Ein Jahrzehnt mit Robert Louis Stevenson
Wer den Namen des Schriftstellers hört, denkt an den Abenteuerroman „Die Schatzinsel“. Anders Heinz Günnewig. Der Neunkircher arbeitet an der ersten Stevenson-Biografie aus dem Saarland – und denkt an Sprachgewalt und einen strengen Vater, an Ironie und L
NEUNKIRCHEN/HABSCHT Was würden Sie machen, wenn Sie einmal durch das Wohnhaus Ihres Lieblingsschriftstellers stöbern dürften? Am Schreibtisch Platz nehmen, die Aussicht vom Schlafzimmerfenster prüfen oder die Küche inspizieren? Heinz Günnewig aus Neunkirchen hat in Edinburgh das Haus von Robert Louis Stevenson besucht – und sich von den Nachbesitzern das Treppenhaus zeigen lassen.
„Ich habe mir vorgestellt, wie er nachts nach Hause kam und am Schlafzimmer der Eltern vorbeischleichen musste.“Dem strengen Calvinismus der Eltern entfloh der junge Student Robert gerne nachts. Mit Erfolg. „Die Treppe am Elternschlafzimmer knarzt nicht, ich habe es getestet.“
Stevenson ist in Deutschland, auch aufgrund einschlägiger und hochkarätig besetzter Verfilmungen, vor allem für seine beiden großartigen Romane „Die Schatzinsel“und „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“bekannt. Weder Orson Welles noch John Malkovich ließen es sich nehmen, in die Haut dieser berühmten Figuren zu schlüpfen. Aber auf die Piraten-Abenteuer von Long John Silver und die horrorhafte Zerrissenheit des Dr. Jekyll wird Stevenson hierzulande eben oft auch reduziert.
Dabei war der Schriftsteller und Abenteurer in seinem kurzen Leben – an Tuberkulose erkrankt, starb er mit 44 Jahren auf Samoa – doch viel mehr als diese beiden Romane. Kurz und knapp fallen auch die meisten deutschsprachigen Biografien aus, die über den Schriftsteller, Lyriker, Essayisten, Abenteurer und Humanisten geschrieben wurden. Aber Günnewig ist gerade dabei, das zu ändern. Zwei Drittel des Weges hat er schon geschafft.
Günnewig hat bereits Bücher über „Peter Pan“-Erfinder J. M. Barrie und den melancholischen Märchendichter Hans Christian Andersen geschrieben. Beruflich hat er sich für das Luxemburger Bildungsministerium mit plurilingualer Bildung beschäftigt – Günnewig ist Assistenzprofessor an der Fakultät für Geistes-, Erziehungsund Sozialwissenschaften der Uni Luxemburg und hat unter anderem zur Entwicklung von Lesefähigkeit publiziert und an Schulbüchern für das Lesenlernen mitgewirkt. Im Saarland kennen ihn Schülergenerationen als Rektor der Bachschule in Neunkirchen.
Leben und Schreiben von Robert Louis Stevenson haben es dem Neunkircher mehr als nur angetan. Seit gut einem Jahrzehnt arbeitet er sich an dem schottischen Schriftsteller ab, hat alle seine Romane mehrfach gelesen, kennt auch die weniger bekannten Essays und vor allem die unzähligen Briefe, die Stevenson an Familie und Freunde geschickt hat. Günnewig rekonstruiert die teils desaströsen Umstände, unter denen die großen Werke entstanden, durchleuchtet auch Freundschafts- und Liebesbande und trägt alles für eine dreibändige Biografie zusammen. Der erste Teil ist bereits erschienen, der zweite bald fertig und mit dem Erscheinen des dritten Teils zum Jahresende soll das große Projekt abgeschlossen sein. „Der erste Band behandelt die ersten 30 Jahre seines Lebens, im zweiten Band geht es um die sieben fruchtbarsten und furchtbarsten Jahre, Band drei dreht sich um seine sieben Jahre in Polynesien bis zu seinem Tod“, sagt Günnewig.
