stellt man sich irgendwann auch wieder gegeneinander auf.“Daher warnt sie auch vor einer Zusammenarbeit der Christdemokraten und Konservativen im EU-Parlament mit Rechtspopulisten und -extremisten: „Die Konservativen gucken sehr wohl nach rechts.“
Ihr persönliches Verhältnis zu Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sei gut, auch wenn sie in einem Punkt nicht mit ihr zusammenfinde, und zwar in der Frage, wie man mit Leuten wie Ungarns Premier Viktor Orbán umgehen soll. Bemerkenswert finde sie, dass von der Leyen von denselben Menschen – der CDU-Spitze in Berlin – aufs Schild gehoben wurde, von denen sie fünf Jahre lang bekämpft worden sei, unter anderem wegen des von der EU-Kommission forcierten klimaneutralen Umbaus Europas. „Da knirscht es an jeder Ecke und zwar nicht nur menschlich, sondern auch inhaltlich“, sagte Barley. „Da sind wir Sozialdemokraten das genaue Gegenteil.“
Allerdings macht die bundesweite Stimmung der SPD die Sache vor der Europawahl nicht gerade leicht. Barley verbreitet dennoch Optimismus. Viele Menschen sähen gerade die Gefahren für die Demokratie und das friedliche Zusammenleben, das bringe „große Bewegung“in die Politik. Wenn diese Menschen sich fragten, wer für ein funktionieren
„Wir wollen, dass Europa ein wichtiger globaler Player ist, den Menschen aber auch konkrete Vorteile bietet.“Katarina Barley Vizepräsidentin des EU-Parlaments und SPD-Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl
des Zusammenleben steht, „werden sie sehr schnell bei der SPD rauskommen“. Die SPD habe in ihrer Geschichte immer und immer bewiesen, dass sie felsenfest für Demokratie und gegen jede Form von Extremismus stehe.
Dass dies als Argument aber nicht ausreichen wird, ahnt wohl auch Barley. Deshalb schiebt sie ein weiteres Argument nach: „Wir sind die Einzigen, die Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Umwelt zusammenkriegen, so dass es gut ausgeht für die Menschen. Darum geht es ja am Ende: dass Europa bei dir ankommt.“Als Beispiel nennt sie die europäische Zusammenarbeit beim
Wasserstoff, von der die saarländische Stahlindustrie profitiere.
Auf Prozent-Ziele für die EU-Wahl am 9. Juni will sie sich nicht festlegen lassen. Immerhin lässt sie sich entlocken, dass es über 18 Prozent seien sollen – ein solches Ergebnis bräuchte die SPD bundesweit, damit ihr saarländischer Kandidat Christian Petry ins EU-Parlament einzieht.
Schlagzeilen hatte Barley zuletzt mit Aussagen zu möglichen europäischen Atomwaffen gemacht, steht doch der Verdacht im Raum, dass ein künftiger US-Präsident Donald Trump Europa nicht mehr unter den US-Schutzschirm nehmen würde. Barley formuliert vorsichtig, war mit
den ersten Schlagzeilen über ihren Vorstoß nicht zufrieden. Im SZ-Redaktionsgespräch sagt sie: „Wir haben ja schon solche Waffen in der EU. Ich habe nie gefordert, dass wir neue anschaffen.“Die Bedrohungslage in der Welt ändere sich. „Dass Europa eine eigenständigere Säule in der Nato bilden soll, ist unbestritten. Dass auch die Frage nach einer wie auch immer gearteten nuklearen Abschreckung aufs Tapet kommen könnte, dass man darüber nachdenkt, darum ging es mir.“