Die Biografie erscheint im Luxemburger Gam-Verlag, federführend von Tom Diederich, mit dem Günnewig schon seit Jahrzehnten zusammenarbeitet – sei es für bildungswissenschaftliche Schriften fürs Luxemburger Ministerium, sei es für die „Annäherung an James Matthew Barrie“.
Was arbeitet Günnewig im Gegensatz zu anderen Biografen heraus? „Ich bin der erste, der es wagt, seinen Vater anzupacken. Er hat seinen Sohn nicht bewusst, aber massiv in seiner Entwicklung gestört.“Stevenson ist heute als Schriftsteller berühmt, früher war es aber seine Familie, die berühmt war. Robert Louis wurde in eine reiche Dynastie von Leuchtturm-Ingenieuren geboren, die es geschafft hatte, über Generationen fast die komplette schottische Küstenlinie mit Leuchttürmen zu überziehen. Und natürlich sollte Robert Louis, der einzige Sohn, Leuchtturmbauer werden. Nicht Schriftsteller.
In einem der mehr als 2500 Briefe hat Günnewig eine prägnante Stelle gefunden: „Er ist mein echter Vater“, schrieb Stevenson sinngemäß der Mutter und meinte den Schriftstel
ler Laurence Sterne. „Sterne war sein Taktgeber, bei ihm hat er Schreiben gelernt“, glaubt Günnewig. Der Ire hatte gut 100 Jahre früher mit dem Roman „Leben und Ansichten von Tristram Shandy“für Aufsehen gesorgt – noch heute gilt das Werk voller Witz, Zweideutigkeiten und kalkulierter Abschweifung als experimenteller Vorläufer des modernen Romans.
Und was für ein Typ war Stevenson eigentlich? „Stevenson war superironisch, aber nicht bösartig. Er hat sich an der strengen calvinistischen Prägung seiner Familie abgearbeitet, glaubte aber bis zuletzt an Gott und schrieb sogar Gebete. Er war ein großer Briefeschreiber, der sich mitteilen musste, in seinem Kopf ging es rund“, sagt Günnewig. Zum Ende seines Lebens habe er sich mehr Frauenfiguren zugewandt. Überhaupt sei es seine Frau Fanny Os
bourne gewesen, die ihm die Kraft zum Schreiben gegeben habe. Die Kehrseite: „Er war auch ein nervöses Pflaster, hat viel angefangen und liegenlassen, und sie stürzte auf Samoa in eine tiefe Depression.“
Außerdem legt Günnewig in seiner Biografie Wert auf eine Auseinandersetzung mit Stevensons zahlreichen Erzählungen und seinen Essays über Werke von unter anderem Robert Burns und E. A. Poe – „von Poe hat er viel für seinen Stil mitgenommen“, sagt Günnewig. Als MussLektüre aus diesem mannigfaltigen Universum empfiehlt er Stevensons letzten Roman „Die Ebbe“um drei gescheiterte Männer in Polynesien. Nicht aufgrund der abenteuerlichen Südseekulisse, sondern aufgrund der Sprachgewalt.
Weil Günnewig und Diederich auch junge Leserinnen und Leser für
Stevensons Werk begeistern wollen, arbeitet Diederich die Ergebnisse in einer reich bebilderten und interaktiven Mappe für den Luxemburger Schulunterricht auf. Außerdem ist eine Webseite über Stevenson geplant, auf der Fans jeden Alters sich austauschen können. Wenn alle drei Bände vorliegen, will Günnewig seine Ergebnisse in Vorträgen in Neunkirchen und Luxemburg vorstellen.
Heinz Günnewig: „Robert Louis Stevenson und seine Bande“. Band 1. 38,60 Euro gebunden, 14 Euro als EBook, 400 Seiten, Grafik A Media Verlag.
Weitere Informationen und Bestellung beim Verlag unter https://gam.lu
Produktion dieser Seite: Vincent Bauer
Gerrit Dauelsberg